Mit dem neuen Klimagesetz, das Deutschland bis 2045 klimaneutral machen soll, verschärft sich auch die Debatte, ob und wie damit das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimavertrages eingehalten werden kann.
Allein schon wegen des Ziels Klimaneutralität nahm die Bundesregierung ein neues Element ins Klimaschutzgesetz auf – die natürlichen CO2-Senken. Ab 2045 sollen die Senken jährlich 40 Millionen Tonnen CO2 binden, um die letzten drei Prozent an Treibhausgasemissionen auszugleichen, die unter anderem aus Dünger oder Industrieprozessen stammen, erklärte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) letzte Woche bei der Präsentation des neuen Klimagesetzes.
Ab jetzt müssten dazu Wälder und Moore "fit" gemacht werden, damit sie auf "naturverträgliche Weise" wieder mehr Kohlenstoff binden können, sagte die Ministerin. Diese Senken seien in den letzten Jahren immer kleiner geworden, drohten gar zu einer Kohlenstoffquelle zu werden, so Schulze. Da müsse jetzt eine Trendwende gelingen.
Unverzichtbar ist der massive Ausbau natürlicher Senken auch, um das Pariser Klimaziel noch zu erreichen, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das ergab eine Studie eines internationalen Forscherteams, die jetzt im Fachmagazin Environmental Research Letters erschien.
Natürlich sei der Energiesektor – durch Reduzierung der Nachfrage sowie Dekarbonisierung – der Schlüssel zum 1,5-Grad-Ziel, betonte Hauptautorin Lila Warszawski vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Aber wir können nicht auf die anderen Strategien verzichten. Die Landnutzung muss zu einer Netto-Kohlenstoffsenke werden, zum Beispiel durch Wiedervernässung von Mooren oder Aufforstung", sagte sie.
Des Weiteren müsse der Ausstoß des starken Treibhausgases Methan aus der Tierproduktion sowie aus Lecks bei der Öl- und Gasförderung reduziert werden. "Nahezu unverzichtbar" ist für Warszawski auch, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und zum Beispiel unterirdisch zu speichern.
Für die Studie wertete das Forscherteam die mehr als 400 Emissions-Szenarien aus, die für den im Oktober 2018 erschienenen 1,5-Grad-Sonderbericht des Weltklimarates IPCC modelliert wurden. Davon seien etwa 50 als 1,5-Grad-Szenarien klassifiziert worden.
Das eine tun und das andere nicht lassen
Von diesen 50 Szenarien wiederum treffen nach Ansicht der Forscher aber nur etwa 20 auch realistische Annahmen zu den einzelnen Minderungsoptionen, so zum möglichen Umfang des Herausholens von CO2 aus der Atmosphäre oder zum Ausmaß der Aufforstung.
Werden alle Hebel des Klimaschutzes in Bewegung gesetzt, ist es wahrscheinlich immer noch möglich, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, resümiert die Studie. Zugleich sei das Risiko hoch, die 1,5-Grad-Grenze zu überschreiten – das Zeitfenster für die Einhaltung dieses Klimaziels aus dem Paris-Abkommen schließe sich sehr schnell, so die Forscher.
Beim 1,5-Grad-Ziel stehe die Menschheit vor der "herkulischen Anstrengung", die globalen Emissionen jedes Jahrzehnt halbieren zu müssen, sagte Studien-Mitautor Nebojša Nakićenović vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Wien. Das erfordere eine Dekarbonisierungsrevolution durch Ausstieg aus fossilen Energien, einen Sprung vorwärts in Effizienz und Suffizienz sowie bei klimafreundlicher Mobilität und Ernährung.
Auch Nakićenović plädiert dafür, mit Aufforstung und Landnutzungsänderungen auf eine naturverträgliche Weise CO2 aus der Atmosphäre herauszuholen. Darüber hinaus müssten die natürlichen Elemente im Erdsystem geschützt werden, die bereits heute die Hälfte der globalen Emissionen aus der Atmosphäre aufnähmen. Gemeint sind hier vor allem die Weltmeere.
Ähnlich wie viele Forderungen in der aktuellen deutschen Klimadebatte klingt es, wenn die Studienautoren betonen, dass jetzt schnell starke Emissionsminderungen hermüssen. Für Mitautor und PIK-Direktor Johan Rockström ist die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad "jede Anstrengung wert". Dies würde das Risiko begrenzen, einigen Kippelementen im Erdsystem einen zusätzlichen "Schubs" zu geben, etwa den Eisschilden oder wichtigen Ökosystemen wie dem Amazonas-Regenwald.