Preisfrage: Wie groß ist die weltweite Leistung von Elektrolyseuren, die grünen Wasserstoff herstellen? Antwort: 1.000 Megawatt. So viel kommt derzeit allein in Deutschland jeden Monat an Solarstrom-Kapazität hinzu.

Wie bei der Photovoltaik soll es auch mit dem grünen Wasserstoff global steil nach oben gehen. Schon 2030 soll die weltweite Elektrolyse-Leistung knapp 120.000 Megawatt erreichen.

 

Zur Einhaltung des Pariser 1,5‑Grad-Limits hält eine im Dezember veröffentlichte Analyse der Unternehmensberatung Roland Berger eine Kapazität von 590.000 Megawatt für grünen Wasserstoff für nötig, um fossile Energien – Erdgas vor allem – zu ersetzen.

Diese und andere Angaben aus der Roland-Berger-Analyse verbreitete Markus Exenberger, Vorstand der H2‑Global-Stiftung, kürzlich bei einem Fachgespräch der Grünen-Fraktion im Bundestag, allerdings ohne die Quelle zu erwähnen.

Laut Exenberger, also laut Roland Berger, sind derzeit auch erst 5.000 Megawatt Elektrolyseure im Bau. Die Regierungen haben sich aber verpflichtet, weltweit 260.000 Megawatt zu schaffen. Zum Vergleich: Das ist etwas mehr als die aktuelle Leistung sämtlicher Kraftwerke in Deutschland.

Grüne Super-Infrastruktur soll vor allem privat finanziert werden

Ob die neue Super-Infrastruktur für grünen Wasserstoff notwendig ist, hinterfragt die Analyse nicht. Klar ist aber: Ihre Schaffung kostet eine Menge Geld, laut Exenberger um die 4.000 Milliarden US-Dollar.

"Wir sprechen über etwas, wo wir in hohem Maße auch den Privatsektor hereinholen müssen, auch den privaten Finanzierungssektor", erklärte der Stiftungsdirektor beim Fachgespräch.

Die nötige Mobilisierung privaten Kapitals kollidiert dabei mit den Forderungen besonders aus dem Klima- und Umweltbereich, grüner Wasserstoff dürfe nur unter Einhaltung verschiedener Nachhaltigkeitskriterien erzeugt werden.

So fordert das NGO-Bündnis Klima-Allianz Deutschland, dass die Bundesregierung grünen Wasserstoff und dessen Derivate wie Ammoniak in den Erzeugerländern nur dann fördert, wenn diese Gase mit zusätzlich installierten Ökostromanlagen hergestellt werden.

Klimabündnis fordert Nachhaltigkeit für grünen Wasserstoff

Weiter müsse die Zivilgesellschaft der Exportländer bei den H2-Projekten konsultiert werden, und Standards für Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung müssten Voraussetzung jeglichen Engagements sein. Zudem sollten die Länder gezielt beim Aufbau eigener industrieller Strukturen rund um Wasserstoff unterstützt werden, so die Klima-Allianz.

Schreibe Deutschland H2-Projekte in anderen Ländern aus, würden sehr wohl Standards wie die Bewahrung von Trockenregionen und Naturschutzgebieten sowie der Schutz vor Zwangsumsiedlung gelten, betonte Markus Exenberger beim Fachgespräch.

Er wies aber auch darauf hin, dass Deutschland und Europa beim Wasserstoff im internationalen Kontext unterwegs sind. Länder wie Japan, Südkorea und andere benötigten ebenfalls "große Volumina" an grünem H2. Die Nachhaltigkeitskriterien müssten deswegen zu einem internationalen Standard werden.

Aus Sicht des H2‑Global-Direktors ist die Industrie auch bereit, die Kriterien mitzutragen und den Schutz von Umwelt und Wasserressourcen nicht infrage zu stellen. Wolle man beim Wasserstoff weiterkommen, plädiere er dennoch für ein "gerüttelt Maß an Pragmatismus", sagte Exenberger.

Anders gesagt: Zu strenge Nachhaltigkeitskriterien könnten abschreckend wirken und Deutschland im Wettbewerb um die "grüne" Ressource Nachteile bringen.

Öffentliche Hand geht vielfach in Vorleistung

Der Widerspruch, dass die Wasserstoffinfrastruktur vor allem privatwirtschaftlich finanziert werden, die öffentliche Hand aber die Risiken minimieren soll, prägt die H2‑Global-Stiftung auch selbst.

Künftig soll sie per Auktion die Preisdifferenz überbrücken zwischen den hohen Preisen, zu denen Wasserstoff auf dem Weltmarkt verfügbar ist, sowie den niedrigeren Preisen, zu denen Wasserstoff regional weiterverkauft und wirtschaftlich eingesetzt werden kann. Dies verkündete das Bundeswirtschaftsministerium bereits Ende 2021 und gab H2-Global 900 Millionen Euro als Startkapital mit.

Das Gebäude des Bundeswirtschaftsministeriums in der Berliner Invalidenstraße.
Das Bundeswirtschaftsministerium setzt auf privates Kapital, und dieses hätte gern eine hohe Rendite und ein niedriges Risiko. (Bild: Jörg Zägel/​Wikimedia Commons)

Weiter sollen laut Ministerium die aus der Preisdifferenz entstehenden Verluste für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren durch den Bund ausgeglichen werden. Für 2024 sind erste Lieferungen von Wasserstoff oder H2-Derivaten nach Deutschland und Europa geplant.

Dass privates Kapital die mit der H2-Wirtschaft verbundenen Risiken noch scheut, bestimmt auch die Debatte um das deutsche Wasserstoff-Kernnetz.

Dieses soll bei Fertigstellung in acht Jahren rund 9.700 Kilometer lang sein, zu 60 Prozent aus umgestellten Erdgasleitungen bestehen und knapp 20 Milliarden Euro kosten. Einen Entwurf, wo künftig H2-Leitungen liegen sollen, wollen die Bundesnetzagentur und die Ferngasgesellschaften bis zum 21. Mai vorlegen.

Ausgleichskonto für Wasserstoff-Kernnetz bis 2055

Auch hier geht die öffentliche Hand in Vorleistung. Um das Netz neu in die Erde stampfen zu können, wo es noch auf Jahre kaum Bedarf an dem grünen Brennstoff gibt, werden – so die gestrige Einigung der Koalition – die Netzbetreiber ein Konto einrichten, aus dem die Netzgebühren zunächst subventioniert werden. Das Geld soll die KfW vorschießen.

Läuft das H2-Geschäft dann so ab Mitte der 2030er Jahre gut, müssen die Betreiber mithilfe der Netzgebühren das Konto wieder ausgleichen. Sollte dies bis 2055 entgegen den Prognosen nicht möglich sein, sollen die privaten Investoren dann 24 Prozent des Fehlbetrages übernehmen.

Das knappe Viertel Selbstbehalt schreckt die Kapitalgeber jedoch ab, das machten die Gasnetzbetreiber kürzlich bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss für Klima und Energie klar.

Der Selbstbehalt solle wegfallen oder wenigstens von 24 auf 15 Prozent gesenkt werden, fordert neben anderem Barbara Fischer, Geschäftsführerin der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas. Den Netzbetreibern gehe es nicht darum, ihre Renditemöglichkeiten zu erhöhen, vielmehr wollten sie die Risikobewertung der Investoren verbessern, erläuterte Fischer die Motivlage.

Für die Risiken ist den Netzbetreibern der Garantiezins zu niedrig

Noch ein weiteres Problem hält Investoren bisher davon ab, weniger scheu aufs Wasserstoff-Netz zu schauen. Das sind die geplanten Netzgebühren. Diese sollen nur eine Eigenkapitalverzinsung von 6,69 Prozent garantieren – und auch das nur bis 2027. Danach soll die Bundesnetzagentur einen neuen Zinssatz festlegen.

In dem Punkt zeigte sich Gabriël Clemens, Geschäftsführer von Eon Hydrogen, bei der Anhörung skeptisch. Die geplante Verzinsung sei geringer als bei Investitionen ins Stromnetz.

"Alle Unternehmen mit Gas- und Stromnetzen fragen sich: Warum soll ich ins Kernnetz investieren, wenn es im Stromnetz weniger Risiken und mehr Rendite gibt?", erklärte der Chef der Eon-Wasserstoffsparte. Auch hingen der Bedarf nach Wasserstoff und damit die Auslastung der Netze von Faktoren ab, die die Betreiber kaum beeinflussen könnten.

Der Bundesrat hat die Sache mit dem scheuen Kapital schon verstanden und fordert in einem Beschluss von Mitte Dezember 2023, den Selbstbehalt auf 15 Prozent abzusenken.

Begründung: Die Finanzierung fürs Wasserstoff-Kernnetz müsse am Ende so ausgestaltet werden, dass das privatwirtschaftliche Engagement tatsächlich stattfindet. Anderenfalls würden sich die notwendigen Investitionen in das Netz verzögern oder ganz ausbleiben.

 

Am gestrigen Freitagnachmittag meldeten große Verbände, die Ampel-Koalition habe sich bei der Finanzierung des Kernnetzes geeinigt. So erklärte BDEW-Chefin Kerstin Andreae, im Parlament seien die Regeln zu den Finanzierungsbedingungen "nochmals geschärft" worden.

Allerdings seien dabei "wichtige Forderungen des Bundesrates wohl nicht aufgenommen" worden, mutmaßte Andreae. Dies sei "sehr bedauerlich".

Am späten Freitagabend teilte die Koalition dann ihrerseits mit, dass das Amortisationskonto, das den Hochlauf vorfinanziert, von den Netzbetreibern selbst organisiert wird und die KfW die nötigen Ausgleichskredite gibt. Sollte ein Betreiber insolvent gehen, müssen die anderen Betreiber nicht für die Verluste haften.

Ob sich die Ampel aber für 24 oder 15 Prozent oder für ganz andere Prozentsätze entschieden hat – die Preisfrage ist weiter offen.