Blick auf eine Erdkabel-Baustelle
Erdkabelbaustelle in Raesfeld im Münsterland: Weil die Kabel Wärme abgeben, müssen sie in Abständen von gut einem halben Meter zueinander verlegt werden. (Foto: Frank Peterschröder/​Amprion)

Höhere Ziele für Ökostrom, mehr Elektromobilität, Kohleausstieg – das Stromnetz in Deutschland muss aufgerüstet werden, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Wegen des beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien sind nach den Kalkulationen der großen Netzbetreiber gegenüber den bisherigen Planungen zwei zusätzliche Nord-Süd-Stromautobahnen nötig.

Die vier Unternehmen Amprion, Tennet, Transnet BW und 50 Hertz haben jetzt den neuen Netzentwicklungsplan (NEP) vorgelegt, gemäß dem die neuen Leitungen vor allem Windstrom von Schleswig-Holstein über Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bis nach Baden-Württemberg bringen sollen.

Zurzeit sind bereits drei große Nord-Süd-Trassen mit insgesamt vier Leitungen in Planung. Sie sollen gewährleisten, dass der vor allem in Norddeutschland – an Land und auf See – produzierte Windstrom zu den Verbrauchszentren im Süden gelangen kann. Die "Stromautobahnen" werden laut Plan bis 2025 fertiggestellt.

Ihre Kapazitäten von zusammen 8.000 Megawatt reichen allerdings laut den Betreibern nicht aus, die zusätzlichen Ökostrom-Mengen aufzunehmen, die bis 2030 produziert werden sollen. Die schwarz-rote Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, den Anteil der erneuerbaren Energien am Verbrauch von derzeit knapp 40 auf 65 Prozent im Jahr 2030 zu erhöhen, um das verbindliche Klimaschutzziel zu schaffen.

Die zwei zusätzlichen Leitungen im Westen der Republik sollen insgesamt 4.000 Megawatt Strom transportieren können, was der Leistung von drei großen Atomkraftwerken entspricht. Ihre Länge ist mit zusammen 1.160 Kilometern veranschlagt, genaue Trassenverläufe sind noch nicht definiert. Abzweige in Nordrhein-Westfalen sollen sicherstellen, dass dort der Strom nicht knapp wird, wenn die Kohlekraftwerke vom Netz gehen.

Zusätzlich schlagen die Netzbetreiber vor, die bereits geplante Trasse "Suedostlink", die von Sachsen-Anhalt über Thüringen nach Bayern führt, mit Extra-Leerrohren auszustatten, sodass dort nötigenfalls weitere Stromleitungen einfach nachgerüstet werden können.

Neue Kostendebatte mit bekannten Argumenten

Laut den Betreibern steigen die Kosten des Netzausbaus durch die zusätzlichen Leitungen bis 2030 von 32 auf 52 Milliarden Euro. Die Anbindung der Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee kommt je nach Szenario mit 18 bis 24 Milliarden Euro hinzu.

Ob es tatsächlich so teuer wird, ist offen. Die Bundesnetzagentur, die die Pläne prüfen muss, hat Kostenschätzungen der Betreiber in der Vergangenheit nach eigenen Angaben teils um bis zu einem Drittel gekürzt. Berücksichtigt wird dabei zum Beispiel, ob vorhandene Trassen ausreichend genutzt werden.

Keine überhöhten Kosten zu produzieren ist wichtig, schließlich werden sie von den Verbrauchern finanziert – über die Netzentgelte auf den Stromrechnungen. Derzeit machen diese bei Haushaltskunden rund ein Viertel des Strompreises aus.

Wie zu erwarten, setzte nach Bekanntwerden der neuen Zahlen eine Debatte darüber ein, ob der Umbau des Energiesystems zu teuer ist oder nicht. Zwei Stimmen verdeutlichen die Bandbreite. Der FDP-Politiker Martin Neumann forderte, die Regierung müsse endlich "ein Preisschild an die ganze Energiewende machen".

Die Grüne Ingrid Nestle indes verwies darauf, dass Deutschland jedes Jahr 60 bis 80 Milliarden Euro für importierte fossile Energieträger ausgebe. Um diese Kosten zu senken, seien die Investitionen in die heimische Ökoenergie doch gut angelegtes Geld.

Beide haben sie recht. Und wenn man dann noch einrechnet, welche Kosten die Volkswirtschaft durch den verbesserten Klimaschutz einspart, wird die Kalkulation perfekt.

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