Ein voll besetzter Bus mit der Aufschrift
Weiter so geht nicht mehr. Aber wie dann? (Karikatur: Gerhard Mester/​SFV)

Klimareporter°: Frau Badum, haben Sie sich in den letzten Tagen nicht erstaunt die Augen gerieben: Jahrelang hat Ihre grüne Fraktion beim Klimaschutz wie gegen Windmühlenflügel gekämpft und plötzlich sind Sie von Klimaschützern umzingelt. Wie fühlt sich das an?

Lisa Badum: Dass sich die Koalitionäre einen Wettstreit um höhere Klimaziele liefern – das hatten wir wirklich nicht zu träumen gewagt. Entscheidend ist natürlich, was als Essenz übrig bleibt, zumal die Koalition vom Bundesverfassungsgericht dazu verdonnert wurde.

Auf das, was am heutigen Mittwoch aus dem Kabinett kommen soll, müssen wir schon genau hinschauen. Halten die Klimamaßnahmen das, was jetzt versprochen wird? Entsprechen sie dem deutschen CO2-Budget?

Für das neue Klimagesetz hat das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber eigentlich eine Frist bis Ende 2022 gelassen. Es verlangt gar nicht, dass noch in dieser Legislatur gehandelt wird. Hat die Eile der Koalition nicht auch etwas mit Wahlkampf zu tun?

Beide Faktoren – das Urteil und der Wahlkampf – spielen für mich zusammen. Die Umfragen sehen für uns Grüne aktuell ganz gut aus. Ich mache da eine gewisse Panikreaktion bei den anderen Parteien aus, noch schnell etwas vorlegen zu müssen.

Im Grundsatz finde ich das aber gut. Der Bundestag hat immerhin noch drei Sitzungswochen und es ist die Pflicht der Koalition, bis zuletzt zu regieren. Beim Klimaschutz zählt jede Stunde und jeder Tag. Die Eile ist deswegen nicht unangebracht, aber die Frage bleibt. Wird das neue Gesetz Substanz haben oder geht es nur darum, gute Stimmung zu machen?

Kommt die Panik auch daher, weil die Grünen im Unterschied zu früher erstmals die reale Chance haben, als stärkste politische Kraft aus einer Bundestagswahl hervorzugehen?

Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Wir haben eine gute Kanzlerkandidatin und die ernsthafte Chance, auf Platz eins anzukommen. Jeder weiß, dass die Grünen die Klimaschutzpartei im Bundestag sind. Das ist ein guter Grund für die anderen, vor der Wahl hier schneller zu werden.

Die Grünen fordern jetzt ein Klimaziel von 70 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 gegenüber 1990, die Koalition wird wohl bei minus 65 Prozent zu stehen kommen. Ist der Unterschied so groß, dass er einen möglichen "Klimakonsens" verhindert?

Dazu müssen wir sehen, was die Groko jetzt vorlegt. Ob sie ihr 65-Prozent-Ziel netto oder brutto rechnet, ob sie also beispielsweise die Effekte natürlicher Senken mit einberechnet. Diesen schädlichen Trick haben wir schon auf EU-Ebene kritisiert.

Mit dem 70-Prozent-Ziel wollen wir für Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad kommen und auch das vom Europäischen Parlament gesetzte Minderungsziel von minus 60 Prozent abbilden, dem sich die EU-Mitgliedsstaaten leider nicht angeschlossen haben.

Abgesehen davon haben wir Grünen immer gesagt, dass wir keine vordergründige Zieldebatte über die fernere Zukunft führen wollen. Uns geht darum, Maßnahmen zu finden, die möglichst schnell möglichst viel CO2 einsparen. Wir müssen die Debatte in das Hier und Jetzt verlegen.

Porträtaufnahme von Lisa Badum.
Foto: P. Haas, S. Hilgers

Lisa Badum

ist klimapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Die studierte Politik­wissen­schaftlerin und langjährige Bürger­energie­politikerin ist außerdem Kreisrätin im ober­fränkischen Forchheim.

Für das Hier und Jetzt brachte die Grünen-Fraktion letzte Woche einen Klima-Antrag im Bundestag ein, der insgesamt 32 einzelne Forderungen aufmacht. Was aus diesem umfangreichen Katalog halten Sie denn in einem Klima-Sofortprogramm für umsetzbar?

Stärker, als die Koalition es bisher will, müssen die Ausbauziele für Windkraft und andere Erneuerbare angehoben werden. Wir fordern jedes Jahr zusätzlich 6.000 Megawatt Windkraft an Land und zusätzlich 12.000 Megawatt Photovoltaik. Das könnte der Bundestag jetzt beschließen.

Allerdings könnte sich Bayern dann auch keine 10-H-Abstandsregel für Windkraft mehr leisten. Ich erwarte, dass sich Markus Söder darum vor der Bundestagswahl noch ernsthaft bemüht. Solange sind die Klima-Versprechen, die hier in Berlin abgegeben werden, nichts wert.

Ein weiterer Punkt ist ein höherer nationaler CO2-Preis. Da wollen wir 2023 auf 60 Euro pro Tonne gehen. Schon für 2022 wäre ein Zwischenschritt möglich. Vorher gilt es aber noch, das Dilemma zu lösen, in das Mieter und Vermieter wegen der nationalen CO2-Bepreisung geraten sind. Da liegen unsere Anträge seit Monaten vor.

Wir schlagen vor, dass die Vermieter den CO2-Preis übernehmen, da sie die Heizungsanlage auch austauschen können. Dabei wollen wir sie mit Anreizen unterstützen.

Unterrepräsentiert in der aktuellen Debatte sind auch die Pläne der Groko, Unternehmen massiv von der CO2-Bepreisung auszunehmen ...

… durch die Carbon-Leakage-Verordnung, die der Bundestag derzeit verhandelt.

Die Kompensation, die die Unternehmen dort für die CO2-Bepreisung erhalten, wird nicht an Klimaschutzmaßnahmen gekoppelt. Das soll erst ab 2023 und nur in Höhe von 50 Prozent der Kompensationen geschehen.

Auch soll die Senkung der EEG-Umlage, von der auch Unternehmen profitieren, nicht mit ihren Entlastungen beim CO2-Preis verrechnet werden. Somit wird es Unternehmen geben, die trotz des CO2-Preises am Ende mehr Geld in der Tasche haben als andere Unternehmen, die auch viel Strom und Wärme verbrauchen. Das kann es ja nicht sein. Auch diese Fragen wären schnell zu lösen.

Ein Punkt, der ebenfalls nicht lange warten muss, ist die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen. Auch da wäre noch in diesen Sitzungswochen ein Einstieg zu schaffen, zum Beispiel, was das Diesel- und das Dienstwagenprivileg betrifft.

Bei einem höheren CO2-Preis befinden sich die Grünen ja eher in der Nähe zu CDU und CSU als zur SPD. Deren Fraktionsvize Matthias Miersch brandmarkte höhere CO2-Preise gerade als "neoliberale Verbotspolitik".

Dass die Union sich auf den CO2-Preis stürzt, finde ich nicht erstaunlich. CDU und CSU haben sich schon die ganzen Jahre auf das Preisinstrument versteift. Sie hoffen, dafür ordnungsrechtlich nichts tun zu müssen und zugleich den Unternehmen beim Preis großzügige Ausnahmen gewähren zu können.

Preis ist eben nicht gleich Preis. Für uns Grüne geben Ordnungsrecht und Preis ein klimapolitisches Konzert ab. So weit ist die Union im Denken noch nicht.

Die SPD setzt beim Klimaschutz jetzt eher auf eine Art Angebotspolitik, will das Land praktisch mit Ökostrom fluten, vor allem aus Wind und Sonne. Suchen sich Union und SPD beim Klimaschutz die Maßnahmen heraus, die ihnen jeweils am besten in den Wahlkampf passen?

Genau so. Das ist "Cherry-Picking", Rosinenpicken. Deswegen bin ich ja so gespannt, worauf sie sich im Kabinett einigen werden.

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