Nur noch wenige Bäume stehen auf der Fläche, auf der es im vergangenen Jahr gebrannt hat
Den deutschen Wäldern geht es durch Klimawandel und Brände schlecht – für die Koalition offenbar kein Hindernis, die Bilanz durch natürliche Senken schönzurechnen. (Foto: Friederike Meier)

Was Deutschland in der EU unterstützt, kann auf nationaler Ebene nicht falsch sein, hat das Bundesumweltministerium sich wohl gedacht – und im Referentenentwurf für das neue Klimaschutzgesetz den natürlichen CO2-Senken eine prominente Stellung verschafft. Das Dokument liegt Klimareporter° vor. Am kommenden Mittwoch will die große Koalition sich auf einen Regierungsentwurf einigen.

Harsche Kritik hatte es schon gehagelt, als die EU-Staaten gegenüber dem Europäischen Parlament durchsetzten, dass die EU den Klimanutzen von CO2-Senken wie Wäldern, Feuchtgebieten und vernässten Acker- oder Grünlandflächen auf ihre Emissionseinsparung anrechnen darf – und ihr jetzt angehobenes Klimaziel für 2030 auch so erreichen kann. Bis zu 225 Millionen Tonnen Einsparung dürfen von den natürlichen Klimaschützern erledigt werden.

Das kritisieren viele Experten. Weil gerade Wälder immer mehr unter dem Klimawandel leiden, werde es eine Herausforderung sein, diese in ausreichendem Umfang zu erhalten, kommentiert die Energieökonomin Claudia Kemfert das Vorgehen.

"Da sogenannte negative Emissionen gegengerechnet werden, wird das eigentliche Emissionsminderungsziel geschwächt", warnt Kemfert. Auch durch das Pflanzen neuer Wälder werde es kaum gelingen, die Emissionen zu senken, da Wälder über lange Zeiträume vorhanden sein müssen, um nennenswert CO2 zu binden.

Würden diese unsicheren Senken herausgerechnet, gehen die Emissionen der EU bis 2030 nicht um die versprochenen 55 Prozent, sondern voraussichtlich nur um knapp 53 Prozent zurück.

Eine erhebliche Mogelpackung

Der Entwurf für das reformierte Klimaschutzgesetz lässt erahnen: Diese Herangehensweise steht auch in der deutschen Klimapolitik bevor. Die Klimaschutz-Leistung der CO2-Senken soll künftig erhoben und erhöht werden.

Theoretisch wäre es wohl denkbar, dies nur für die EU-Klimabilanz im Gesamten zu tun, aber bei der eigenen Rechnung in Deutschland strenger zu sein, also Senken außen vor zu lassen. Werden die Senken aber entsprechend ihrer im Entwurf vorgesehenen Leistung auf den deutschen Treibhausgasausstoß angerechnet, dürften sie einen erheblichen Anteil an den künftigen deutschen Klimazielen haben.

Bis 2030 sollen die natürlichen Senken jährlich 25 Millionen Tonnen CO2 sparen. 2040 sollen die Senken dann ein Minus von mindestens 35 Millionen Tonnen beisteuern und 2045 – dem Punkt der Klimaneutralität – 40 Millionen Tonnen.

Laut dem neuen Koalitionsklimaplan sollen die CO2-Emissionen bis 2030 bekanntlich um 65 Prozent sinken – im Vergleich zu 1990. In diesem Basisjahr hatte Gesamtdeutschland rund 1.250 Millionen Tonnen CO2 emittiert.

Nach dem neuen 65-Prozent-Ziel dürfen es 2030 dann nur noch rund 437 Millionen Tonnen CO2 sein – davon sollen die natürlichen Senken nach dem Willen der Koalition 25 Millionen Tonnen beisteuern. Ohne deren Beitrag käme nur ein CO2-Minus von 63 Prozent heraus.

Für 2040 genehmigen sich Union und SPD sogar noch einen deutlich größeren Schluck aus der Senkenpulle. In dem Jahr soll eine CO2-Reduktion um 88 Prozent erreicht werden. Das wären dann 150 Millionen Tonnen CO2, die noch in die Luft gepustet werden dürfen.

Auf dem Weg von 2030 zu 2040 müssen also die Emissionen um rechnerisch 287 Millionen Tonnen sinken. Da ist schon mit bloßem Auge zu erkennen, welchen entscheidenden Anteil in dem Zeitraum die angenommene Einsparung durch natürliche Senken von 35 Millionen Tonnen hat: Jede achte Tonne CO2 soll dann offenbar in Wäldern, Mooren und anderen Naturrefugien "verschwinden".

Und 2045 dann von Klimaneutralität zu reden, wenn 40 Millionen Tonnen CO2 im Verdacht stehen, eher eine Mogelpackung zu sein – dazu gehört schon ein ordentliches Maß an Chupze. Etwa drei Prozent vom Treibhausgasniveau von 1990 dürfen dann auch so noch übrig sein.

Die Senken drohen zu Quellen zu werden

Dabei hat das Bundesumweltministerium im bisherigen Klimaschutzprogramm 2030 den natürlichen Senken eine eher untergeordnete Rolle eingeräumt. Im Klimaschutzjargon rangiert dieser Sektor unter dem Kürzel LULUCF – das steht für "Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft".

Im Klimaschutzprogramm findet sich die Angabe, dass über alle Bereiche des LULUCF-Sektors in Deutschland im Jahr 2017 im Saldo knapp über 15 Millionen Tonnen CO2 eingebunden worden sind. Wälder, wird in dem 2019 beschlossenen Dokument erläutert, binden dabei zwar große Mengen CO2, aber die Emissionen aus Ackerland, Feuchtgebieten, Grünland und Siedlungen machen das wieder großenteils zunichte.

Und weiter ist zu lesen: Aufgrund der "Verschiebung" der Altersstruktur der Waldbestände und einer veränderten Holznutzung sinke die "Kohlenstofffestlegung" der inländischen Wälder schon bis 2020 um etwa 80 Prozent. 2025 drohe der LULUCF-Sektor dann sogar über elf Millionen CO2 abzugeben – und 2035 fast 19 Millionen Tonnen.

Deshalb seien wirkungsvolle Maßnahmen erforderlich, um überhaupt sicherzustellen, dass der Sektor eine Senke bleibt und nicht zur Quelle für Treibhausgase wird.

Und dieser Sektor soll 2030 nicht mehr Millionen Tonnen CO2 emittieren, sondern etwa die doppelte Menge als Senke einsparen? Auf Anfragen zu dieser Rechenkunst hat das Bundesumweltministerium bisher nicht geantwortet.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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