Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will Klimaschutz vermeiden, kann das aber nicht so deutlich sagen. (Bild: Jürgen Nowak/​Shutterstock)

Spätestens Dienstagmittag übernächster Woche wissen wir, ob das Solarpaket oder das Klimaschutzgesetz oder beide endlich vom Bundestag verabschiedet werden. Am Vormittag des Dienstags einigen sich die Fraktionen über die Tagesordnung des Plenums – worüber dort also debattiert und abgestimmt wird.

Bisher schaute die Öffentlichkeit eher auf das Solarpaket. Strittig war zuletzt, ob es einen Resilienzbonus zugunsten der einheimischen Solarindustrie geben soll – am Ende setzte sich hier die FDP mit ihrem Nein durch.

Das soll übrigens schon Mitte März passiert sein. Ende März bestätigte das Bundeswirtschaftsministerium, die Skepsis des Koalitionspartners gegenüber dem Bonus sei zu groß gewesen.

Allerdings ist trotz der Einigung keineswegs sicher, dass das Solarpaket jetzt endgültig verabschiedet wird, obwohl der Zeitdruck immer mehr steigt.

Solarpaket und Klimaschutzgesetz sind gekoppelt

So warnte der Energiebranchenverband BDEW am Donnerstag in ziemlich scharfem Ton: Beschließt der Bundestag die im Solarpaket vorgesehene Windkraft-Regelung für Beschleunigungsgebiete jetzt nicht, kann die Gesetzgebung nicht mehr in der von der EU gesetzten Frist bis zum 21. Mai abgeschlossen werden.

In dem Zusammenhang nannte es BDEW-Chefin Kerstin Andreae "befremdlich", dass das Solarpaket mit dem Klimaschutzgesetz gekoppelt werden solle.

 

Befremdlich daran ist eher, dass der BDEW erst jetzt damit um die Ecke kommt. Denn tatsächlich ist es so, dass die ebenfalls seit Monaten im Bundestag schmorende Novelle des Klimagesetzes nicht erst mit dem Solarpaket gekoppelt werden soll, sondern beide Gesetzesvorhaben sind bereits gekoppelt.

Wie es dazu kam, ist zunächst übliche parlamentarische Praxis. Können sich Fachpolitiker der Koalitionsfraktionen nicht einigen, übernehmen irgendwann die zuständigen Vizechefs der Fraktionen. Im Fall des Klimagesetzes sind das Matthias Miersch (SPD), Julia Verlinden (Grüne) und Lukas Köhler (FDP).

Politisches Tauziehen um europäische Klimapflichten

Auf höherer Ebene kann politisch anders gedealt werden. Jüngstes Beispiel ist die Einigung der Ampel zum einen auf die Verlängerung der Mietpreisbremse (SPD und Grüne dafür, FDP dagegen) sowie zum anderen auf die sogenannte Quick-Freeze-Datenspeicherung (SPD und Grüne dagegen, FDP dafür).

Inhaltlich haben beide Gesetze nichts miteinander zu tun. Das gilt im Kern auch für das Solarpaket und die Novelle des Klimaschutzgesetzes. Allerdings gaben SPD und Grüne beim Resilizienzbonus nach, und die ausgehandelte Bedingung dafür ist vermutlich, dass die FDP ihnen beim Klimagesetz entgegenkommt.

Dabei soll es, wie zu hören war, vor allem um die Frage gehen, wie Deutschland im Klimagesetz mit der absehbaren Verletzung seiner Pflichten aus der europäischen Lastenteilung ("Effort Sharing") umgehen soll.

Selbst die jüngst von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgestellte Treibhausgas-Projektion 2024 kommt zum Ergebnis: Deutschland wird seine Vorgabe beim Effort Sharing um 126 Millionen Tonnen CO2 verfehlen.

Die FDP-Fraktion soll hier auf dem Standpunkt beharren, diese Überziehung werde sich mit der für 2027 geplanten Einführung eines EU-Emissionshandels für Gebäude und Verkehr quasi in Luft auflösen – und wenn nicht, könne Deutschland sich ja immer noch mit billigen CO2-Zertifikaten vornehmlich aus Osteuropa von der Überziehung freikaufen.

FDP-Klimapolitik mit absurden Volten

Mit der Ansicht steht die FDP in der Fach- und Rechtswelt ziemlich allein, um nicht zu sagen einsam da. Zugleich versperrt sie sich aber offenbar auch klimapolitisch wirksamen Änderungen gerade im Verkehr, um die Überziehung beim Effort Sharing und damit auch drohende zweistellige Milliardenkosten durch den nötigen Kauf von Emissionsrechten zu verringern.

Es ist also geradewegs die FDP, die derzeit die Verabschiedung des Klimagesetzes blockiert. Aus dieser Sicht wirkt der gestern von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) an die Fraktionschefs der Ampel-Fraktionen gerichtete Brief wie eine absurde Volte.

Wissing soll darin kategorisch verlangen, das neue Klimagesetz zu verabschieden. Sonst müsse er – kleiner Einschub: wegen dem "alten" Klimagesetz – ein Sofortprogramm für seinen Verkehrsbereich vorlegen, um spätestens 2030 sein Sektorziel einzuhalten. Und das gehe nur, warnt Wissing effektvoll, mit flächendeckenden und tagelangen Fahrverboten.

Anders gesagt: Auf den deutschen Autofahrer käme der blanke Horror zu.

Komisch aber: Letztes Jahr, 2023, galt das "alte" Gesetz auch noch. Trotzdem fühlte sich Wissing gar nicht verpflichtet, ein scharfes Sofortprogramm vorzulegen, obwohl der Verkehr 2022 sein Sektorziel um rund zehn Millionen Tonnen CO2 überzogen hatte.

2023 fühlte sich Wissing noch nicht ans Klimagesetz gebunden

Es werde ja bald ein neues Klimaschutzgesetz vorliegen, begründete das Verkehrsministerium die Weigerung, ein Sofortprogramm vorzulegen. Tatsächlich sieht das neue Klimagesetz vor, dass die Sektorziele nicht mehr verbindlich sind und Mehremissionen, wie sie besonders bei Verkehr und Gebäuden drohen, durch Minderemissionen ausgeglichen werden, etwa bei Energie und Industrie.

Die politischen Ränkespiele von Wissing und der FDP haben es wirklich in sich. Mittels publikumswirksamer Angstmache wegen Fahrverboten will Wissing seine Fraktionskollegen aus der Klemme befreien, in die sie sich mit ihrem Starrsinn beim Effort Sharing und der Ablehnung des Resilienzbonus manövriert haben.

In beiden Fällen lautet die FDP-Prämisse ganz offenbar: Macht doch Klimaschutz, wo ihr wollt, aber nicht bei unserer Autofahrerklientel. Die große Frage wird sein, ob sich Grüne und SPD hier erpressen lassen.

Dass der mächtige BDEW sich jetzt offensichtlich via Solarpaket ebenfalls vor den Karren der FDP spannen lässt, passt ins Bild. In der Erneuerbaren-Branche selbst ist seit Wochen bekannt, dass Solarpaket und Klimaschutzgesetz gekoppelt sind – und niemand findet das "befremdlich".

Leider gab Wirtschaftsminister Habeck Wissing zuletzt ein famoses Argument in die Hand, um zu zeigen, dass das neue Klimagesetz auch ohne verbindliche Sektorziele funktioniert.

Denn der Grüne legte jüngst mit allerlei Grafiken dar, wie gut der Ausgleich zwischen den Mehremissionen in Verkehr und Gebäuden sowie den Einsparungen in den anderen Bereichen klappt und das gesetzliche Klimaziel 2030 sogar übererfüllt wird. Auf dieses Funktionieren soll sich Wissing in seinem Schreiben ausdrücklich berufen.

Dass Habeck bei der Vorstellung der aktuellen Klimaprojektion mehr seinem Hang zu guten Nachrichten folgte als den Tatsachen, zeigt eine am Donnerstag vom Thinktank Agora Energiewende vorgelegte Evaluation.

CO2-Einsparung bis 2030 nur zum geringen Teil wegen Klimaschutz

Zwar haben sich demnach in der 2024er Projektion die für den Zeitraum bis 2030 vorausberechneten deutschen CO2-Emissionen gegenüber der Projektion von 2023 enorm verringert – um fast 380 Millionen Tonnen. Aber nur ein Fünftel dieser Einsparung geht auf reale zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen zurück, etwa das Gebäudeenergiegesetz oder die höhere CO2-Komponente bei der Lkw-Maut, ergab die Prüfung durch Agora Energiewende.

Etwas mehr als ein Drittel der von Habeck angeführten 380-Millionen-Tonnen-Einsparung rechnet der Thinktank der schwachen Konjunktur sowie einem geringeren Stromverbrauch zu. Ein weiteres Drittel gehe auf veränderte Energiepreise und auf Produktionsrückgänge zurück.

Weitere zehn Prozent schließlich führt Agora Energiewende auf geänderte Methodiken bei der Emissionsbewertung zurück, im Klartext also auf Luftbuchungen.

 

Und natürlich warnt auch der Thinktank davor, dass der Bundesrepublik wegen der Verletzung der Effort-Sharing-Ziele hohe Strafzahlungen ins Haus stehen. Grund dafür sei die "verschleppte Wärme- und Verkehrswende". Diesen Fehlbetrag könnten dann andere Sektoren ab 2030 auch nicht mehr ausgleichen, bestätigt Agora Energiewende die Einschätzung anderer Institute.

Wird das Klimaschutzgesetz jetzt nach Wissings Willen verabschiedet, droht also spätestens ab 2030 im Verkehr die klimapolitische Brechstange. Dann wird Wissing schon jenseits der 60 sein und niemand wird wohl daran erinnern, welcher Minister Mitte der 2020er Jahre mit dubiosen Tricks den Klimaschutz im Verkehr an die Wand fuhr.