
Windräder abreißen? Wer das politisch fordert, hat keine Ahnung von Windkraft. Schon rein rechnerisch muss mittlerweile in Deutschland so gut wie jeden Tag mindestens eine Anlage abgerissen werden.
Grund dafür ist die steigende Zahl von Windanlagen, die nach 20 Jahren keine Einspeisevergütung mehr erhalten und früher oder später ans Ende ihrer wirtschaftlichen oder technischen Lebensdauer kommen.
Wurden 2022 gut 250 Anlagen mit zusammen knapp 270 Megawatt Nennleistung endgültig vom Netz genommen, waren es 2023 schon rund 420 Anlagen mit 550 Megawatt. Letztes Jahr gingen schon an die 550 Windtürme mit rund 700 Megawatt Leistung in den Ruhestand – so viel wie noch nie zuvor.
Die Stilllegungen verhagelten der Windbranche 2024 ordentlich die Ausbaubilanz. Der Nettozuwachs lag bei nur 2.545 Megawatt, ein schmerzlicher Rückgang gegenüber dem Vorjahr, ergab die jüngst veröffentlichte Jahresbilanz der Fachagentur Wind und Solar im Auftrag der Branchenverbände BWE und VDMA Power Systems.
Windkraft immer noch nicht auf dem Klimapfad
Die Branche ist damit nach wie vor weit entfernt von den rund 10.000 Megawatt, die jährlich hinzukommen müssten, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Mehrere Trends machen aber Hoffnung.
Der erste: Stillgelegte Standorte werden immer häufiger mit einer modernen Anlage aufgerüstet, also repowert. 2022 wurden erst rund 100 Anlagen repowert, die dann zusammen über rund 420 Megawatt Nennleistung verfügten. In den beiden Folgejahren waren es dann jeweils mehr als 220 Anlagen mit über 1.000 Megawatt (2023) sowie 1.200 Megawatt Leistung (2024).
Bezogen auf die neu installierte Leistung erreichte die Repowering-Quote 2024 nach den Angaben einen Anteil am Zubau von 37 Prozent, den höchsten Wert seit Langem.
Der nächste gute Trend: Die neu installierten Anlagen werden immer leistungsfähiger und übertrafen letztes Jahr erstmals im Schnitt die Fünf-Megawatt-Grenze. 2015 hatte die Generatorleistung der in Betrieb gegangenen Anlagen im Schnitt noch bei 2,7 Megawatt gelegen.
Die allergrößten Hoffnungen verbindet die Branche aber mit den14.000 Megawatt Windkraft, die allein 2024 neu genehmigt wurden. Zugleich wurden letztes Jahr in den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur für die Einspeisevergütung knapp 11.000 Megawatt bezuschlagt. Beide Werte sind bis dato in einem Jahr noch nie erreicht worden.
Was genehmigt wird, geht meist auch in Betrieb
Mit den 14.000 sieht sich die Branche erstmal auf dem 10.000-Megawatt-Pfad. Es müsse aber bei den aktuell verlässlichen Rahmenbedingungen für die Windkraft bleiben, betonte Dennis Rendschmidt anlässlich der Jahresbilanz. "Jede Abkehr von der Windkraft, sowohl ein verringerter Ausbau als auch ein Rückbau, führt in eine Energie-Sackgasse", erklärte der Geschäftsführer des Herstellerverbandes VDMA Power Systems.
Von den jetzt schon genehmigten Anlagen würden die allermeisten auch gebaut, betonte ihrerseits BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek. "Der Projektierer, der einen Zuschlag hat, setzt alles daran, den auch zu realisieren", zeigte sich die Branchenchefin sicher.
Nach BWE-Angaben gehen derzeit 90 Prozent der bezuschlagten Windkraftprojekte am Ende auch in Betrieb. Allerdings dauert es von der Genehmigung bis zur Inbetriebnahme im Schnitt 23 Monate, also fast zwei Jahre. So wird der Boom bei den Genehmigungen voraussichtlich erst 2027 auf den Ausbau durchschlagen.
Rendschmidt sieht hier noch erheblichen Nachholbedarf vonseiten der Politik, um die Lücke zwischen dem politischen Ausbauziel und dem tatsächlichen Zubau zu verkleinern. So müssten Anforderungen an Großraum- und Schwerlasttransporte vereinheitlicht, die Verkehrsinfrastruktur modernisiert und die Netzanschlüsse beschleunigt werden, forderte er.
Rechtsstreit in Nordrhein-Westfalen um Vorbescheide
Inzwischen stößt der Genehmigungsboom auch auf rechtliche Hürden – und das ausgerechnet im Vorzeigeland Nordrhein-Westfalen. Dort stehen im Moment mehr als 1.400 Windkraft-Genehmigungen auf der Kippe.
Der Vorgang ist rechtlich komplex und lief in den Medien bisher meist unter dem Kürzel "Lex Sauerland". Damit soll Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einem Wunsch des im Sauerland beheimateten Unions-Kanzlerkandidaten und Windkraftkritikers Friedrich Merz (CDU) nachgekommen sein.
Tatsächlich nahm das Problem seinen Lauf mit einigen im Juni 2024 beschlossenen Änderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Damit ist es nun beispielsweise möglich, dass Projektierer zentrale Fragen für den Bau neuer Windanlagen bereits vor dem eigentlichen Genehmigungsverfahren über einen Vorbescheid klären lassen können.
Davon machte gerade die Windbranche in Nordrhein-Westfalen reichlich Gebrauch. Nach und nach stellte sich aber heraus: Mehr als 1.400 dieser Vorbescheid-Genehmigungen betreffen Standorte, die außerhalb der vom Land vorgesehenen Windeignungsgebiete liegen. Rechtlich werden diese Gebiete erst Mitte dieses Jahres von den zuständigen Regionalräten beschlossen.
Zweimal hatte die schwarz-grüne NRW-Landesregierung bisher versucht, über Landesvorschriften den in ihren Augen sich abzeichnenden "Wildwuchs" beim Windausbau zu stoppen, war aber jedes Mal vor Gericht gescheitert.
Also musste die Bundesebene wieder ran. Tatsächlich beschlossen Union, Grüne und SPD am vergangenen Freitag eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die auf diese Vorbescheide zielt. Die Neuregelung soll "die Konzentration von Windenergieanlagen in hierzu nach planerischen Kriterien auf Landesebene festzulegenden Windenergiegebieten" gewährleisten, heißt es in der Gesetzesbegründung.
Nach Branchenangaben sorgt die Änderung des Bundesgesetzes dafür, dass die von der NRW-Regierung angestrebten Beschränkungen nur noch für etwa 1.000 der mehr als 1.400 Vorbescheid-Genehmigungen gelten – konkret, wenn die Windkraft-Regionalpläne noch in der Aufstellung sind oder die Vorbescheide erst beantragt wurden. Gültig bleiben sollen aber nach dem Willen des Bundesgesetzgebers die bereits ergangenen Vorbescheide.
Mit dieser Regelung ist die nordrhein-westfälische Landesregierung allerdings nicht zufrieden. Parallel zum Bundestag fasste die schwarz-grüne Koalition im Düsseldorfer Landtag denn auch einen Beschluss, der – von Ausnahmen abgesehen – ein sechsmonatiges Moratorium für alle Vorbescheid-Genehmigungen außerhalb der Windeignungsgebiete festlegt.
Landesregierung beharrt auf Ausbaumoratorium außerhalb der Windgebiete
Obwohl die Regionalpläne zügig erarbeitet würden, seien um die 1.400 Anlagen noch auf den letzten Metern abseits auf anderen Flächen geplant worden – in der Summe sei das nicht gut für den langfristigen Erfolg der Energiewende, begründete Grünen-Fraktionsvize Michael Röls-Leitmann letzte Woche in der Landtagsdebatte den Moratoriumsantrag. "Es ist ein Problem, wenn im Raum steht, dass die Regionalplanung obsolet ist, bevor sie fertiggestellt wird", so Röls-Leitmann weiter.
Nach seinen Worten greift die Bundeslösung von Union, Grünen und SPD zu kurz und betrifft lediglich die Hälfte der 1.400 Genehmigungen per Vorbescheid.
Auch die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur wies in der Debatte auf die Gefahr hin, dass die Landesplanung durch zahlreiche "ungesteuerte" Einzelentscheidungen "unterlaufen" werden könnte. Der Windkraftausbau werde sich so schwerpunktmäßig dorthin verlagern, wo er gar nicht vorgesehen sei. "Diese Entwicklung verstehen die Menschen vor Ort nicht", warnte die Grünen-Politikerin.
Neubaur machte auch darauf aufmerksam, dass derzeit 750 Anträge auf Genehmigung innerhalb der Windeignungsgebiete vorlägen. Das sei alles andere als ein Ausbaustopp, erklärte die Ministerin.
Der Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) kritisiert das Vorgehen scharf. Im "Hauruck-Verfahren" wolle die Landesregierung die Genehmigungen für Windenergie außerhalb von Regionalplanentwurfs-Flächen komplett stoppen. Sie verspiele damit viel Vertrauen und begebe sich erneut auf rechtlich dünnes Eis, erklärte dazu Hans-Josef Vogel.
Der Chef des LEE NRW räumt zwar grundsätzlich ein kommunales "Steuerungsbedürfnis" bei der Planung von Windenergieflächen ein. Allen Windenergievorhaben außerhalb der noch immer nicht fertiggestellten Regionalpläne den Boden zu entziehen, gehe aber deutlich zu weit.
Das juristische Tauziehen um die Windkraft kennt keine Abrissbirne.