Pipeline
Voraussagen, dass Ölpipelines wegen Erschöpfung der Ressourcen leerlaufen, hat es schon viele gegeben – nun scheint die Klimakrise den "Peak Oil" doch näherzubringen. (Foto: Rodion Kuzajew/​Wikimedia Commons)

Der Chef des französischen Ölkonzerns Total fährt ein Elektroauto und scheint damit zufrieden zu sein: "Ich bin überzeugt, dass wir in Städten in zehn bis 15 Jahren massenweise Elektroautos haben werden", prophezeit Patrick Pouyanné.

Sollte er recht behalten, wird das die Nachfrage nach dem Hauptprodukt seiner Firma reduzieren. Die britische Denkfabrik Carbon Tracker schätzt, dass bereits im nächsten Jahrzehnt die globale Ölnachfrage ihren Höhepunkt erreicht und dann relativ schnell sinkt. Gleichzeitig wird erwartet, dass der globale Stromverbrauch stark ansteigt.

Aus Klimasicht ist das unerlässlich, denn die globalen CO2-Emissionen müssen bis zum Jahr 2030 halbiert werden, wenn die Chance bestehen soll, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen.

Der Chef des niederländisch-britischen Ölkonzerns Shell, Ben van Beurden, ist derweil sicher, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden: "Ich bin recht zuversichtlich, dass Paris umgesetzt wird, weil es einen signifikanten gesellschaftlichen Druck dahinter gibt. Und ich habe die Absicht, davon zu profitieren."

Shell hat sich denn auch ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Der Konzern will in einem Dutzend Jahren der größte Stromanbieter der Welt sein. Das sorgt derzeit in Deutschland für Aufregung, denn Shell will die Muttergesellschaft des deutschen Ökostromanbieters Lichtblick übernehmen. Dabei dürfte es Shell nicht zuletzt auf eine Lichtblick-Software abgesehen haben. Diese verknüpft Solaranlagen, Windräder und Batterien zu einem "virtuellen Kraftwerk".

Im Strommarkt verfolgen Shell und andere europäische Ölkonzerne die gleiche Strategie wie in ihrem herkömmlichen Geschäft: Alle Glieder der Wertschöpfungskette werden vertikal integriert – vom Ölfeld bis zur Tankstelle respektive vom Solarkraftwerk bis zum Stromkunden.

John Abbott, bei Shell zuständig für die Weiterverarbeitung, räumte kürzlich ein: "Die Realität ist, dass wir bei einigen dieser Wertschöpfungsketten nicht wissen, wo die Gewinne sein werden." Folglich gehen die Konzerne auf Nummer sicher und investieren in alle Kettenglieder.

Das können sie sich auch leisten, denn dank des gestiegenen Ölpreises sprudeln die Gewinne. Zudem sind Ölkonzerne im Vergleich zu den meisten Stromkonzernen gigantisch. Der größte Produzent von Ökostrom der Welt, Nextera Energy aus den USA, hatte letztes Jahr einen Umsatz von 17 Milliarden US-Dollar.

Das ist weniger als der Gewinn von Shell im selben Jahr. Der Anteil der Investitionen von europäischen Ölkonzernen, die in das Stromgeschäft fließen, ist denn auch gering. Bei Shell und dem norwegischen Konzern Equinor (vormals Statoil) fließen zwischen fünf und sechs Prozent der Investitionen ins Stromgeschäft. Beim italienischen Konzern Eni sind das vier Prozent und bei der französischen Total sowie der britischen BP rund drei Prozent. Der Rest der Investitionen geht ins herkömmliche Geschäft mit Öl und Gas.

Je größer das Stromgeschäft, desto weniger Rendite?

Das liegt auch an der erwarteten Rendite. Bei der Öl- und Gasförderung in einem Entwicklungsland erwarten institutionelle Investoren eine Rendite von 20 Prozent. Bei einem Wind- oder Solarkraftwerk in einem Industriestaat geben sie sich hingegen mit zehn Prozent zufrieden. Marktbeobachter gehen daher davon aus, dass die Rendite der Konzerne sinkt, je größer das Stromgeschäft wird.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs sieht das allerdings anders: "Wir glauben, dass dieser Schluss einige entscheidende Dynamiken der Transition zu einer Welt mit geringen CO2-Emissionen ignoriert, und wir kommen zum umgekehrten Schluss: Die großen Ölkonzerne werden bessere Renditen erzielen auf ihrem Weg zu großen Strom- und Energiekonzernen." Der Grund: In den vergangenen Jahren wurde zu wenig und in den kommenden Jahren wird ebenfalls zu wenig Geld in die Förderung von Öl und Gas investiert, was für hohe Preise sorgt.

Carbon Tracker ist da anderer Meinung. Der Thinktank schätzt, dass bei Eni, Equinor, Shell, Total sowie dem spanischen Konzern Repsol zwischen 20 und 30 Prozent der geplanten Investitionen in Öl und Gas nicht einmal mit dem Zwei-Grad-Ziel vereinbar sind. BP steht etwas besser da: Hier sind es zehn bis 20 Prozent.

In einer Studie eines anderen britischen Thinktanks, CDP (vormals Carbon Disclosure Project), schneiden die europäischen Konzerne dennoch gut ab. CDP hat untersucht, wie gut Öl- und Gaskonzerne auf eine Klimapolitik vorbereitet sind, die sich an den Zielen des Paris-Abkommens orientiert. Auf den ersten fünf Plätzen liegen ausschließlich Konzerne aus Europa: Equinor, Total, Shell, Eni und Repsol. Das liegt allerdings auch daran, dass die großen US-Konzerne Exxon und Chevron bislang nicht ins Stromgeschäft investieren.

Diese investierten dafür noch letztes Jahr in Lobbying-Maßnahmen, die eine ehrgeizige Klimapolitik verhindern sollen. Das taten freilich auch BP und in geringerem Maß Shell und Total. Dies ist das Ergebnis einer Studie der britischen Anti-Lobbying-Organisation Influence Map.

Shell hat mittlerweile jedoch angekündigt, aus Industrieverbänden auszutreten, die das Paris-Abkommen nicht unterstützen. Auf Druck von Investoren hat sich der Konzern zudem Klimaziele gesetzt, die auch die Emissionen beim Verbrauch von Shell-Produkten umfassen, also der Verbrennung von Öl und Gas. Damit diese Ziele auch eingehalten werden, hat Shell die Entlohnung seines Managements an deren Erreichung gekoppelt.

Andrew Logan vom ethischen Investorenverband Ceres lobt die Firma denn auch: "Shell ist das einzige Unternehmen der Industrie, das bereit war, diese philosophische Wasserscheide zu überschreiten" und die Emissionen beim Verbrauch mitzuberücksichtigen.

Damit diese Emissionen sinken, ist Shell sogar dafür, dass in Großbritannien der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren nicht erst ab 2040 verboten wird. Während der letztjährigen Klimakonferenz sagte Shell-Chef van Beurden: "Wenn man das früher machen könnte, wäre das natürlich willkommen." Nicht alle seiner Kollegen werden dieser Meinung sein.

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