In der Fußnote auf der ersten Seite versteckt sich der umstrittenste Teil des vom Bundeswirtschaftsministerium Mitte der Woche an die anderen Ressorts verschickten Entwurfs einer "Nationalen Wasserstoffstrategie", die Klimareporter° vorliegt. Dort im Kleingedruckten erklärt das Ministerium, was es so ganz generell unter "CO2-frei" versteht.
Als CO2-frei gelten danach zum einen "Energieträger, die ohne CO2-Emissionen hergestellt wurden und die selbst keinen Kohlenstoff enthalten", wie grüner Wasserstoff aus Elektrolyseanlagen, die nur erneuerbaren Strom nutzen.
"CO2-frei" sind für das Ministerium aber auch Energieträger, "bei deren Herstellung und Nutzung kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre gelangt und die im engeren Sinne nur CO2-neutral sind". Ein Beispiel – eines wäre Biomasse – führt die Behörde nicht an.
Für "CO2-frei" hält das Haus Altmaier Energieträger aber sogar dann, wenn "bei deren Erzeugung CO2 oder Kohlenstoff anfällt", das oder der aber abgeschieden wird und "nachhaltig nicht in die Atmosphäre gelangt".
Als Beispiel nennt das Ministerium hier den sogenannten "blauen" Wasserstoff, der vor allem aus fossilem Erdgas hergestellt wird, wobei jedoch das emittierte CO2 abgetrennt und per CCS (Carbon Capture and Storage) in den Untergrund versenkt werden soll.
Weil man aber auch im Wirtschaftsressort weiß, dass CCS in Deutschland nicht durchsetzbar ist, kommen – wie stets bei diesem Thema – die leeren norwegischen Nordsee-Gasfelder ins Spiel. Dort könnte das CO2, das bei der Herstellung des "blauen Wasserstoffs" anfällt, nachhaltig, sicher und dauerhaft eingelagert werden, heißt es im Ministerium.
Wer sich nun fragt, wie viel CO2 da in die norwegischen Felder passt, wie es dort hinkommt und was das kostet – und wie viel Klimagase dabei vielleicht auch entstehen –, der wird beschwichtigt. Der "blaue Wasserstoff" soll nach der Lesart des Wirtschaftsministeriums nur eine Art Türöffner sein, der – preislich dem fossilen Erdgas deutlich näher – dem mehrfach teureren "grünen" Wasserstoff den Weg ebnen soll.
Industrie- vor Klimapolitik
Um Klimaschutz geht es, wie sich schon seit Monaten abzeichnet, bei der Wasserstoffstrategie eben nicht. Sondern darum, "große industriepolitische Potenziale und Chancen für den Export" zu eröffnen, wie es im Entwurf heißt.
Und diese Potenziale sollen ganz marktwirtschaftlich erschlossen werden. "Wir kommen nicht von den Mengen, die man auf den Markt wirft, sondern von dem, was der Markt auswirft", erklärt Thorsten Herdan, zuständiger Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, die Logik. Es sei wesentlich zielführender, wenn "die Märkte selbst auf Basis der Kosten entscheiden".
Und bei diesen Kosten will man nicht zu viel durcheinanderbringen. Dem Elektrolyse-Strom die EEG-Umlage und die Netzentgelte zu erlassen, um echten grünen Wasserstoff schnell preiswerter zu machen, lehnt das Ministerium nach wie vor ab. Im Strategieentwurf ist nur die Rede davon, die Reform staatlicher Bestandteile des Strompreises zu prüfen.
Kein Wunder, dass beim grünen Wasserstoff im Entwurf nicht viel rumkommt. Das Papier spricht davon, dass 2030 in Deutschland Ökostrom-Elektrolyseure mit 3.000 bis 5.000 Megawatt Leistung laufen könnten.
Bei 4.000 Betriebsstunden im Jahr kämen 2030 als wasserstoffliche Energiemenge so zwölf bis 15 Milliarden Kilowattstunden zusammen – diese Angabe findet sich im Strategiepapier aber nicht. Dort wird lediglich als Ziel ausgegeben, dass 2030 rund 20 Prozent des in Deutschland genutzten Wasserstoffs "CO2-frei" sein sollen – also nicht einmal die echte grüne Eigenschaft ist ein Muss, blaumachen reicht aus.
Selbst, ob die 3.000 bis 5.000 Megawatt zusammenkommen, ist ja fraglich, sofern es mit dem Nichtausbau der Windkraft an Land und auf See so weitergeht.
"Fossiler Wasserstoff im Mittelpunkt"
Den Entwurf der Wasserstoffstrategie stört das nicht. Er setzt ohnehin darauf, dass Deutschland auch künftig ein "großer Energieimporteur" bleiben wird – und den "CO2-freien" Wasserstoff wohl meistens per Schiff aus der sogenannten Mena-Region, also aus dem Nahen Osten und Nordafrika, bekommt.
Wegen der Blockade der Erneuerbaren müsse die Regierung jetzt den "blauen und damit fossilen Wasserstoff" in den Mittelpunkt ihrer Strategie stellen, kritisiert Ingrid Nestle von der Grünen-Fraktion im Bundestag. Nichts habe die Regierung in ihrer Strategie für erneuerbaren Strom für Wasserstoff eingeplant. "Dieser tiefe Bruch zieht sich durch die ganze Wasserstoffstrategie", so Nestle.
Dem Eifer des Wirtschaftsministers tut das keinen Abbruch. Auf dem Jahrestreffen der Erneuerbaren-Branche am Donnerstagabend in Berlin kündigt Peter Altmaier (CDU) an, die Ressortabstimmung des Strategiepapiers "in vertretbar kurzer Zeit zu beenden". Das Grüner-Wasserstoff-Projekt bezeichnet er als das größte Vorhaben seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg und der deutschen Einheit.
Gemessen an diesem Anspruch gäbe es für den Entwurf der Wasserstoffstrategie nur eine passende Ablage: den Papierkorb. Klimapolitisch droht nach jetzigem Stand ein Totalausfall.