Die Ampel steht vor einem Scherbenhaufen ihrer Klima- und Industriepolitik. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr den Trick untersagt, 60 Milliarden Euro ungenutzte Corona-Hilfen in den Klima- und Transformationsfonds umzuschichten. Der Ansatz, den nötigen radikalen Umbau der Energienutzung – Stichworte: Effizienz und Erneuerbare statt fossiler Verschwendung – vor allem durch Zuschüsse anzureizen, wird damit stark eingeschränkt.

Nicht wenige Ökonomen rufen nun nach einer Neukonzeption der Klimapolitik, vor allem durch eine stärkere Erhöhung des CO2-Preises. Heizen mit Öl und Gas und Autofahren mit Benzin und Diesel würden deutlich teurer werden.

 

Eine einflussreiche Verfechterin dieses Kurses ist die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm. Die Professorin von der Universität Erlangen-Nürnberg fordert, statt auf Ordnungsrecht und Förderprogramme solle die Bundesregierung als "Leitinstrument" auf den Emissionshandel setzen.

Konkret schlägt Grimm vor, den CO2-Preis, der aktuell bei Erdgas und Heizöl sowie beim Sprit 30 Euro pro Tonne beträgt, Anfang 2024 nicht wie von der Ampel bisher geplant um zehn Euro zu erhöhen, sondern um 20 Euro – und 2025 gleich noch einmal.

Ginge es in diesem Tempo weiter, würde bereits 2027 die 100-Euro-Grenze überschritten, eine spürbare Verteuerung gegenüber heute. Ein CO2-Preis von 100 Euro führt zum Beispiel beim Sprit zu einem Aufschlag um etwa 30 Cent pro Liter – derzeit sind es erst rund neun Cent.

CO2-Preis soll steigen – mit sozialem Ausgleich

Zum Vergleich: Im freien EU-Emissionshandel, der unter anderem für die Industrie gilt, wurden 2022 erstmals 100 Euro pro Tonne CO2 erreicht. Derzeit liegt der Preis bei 75 Euro.

Laut dem Umweltbundesamt sind die tatsächlichen Klimakosten jedoch noch deutlich höher anzusetzen, nämlich auf 237 Euro pro Tonne. Um das abzudecken, müsse der CO2-Preis also noch kräftig weiter steigen.

Grimm argumentiert, die Ampel könnte ihre geplanten Förderprogramme, etwa für E-Autos und Öko-Heizungen, reduzieren, wenn die Klimaziele stärker als bisher über solche fiskalischen Anreize erreicht werden. Dahinter steckt das Kalkül: Wird das Tanken oder Heizen mit fossilen Brennstoffen spürbar teurer, stellen sich Autofahrer und Hausbesitzer aus eigenem Antrieb um. Sie wechseln zu Elektroautos oder fahren mehr Fahrrad, und sie lassen eine Wärmepumpe einbauen und das Gebäude dämmen.

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Moritz Schularick, pflichtet dem bei. "Es bleibt uns nicht viel anderes übrig, als höhere Preise CO2 zu verlangen", sagt er. Der Ökonom dringt aber darauf, sofort auch einen finanziellen Ausgleichsmechanismus zu installieren. Denn Schularick befürchtet: "Es wird Protest in der Bevölkerung geben."

Ein solcher Ausgleich könnte über das "Klimageld" laufen, das die Ampel ja bereits im Koalitionsvertrag von Ende 2021 als Kompensation für die CO2-Verteuerung versprochen, aber bisher nicht eingeführt hat.

Das hätte auch eine soziale Komponente. Grimm erläutert: "Gäbe man die Einnahmen pro Kopf an die Bevölkerung zurück, so würden die Haushalte im unteren Einkommensdrittel im Schnitt sogar besser dastehen als zuvor."

Chance für breiten politischen Konsens

Keine Frage, in der Theorie hört sich das gut an. Doch es gehört eine optimale Kommunikationsstrategie dazu, um dieses Konzept den Bürgerinnen und Bürgern auch schmackhaft zu machen – bisher keine Kernkompetenz der Scholz-Truppe. Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie etwa die Bild auf die Verteuerung reagieren würde.

Älteren ist noch die "Benzinwut"-Kampagne des Boulevardblatts in Erinnerung, mit der es Anfang der 200er Jahre die rot-grüne Ökosteuerreform fast sturmreif schoss, und neuerdings gelang ihr das ziemlich weitgehend mit den Attacken auf den grünen Bundeswirtschaftsminister Habeck und seinen angeblichen "Heizhammer".

Etwas besser mögen die Aussichten diesmal sein, weil die sonst bei Ökothemen bremsende FDP hinter dem Konzept der CO2-Bepreisung steht und auch die Union grundsätzlich dafür ist. Im Sommer warf CDU-Vize Andreas Jung der Ampel sogar vor, sie beschädige mit ihrem "Zickzackkurs und Wortbruch" die Glaubwürdigkeit des Instruments.

Das eröffnet Chancen. Die Bedeutung einer solchen grundlegenden Neukonzeption der Klimapolitik wäre ein Fall für eine Verständigung von Regierung und Opposition.

Doch auch die Fans von CO2-Bepreisung und Klimageld räumen ein, dass damit allein der klimafreundliche Umbau von Gebäuden, Verkehr und Industrieanlagen nicht zu schaffen ist – schon deswegen nicht, weil bis zur angepeilten "Klimaneutralität" 2045 kaum mehr als zwei Jahrzehnte Zeit bleiben.

Es braucht viele Milliarden an Investitionen. Dafür gibt es nach Ansicht vieler Fachleute vor allem zwei Quellen.

Zwei Hauptquellen für Investitionen

Erstens wäre der Abbau der umweltschädlichen Subventionen nötig, die der Bund gewährt und die laut Umweltbundesamt (UBA) rund 65 Milliarden Euro jährlich betragen.

Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) hat unlängst gemeinsam mit der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Vorschläge gemacht, wie sie abzubauen wären. Mit sukzessiven Kürzungen bei Dienstwagen-Privileg, Dieselsteuer und anderen Subventionen könnte ein Großteil der durch das Karlsruher Urteil weggefallenen Milliarden ersetzt werden.

Zweitens ist durchaus die Aufnahme von Schulden angesagt – allerdings auf einem rechtssicheren Weg, anders als bei der Corona-Trickserei.

 

Veronika Grimm und andere ihrer Zunft schlagen dafür die Bildung eines "Sondervermögens ähnlich wie für die Bundeswehr mit Zweidrittelmehrheit im Parlament und wirklich auf Zukunftsinvestitionen beschränkt" vor. Es stünde, wie bei den 100 Milliarden für die Rüstung geübt, neben dem Haushalt, jenseits der Schuldenbremse, und könnte über mehrere Jahre laufen.

Auch hier müsste die Opposition wegen der nötigen Zweitdrittel-Mehrheit mitreden können. Ebenfalls ein Kraftakt, aber wohl doch erreichbar. Denn auch CDU und CSU wollen ja wohl nicht, dass etwa die Schienenwege weiter verlottern, die E-Mobilität im Kriechgang bleibt oder die Industrie den Übergang zur Wasserstoffwirtschaft verpasst und gegenüber den USA und China endgültig ins Hintertreffen gerät.