Die 50 Kilometer lange Pipeline soll das geplante LNG-Terminal auf Rügen mit dem Gasnetz am Festland verbinden – dagegen protestierte Greenpeace am Donnerstag. (Bild: Julius Schrank/​Greenpeace)

Wie es sich seit Monaten abgezeichnet hat, wird die Ostseeinsel Rügen zu einem Hotspot der Klimaproteste. Unter dem Motto "Gemeinsam gegen LNG" demonstrieren Bürgerinitiativen, das Aktionsbündnis Ende Gelände und verschiedene Organisationen tagelang gegen das geplante LNG-Terminal im Hafen von Mukran.

Am heutigen Samstag wird vom Bahnhof Sassnitz aus ein Demonstrationszug starten. Zeitgleich will das Bündnis Ende Gelände mit Aktionen zivilen Ungehorsams protestieren.

Bereits am Donnerstag hatten Greenpeace-Aktivist:innen ein Pipeline-Verlegeschiff geentert, das zurzeit vor Ort auf dem Greifswalder Bodden unterwegs ist. Die Umweltschützer:innen unterbrachen die Verlegung der Gasleitung. Polizei holte sie schließlich von Bord des Schiffes. Bis zum Abend wurden alle aus dem Gewahrsam wieder entlassen.

"Wir freuen uns, dass lokale Initiativen und Klimabewegte hier ihre Kräfte gegen die zerstörerischen LNG-Terminals vereinen", erklärte Stefanie Dobelstein von der Bürgerinitiative "Lebenswertes Rügen" am Freitag. Schon allein der Bau der Pipeline gefährde im Greifswalder Bodden die "Kinderstube" des ohnehin in seinem Bestand bedrohten Ostseeherings.

Unweit von Sassnitz befindet sich der ehemalige Fährhafen Mukran. Hier soll nach den Plänen der Ampel-Regierung zu einem großen Terminalstandort für importiertes Flüssigerdgas (LNG) aufgebaut werden. Vorgesehen sind Errichtung und Anbindung zweier schwimmender Speicher- und Regasifizierungseinheiten, sogenannter FSRU, zur Anlandung des Flüssigerdgases.

"Energiewirtschaftlich nicht nötig"

Das Gas soll dann durch eine rund 50 Kilometer lange Pipeline nach Lubmin aufs Festland fließen und dort ins Gasnetz eingespeist werden. Das Rügener FSRU ist inzwischen das umstrittenste der sechs schwimmenden Flüssiggasanlagen, die an der deutschen Küste in Betrieb oder geplant sind.

Gestützt wird das Anliegen der Proteste von einer am Freitag veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, die von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Auftrag gegebenen wurde.

In der Studie wird hervorgehoben, dass es im vergangenen Winter keine Gasmangellage gegeben habe und sich die Erdgasmärkte in diesem Jahr stabilisiert hätten. Eine Mangellage sei auch für den kommenden Winter nicht absehbar.

Die Gasspeicher in Deutschland und Europa seien jetzt zu Beginn der Heizperiode zu jeweils 95 Prozent gefüllt, betonen die Autor:innen. Zusätzlich gebe es "erhebliche Flexibilitäten" bei der Nutzung der Importkapazitäten für Flüssigerdgas.

"Das fossile LNG-Projekt Mukran ist energiewirtschaftlich nicht notwendig und wird weiterhin nicht dringend zur Vermeidung einer Gasmangellage im Winter 2023/24 benötigt", bilanziert Mitautorin Claudia Kemfert vom DIW. Das Gasprojekt sei auch klimapolitisch kontraproduktiv, weil es zusätzliche Emissionen verursache und die nachhaltige regionale Wirtschaftsentwicklung auf Rügen behindere.

Flussumkehr in Ost-West-Gaspipelines möglich

Die DIW-Studie macht auch darauf aufmerksam, dass etwaige Netzengpässe in Deutschland kostengünstig und zeitnah durch Flussumkehr auf ehemals in Ost-West-Richtung betriebenen Ferngasleitungen bewältigt werden könnten.

Von vier großen Ost-West-Pipelines sei in der Vergangenheit lediglich eine auch in West-Ost-Richtung betrieben worden, stellt die Studie fest. Die anderen drei hätten damals vor allem zur Durchleitung von russischem Erdgas in den Westen Deutschlands und Europas gedient.

Schon jetzt sei bei diesen drei Leitungen im regulären Betrieb eine Richtungsumkehr möglich, indem die Druckverhältnisse verschoben werden, heißt es in der Studie. Mit geringen Investitionen in die Flussumkehr könnten diese Ost-West-Verbindungen dann auch langfristig weiter genutzt werden und so zur Versorgungssicherheit beitragen, schreiben die Autor:innen.

"Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese geringfügigen baulichen Veränderungen, die im Bedarfsfall auch im Bereich von wenigen Wochen liegen dürften, bis heute nicht durchgeführt worden sind", kritisieren sie. Schließlich seien milliardenschwere und hochkomplexe Investitionen in neue LNG-Terminals im "Deutschlandtempo" binnen weniger Monate möglich gewesen.

Netzagentur sieht weiterhin "Restrisiken"

Die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur geben allerdings trotz gut gefüllter Gasspeicher bisher keine Entwarnung für den kommenden Winter. Die Netzbehörde sieht immer noch "Restrisiken" für eine Gasmangellage. Zwar gebe es nach dem Ausfall des russischen Gases stabile andere Bezugsquellen, für eine vollständige Entwarnung sei es trotzdem noch zu früh, erklärte Behördenchef Klaus Müller kürzlich.

Zu den "Restrisiken" zählt für Müller ein kalter Winter in Europa. Zudem könne Russlands Präsident Wladimir Putin auch den Gashahn für Südosteuropa zudrehen. "Zuletzt bleiben Anschläge auf Pipelines als Horrorszenario", warnte er.

DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner teilt diese Einschätzung nicht. Der Umweltschützer verweist auf ein weiteres Ergebnis der Studie: Selbst in sehr kalten Wintermonaten ließen sich sowohl Deutschland als auch Osteuropa, das teilweise mitbeliefert werden müsste, auskömmlich mit Gas versorgen.

Mit Bezug auf die Risikoeinschätzung der Bundesnetzagentur hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Mitte September einen Antrag der Umwelthilfe abgelehnt, im Eilverfahren einen Baustopp für den ersten Abschnitt der Anschluss-Gasleitung des LNG-Terminals anzuordnen.

Nach Einschätzung der DUH bringt das neue Gutachten eine grundsätzlich andere Bewertung des umstrittenen Projekts. Darauf werde sich die Umwelthilfe selbstverständlich auch in kommenden Rechtsverfahren beziehen, erklärt Müller-Kraenner gegenüber Klimareporter°.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert vom DIW gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.