Biogasanlage
Die "Treibhausgasminderungsquote", kurz THG-Quote, ersetzt seit 2015 die sogenannte Biosprit-Quote. (Foto: Evelyn Simak/​geograph)
 

Klimareporter°: Herr Baumann, um nicht weniger als das Zwölffache will der Biogasrat in den nächsten zehn Jahren die Erzeugung von Biomethan steigernvon zehn Milliarden auf 120 Milliarden Kilowattstunden. Der Treibstoff soll vor allem Benzin und Diesel ersetzen und die CO2-Emissionen im Verkehr senken. Wie findet Ihr Biokraftstoff-Verband, bisher der Platzhirsch in diesem Bereich, diese Ansage?

Elmar Baumann: Auch Biomethan ist einer unserer Kraftstoffe. Seit diesem Jahr ist bei uns die Verbio AG Mitglied, der größte inländische Produzent von Biomethan-Kraftstoff im Straßenverkehr.

Wegen der Änderungen im EEG zulasten des Biogases gibt es zwar schon seit Längerem Gedanken, Biogas in Form von Biomethan verstärkt im Verkehr zu nutzen. In dem Bereich werden aber gegenwärtig nur sehr begrenzte Mengen verwendet: Wir setzen zwar Biokraftstoff auf Grundlage der vorgegebenen Treibhausgasquote ein – derzeit vier, ab 2020 sechs Prozent –, diese Quote ist aber so niedrig, dass außer der gängigen Beimischung von Biodiesel und Bioethanol kaum mehr Biokraftstoff benötigt wird. Es gibt deshalb bislang keinen großen Anreiz, Biomethan verstärkt als Kraftstoff einzusetzen.

Der Biogasrat strebt das aber offenbar an.

Um mehr Biomethan im Verkehr zum Einsatz zu bringen, müsste man das tun, was die regierende Koalition in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat: die Treibhausgasquote weiterentwickeln. Andernfalls gibt es keine steigende Nachfrage nach Biomethan, weil die Quote insgesamt zu gering ist.

Biomethan, das aus bestimmten Abfällen und Reststoffen hergestellt ist, kann auf die Unterquote für fortschrittliche Biokraftstoffe angerechnet werden. Diese Zielvorgabe aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie II ist aber eben deutlich zu niedrig, um die Biomethan-Mengen aufzunehmen, die wir allein aus diesen Rohstoffen, die in Deutschland anfallen, herstellen könnten.

Die Bundesregierung geht in ihrem Klimaschutzplan für das 2030er Ziel im Bereich Verkehr übrigens seit Jahr und Tag davon aus, dass neben Effizienzgewinnen, Verkehrsverlagerung und -vermeidung sowie einem erklecklichen Anteil Elektromobilität auf alle Fälle erhebliche Mengen erneuerbarer Kraftstoffe benötigt werden ...

Biomethan, Bioerdgas

Als "Biomethan" oder "Bioerdgas" wird Gas aus Biogasanlagen bezeichnet, das anschließend so aufbereitet wurde, dass es Erdgas-Qualität hat. Normalerweise enthält Biogas viel CO2 und Schwefelwasserstoff und ist damit für etliche Anwendungszwecke nicht nutzbar. Deshalb werden diese Stoffe entfernt und der Methan-Anteil wird erhöht.

Das "Bio" in Biogas und Bioerdgas bedeutet nur, dass das Gas aus biologischem Material hergestellt wurde, mit Bio-Landwirtschaft hat es nichts zu tun. Die Rohstoffe für Biomethan stammen vor allem aus der industriellen Landwirtschaft.

 

Davon gehen eigentlich alle Szenarien mehr oder weniger aus.

... und zwar zu einem Marktanteil von 20 Prozent, selbst wenn man von großen Effizienzgewinnen und 6,5 Millionen Elektrofahrzeugen auf den Straßen ausgeht.

Erstaunlich ist eher, dass die Bundesregierung diese Erkenntnis bisher nicht umgesetzt hat. Sie redet nur über Szenarien und Studien, aber nicht über die erforderliche Anpassung der Gesetzgebung.

Zum Beispiel will sie, wie erwähnt, nach dem Koalitionsvertrag die Treibhausgasquote weiterentwickeln, bringt aber keine Gesetzesänderung hierfür auf den Weg.

Selbst bei einem schnellen Hochlauf der E-Mobilität wird es 2030 noch mehr als 40 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor geben. Erneuerbare Kraftstoffe stellen den einzigen Hebel dar, um im Fahrzeugbestand die Emissionen zu reduzieren. Zu den erforderlichen 20 Prozent Marktanteil der erneuerbaren Kraftstoffe könnten Biokraftstoffe etwas mehr als die Hälfte beitragen, strombasierte Kraftstoffe und weitere fortschrittliche Biokraftstoffe die andere Hälfte.

Die Erdgas-Wirtschaft argumentiert ähnlich: Weil mit der E-Mobilität allein die nötige CO2-Reduktion im Verkehr nicht zu schaffen ist, sollte man auch auf den Erdgas-Antrieb setzen. Das Problem ist nur: Wie bekommt man das Erdgas wieder aus dem Markt, wenn man bis 2050 klimaneutral werden will?

Bei Prognosen, welche Technologie bis wann existiert, halte ich mich zurück.

Auch Erdgasfahrzeuge können massiv zur Minderung bei Treibhausgasen beitragen, wenn sie mit Biomethan fahren, mittel- und langfristig kann Power-to-Gas als Option hinzukommen. In Nutzfahrzeugen, zum Beispiel schweren Lkw, kann Biomethan heute schon in Form von LNG, also verflüssigtem Erdgas, eingesetzt werden.

Die Bundesregierung macht nichts verkehrt, wenn sie Biomethan für den Straßenverkehr mit ins Kalkül zieht. Für die Produktion setzt beispielsweise Verbio biogene Reststoffe ein, die sich sonst nur mit ungleich größerem Aufwand in flüssige Kraftstoffe umwandeln lassen.

Die zwölffache Menge Biomethan im Vergleich zu heute lässt sich aber nicht aus Reststoffen herstellen.

Die Zahl ist schon groß, bezieht sich aber auf alle Arten, wie man Biomethan nutzen könnte, also nicht nur im Verkehr, sondern auch in Blockheizwerken oder -kraftwerken, um Strom und Wärme zu erzeugen. Die Verwendung als Kraftstoff im Straßenverkehr ist dabei mit Abstand der kleinste Markt.

Eine, wie von Ihnen gefordert, höhere Treibhausgasquote würde auch den Bedarf nach Biomasse erhöhen. Bislang hat importiertes Palmöl einen Anteil von etwa einem Sechstel an Rohstoffaufkommen für agrarisch basierte Kraftstoffe. Geht der fragwürdige Palmölimport dann auch nach oben?

Die Nutzung von Palmöl ist von der EU für die Zeit nach 2020 reguliert worden. Danach sind die Mengen palmölbasierter Kraftstoffe, die auf das Erneuerbare-Energien-Ziel der EU angerechnet werden dürfen, zunächst begrenzt und werden dann in Richtung 2030 auf null heruntergefahren.

Palmöl wurde von der Europäischen Kommission grundsätzlich als Rohstoff identifiziert, der zur Rodung von Wäldern in hoch kohlenstoffhaltigen Gebieten beiträgt. Deswegen wird herkömmliches Palmöl bis 2030 nach und nach aus dem Markt genommen.

Und das Palmöl, das dann noch als Biokraftstoff eingesetzt werden darf, muss zusätzlich produziert werden, und zwar durch Ertragssteigerungen oder Anbau auf ungenutzten Flächen. Insofern wird Palmöl absehbar an Bedeutung verlieren.

Porträtaufnahme von Elmar Baumann.
Foto: Die Hoffotografen/​VDB

Elmar Baumann

Der studierte Biotechnologie- und Wirtschafts­ingenieur ist seit 2009 Geschäfts­führer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoff­industrie (VDB). Im VDB haben sich größere Hersteller von Agrokraft­stoffen organisiert, darunter ADM, Cargill, Evonik und Verbio. Die Mitglieder repräsentieren nach Verbands­angaben 60 Prozent der inländischen Produktion.

Die Branchen, die ganz auf Ökostrom bauen und daraus auch synthetische Kraftstoffe machen wollen, machen Ihnen jetzt die Anbauflächen für Biomasse streitig. Dort heißt es, mit Freiflächen-Photovoltaik lasse sich zehn- bis hundertmal mehr Energie von einem Hektar Fläche ernten als mit Bioenergie. Wie finden Sie diese Konkurrenz im Hause der Erneuerbaren?

Wir wären nicht davon angetan, wenn sich jetzt die eine erneuerbare Energie gegen die andere aufschwingt und diese schlechtredet. Das halte ich für wenig sinnvoll. Aussagen über die vermeintliche Flächeneffizienz gibt es immer wieder. Man vergleicht da ein bisschen Äpfel mit Birnen.

Die Sache ist die: Unsere Branche erschafft zugleich auch einen hochwichtigen Energiespeicher. Den hat der Photovoltaik-Strom erst einmal nicht, da braucht man schon irgendeine Art von Zwischenspeicher. Zudem entsteht bei der Biokraftstoffherstellung eiweißreiches Futtermittel. Insofern ist die Flächennutzung nicht so einfach zu vergleichen.

Letztlich brauchen wir erneuerbaren Strom aus Wind und Sonne im Verkehrssektor genauso wie Biokraftstoffe. Heute liefern wir – als mit Abstand größter europäischer Produzent – 3,3 Millionen Tonnen Biodiesel im Jahr. In Deutschland werden jährlich aber 38 Millionen Tonnen herkömmlicher Diesel verbraucht.

Bis wir dahin kommen, dass wir durch Maßnahmen zur CO2-Minderung im Verkehr keinen fossilen Diesel mehr benötigen – da müssen schon große Dinge passieren. Es steht außer Frage, dass es bis 2030 gar nichts gibt, was Biokraftstoffe ersetzen könnte.

Und danach?

Danach werden Biokraftstoffe sicher stärker, wie es früher schon einmal war, in Nutzfahrzeugen eingesetzt. Die Lkws könnten zum Beispiel mit reinem Biodiesel fahren. Biokraftstoffe werden außerdem für den Verbrennungsmotor in Hybrid-Pkw und Fahrzeugen mit hoher Reichweite benötigt.

Es gibt einen enormen Energiebedarf im Straßenverkehr. Debatten darum, ob eine Technik das allein bewältigen kann, sind albern. Wir werden alle erneuerbaren Energiequellen brauchen, natürlich auch Biokraftstoffe.

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth weist gerne darauf hin, man benötige auch im Verkehr ab 2050 etwas völlig Klimaneutrales. Und Biokraftstoffe haben eben immer geringe Restemissionen, sei es aus der landwirtschaftlichen Produktion oder aus der Umwandlung der Rohstoffe heraus.

Das stimmt, aber es stimmt eben auch, dass Deutschland bis 2050 ein nur noch begrenztes CO2-Budget zur Verfügung steht, bevor Kipppunkte erreicht werden. Deshalb müssen wir bereits bis 2030 alle vorhandenen Möglichkeiten zur Emissionsminderung nutzen. Dem hat Staatssekretär Flasbarth übrigens zugestimmt.

Biokraftstoffe sind in relevanten Mengen verfügbar, und die Infrastrukturkosten sind herzergreifend gering.

Ein Ladesäulenprogramm und eine Kaufprämie sind im Klimapaket nur für E-Mobilität vorgesehen. Sieht Ihre Branche da auch Nachbesserungsbedarf?

Die Regierung plant, etwa eine Milliarde Euro für Forschung und Entwicklung für fortschrittliche Biokraftstoffe aufzubringen. Das ist an sich sehr sinnvoll, bringt diese Kraftstoffe aber noch nicht in den Markt.

Das kann nur ein regulatorischer Rahmen leisten, der dafür sorgt, dass schrittweise Platz geschaffen wird. Mit einer ab 2020 auf sechs Prozent gedeckelten Treibhausgasquote werden sich die verschiedenen erneuerbaren Kraftstoffe gegenseitig kannibalisieren.

Die Elektromobilität sorgt zusätzlich dafür, dass der Beitrag von Biokraftstoffen reduziert wird. Die Bundesregierung sollte stattdessen mit einer stufenweisen Erhöhung der Treibhausgas-Quote ermöglichen, dass neue Optionen ihren Beitrag zum Klimaschutz im Verkehr leisten.

Die Einführung des nationalen Emissionshandels für den Straßenverkehr ist im Hinblick auf den Einsatz erneuerbarer Energien wirkungslos – eine reine Scheinaktivität. Nur die Treibhausgasquote sorgt dafür, dass der Fahrzeugbestand durch den Einsatz von Biokraftstoffen einen Beitrag zur CO2-Minderung erbringt. Und viel Zeit ist nicht mehr – 2030 ist letztlich übermorgen.

Wird der Verkehrsminister also erst dann bei Ihnen auf der Matte stehen, wenn er ab 2022 – wie es jeder erwartet – bei seinen Klimamaßnahmen nachsteuern muss?

Das ist ein valider Punkt. Bei vielen Maßnahmen im Verkehr lässt sich ja nicht genau abschätzen, welche Klima-Effekte sie bringen. Bei welchem Kraftstoffpreis die Nachfrage tatsächlich zu sinken beginnt, ist schwer festzumachen. Auch Verhaltensänderungen und Sprunginnovationen sind kaum vorauszusagen.

Wie eine Quote wirkt, ist aber gut einzuordnen. Insofern ist es wahrscheinlich, dass beim Nachsteuern eine Quote zum Zuge kommt. Solche Ad-hoc-Aktionen halte ich aber nicht für die allerglücklichste Politik.

Mit einem langfristigen Pfad – wie einer jährlich um einen halben oder ganzen Prozentpunkt steigenden Treibhausgasquote – kann man verlässlicher Investitionen anregen, als wenn man das fünf nach zwölf tut.

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