Es ist nicht immer nur die FDP, die in der Regierung planlos agiert, meint Martin Kaiser. (Bild: Juergen Nowak/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Kaiser, wir sprachen über die Proteste gegen den Rechtsruck im Land und die Kommunikation der Ampel-Bundesregierung. Wie bewerten Sie die Klimapolitik der Ampel-Regierung insgesamt, die ja eine "Fortschrittskoalition" sein wollte?

Martin Kaiser: Für Greenpeace steht in der im vergangenen November veröffentlichten Halbzeitbilanz die Ampel auf Rot-Gelb, leider nicht auf Grün.

Und mit der Blockade der FDP gegen die finalen EU-Trilog-Kompromisse bei Menschen- und Umweltrechten in der Lieferkette oder beim Umbau von Lkw-Stinkern, aber auch mit den dilettantischen Beschlüssen im Agrarbereich wird es immer schlimmer. Meiner Einschätzung nach steht die Ampel mittlerweile auf Dunkelrot.

Die Ampel hat also zur Klimaschutz-Verdrossenheit beigetragen?

Nicht nur beim Klimaschutz, und das ist somit viel gravierender. Offenbar haben allen voran der ständig blockierende Finanzminister Lindner, ein Klimaschutzminister Habeck, der alle Demütigungen hinnimmt, und ein grottenschlecht agierender und kommunizierender Bundeskanzler nicht verstanden, dass die Performance der Ampel zu einer erheblichen und allgemeinen Politikverdrossenheit geführt hat und damit den Rechtsextremist:innen beim Versuch, die Demokratie zu unterwandern, voll in die Hände spielt. 

Das beste Beispiel ist das unsägliche Herumgeeiere bei der Einführung des Klimageldes. Wo ist hier der sozialdemokratische Bundeskanzler? Offenbar fördert Scholz lieber mit Milliarden Euro prosperierende Dax-Konzerne, als sich um die soziale Wirklichkeit der Menschen in der notwendigen Transformation zu kümmern.

Und der Klimaschutzminister Habeck duckt sich beim Klimageld hinter verschwurbelten Formulierungen vor seinen eigenen Parteipositionen weg, anstatt die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen.

Lindner düpiert unwidersprochen, öffentlich und nahezu täglich Scholz und Habeck – sei es jüngst bei Menschen- und Umweltrechten, beim EU-Lieferkettengesetz, bei der Lkw-Abgasregelung oder bei den Agrarregelungen. Und die Liste wird täglich länger.

Die Ampel ist weiterhin mit den Bauernprotesten konfrontiert. Gibt es da eine gute Lösung?

Mittlerweile wedelt der Schwanz mit dem Hund bei einer Branche, die rund ein Prozent der Bruttoinlandsproduktion ausmacht. Natürlich ist es richtig, auch beim Agrardiesel die klimaschädlichen Subventionen abzubauen. Aber warum hat die Ampel das nicht von Anfang an schrittweise geplant?

Und vor allem, warum hat sie die Pkw-Förderung durch Dienstwagenprivileg und Dieselprivileg nicht gleichzeitig gesenkt? Weil dem Bundeskanzler die Profite der deutschen Autokonzerne wichtiger sind als der Klimaschutz. Das ist unglaublich.

Also, was tun im Agrarsektor?

Jetzt sollte die Ampel mit den an einer konsequenten Klima-Transformation interessierten Bauernverbänden die wichtigste Transformation angehen: den Abbau der Tierbestände und die finanzielle Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe bei den Stallumbauten über eine Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch. Denn fast allen ist doch klar: Die Zukunft liegt in einer sozial gerechten und ökologischen Landwirtschaft mit immer weniger tierischen und mehr pflanzlichen Nahrungsmitteln.

Wichtig ist aber auch, unberechtigten oder falschen Forderungen, die aus der Agrarwirtschaft und vom Bauernverband kommen, wie jetzt nach dem Schleifen ökologischer Mindeststandards, ganz klar eine Absage zu erteilen.

Wie könnte die Ampel in den verbleibenden knapp zwei Jahren noch gegensteuern? Was wären wichtige Projekte?

Porträtaufnahme von Martin Kaiser.
Foto: Daniel Müller

Martin Kaiser

ist seit 2016 geschäfts­führender Vorstand von Green­peace Deutsch­land. Bei der Umwelt­organisation, für die er sich seit 1998 engagiert, leitete der studierte Geo­ökologe und Forst­ingenieur zuvor inter­nationale Bio­diversitäts- und Klima­projekte und vertrat Green­peace auf den Welt­klima­gipfeln.

Angesichts eines Jahres 2023, in dem wir die 1,5‑Grad-Grenze bereits überschritten haben, darf für die Ampel ein Aussitzen dieses dramatischen Problems keine Option sein. Die Agrarwende muss endlich starten.

Und die Ampel muss endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, Sofortmaßnahmen zur drastischen Absenkung der CO2-Emissionen im Verkehrsbereich zu ergreifen. Es ist doch unfassbar, dass Verkehrsminister Wissing und die Ampel seit Jahren geltendes Recht mit Füßen treten.

Wir brauchen ein sofortiges Tempolimit auf Autobahnen – von heute auf morgen einzuführen –, eine Kfz-Eingangssteuer, bei der Elektrofahrzeugen gegenüber Verbrennerautos massiv bevorzugt werden, und die sofortige Umwidmung von Steuermitteln für Autobahnneubauten für den ÖPNV vor allem auf dem Land.

Wir haben die Wahl: Wollen wir im Verbrennerauto mit unseren Kindern und Enkeln auf den Rücksitzen mit Vollgas in den Abgrund fahren, oder besinnen wir uns auf das, was wirklich wichtig ist: ein gutes Leben für alle, auch in der Zukunft.

Könnten die nötigen Ausgaben denn überhaupt finanziert werden?

Die Finanzierung der Transformation ist überhaupt kein Problem. Mit einem Sondervermögen für Klimaschutz von 100 Milliarden Euro, einer Neudefinition der Schuldenbremse oder einem schrittweisen, aber konsequenten Abbau klima- und naturschädlicher Subventionen von allein 60 Milliarden Euro jährlich sind die Gelder für die notwendigen Investitionen darstellbar.

Und sowohl die Unternehmen, die die Klimakrise verursacht haben, als auch die Superreichen, die den größten CO2-Fußabdruck haben, sollten zur Kasse gebeten werden. Es gibt also Mittel und Wege. Aber es ist allen voran eine Frage des politischen Willens der Ampel und aller demokratischen Parteien.

Die führenden Wirtschaftsinstitute und progressive Unternehmen auf der einen Seite, aber auch Greenpeace zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen und Verdi beknien Scholz und Lindner, zum wirtschafts- und sozialpolitischen Sachverstand einzuschwenken. Bisher ohne Ergebnis.

Sie haben Hoffnung, dass Lindner umschwenkt?

Auch der Finanzminister hat einen Amtseid abgelegt, ein Minister für die Menschen zu sein, und nicht für sein Ego. Aber offenbar leiten Lindner ideologische Parteitaktiken, die allerdings außer ihm niemand versteht. Doch auch er sollte zumindest ein Interesse daran haben, dass eine nachhaltige Wirtschaft – mit staatlichen Investitionen – schon mittelfristig mehr Staatseinnahmen generiert.

Nochmal zurück zu Greenpeace. Welche Themen wollen Sie verstärkt anpacken?

Die sozial-ökologische Transformation, die Einführung eines Klimageldes, die Verhinderung von Infrastruktur für den Klimakiller Gas, öffentliche Mobilität auf dem Land und in den Städten und ein anderer Umgang mit unserer Natur – das sind die Felder, in denen wir uns mit vielen Aktivist:innen, Ehrenamtlichen und Unterstützer:innen jeden Tag engagieren. Damit wollen wir mehr und mehr Menschen erreichen.

 

Wie ist der Zuspruch zu Ihrer Organisation denn generell? Die Zeit der Schornsteinbesteigungen ist ja vorbei ...

Ich selbst war Ende Januar gemeinsam mit Aktiven der AWO, dem Paritätischen und Verdi zum Eisbaden in der Spree vor dem Reichstagsgebäude. Dabei haben wir gemeinsam ein Klimageld von 250 Euro pro Jahr für jede Bürgerin und jeden Bürger gefordert. Das war erfrischend und neu, davon wollen wir mehr.

Und wir setzen uns für ein Ende des fossilen Wahnsinns vor Borkum und Rügen ein, wo Scholz und Habeck neue Gasbohrungen und mehr LNG-Terminals in Naturparadiesen inmitten der Klimakrise gegen die Bevölkerung durchsetzen wollen. Und wir verhindern die Ausbeutung der Weltmeere durch Tiefseeplünderung.

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews: "Wir müssen gegen den Versuch aufstehen, den Klimaschutz-Diskurs zu diskreditieren"