Offshore-Windpark Sandbank in der Nordsee
Offshore-Windpark in der Nordsee: Auswirkungen auf die Meeresnatur bleiben erst mal unsichtbar. (Bild: Jan Oelker/​Vattenfall)

Anfang September klang Steffi Lemke euphorisch. Zwar habe ihr Umweltministerium mit einem leichten Rückgang im Etat zu einem verfassungskonformen Haushalt 2024 beizutragen, bedauerte die Umweltministerin in der Haushaltsdebatte des Bundestags. Aber erstens, so Lemke weiter, verfüge ihr Haus mit vier Milliarden Euro weiter über eine so große Finanzsumme für den natürlichen Klimaschutz wie in noch keinem Haushalt zuvor – und zweitens sei da noch das Windenergie-auf-See-Gesetz.

Das lege fest, dass ein Anteil aus den Offshore-Versteigerungen dem Meeresnaturschutz zugutekomme, erläuterte Lemke. Das seien noch einmal "round about" 700, 800 Millionen Euro. "So viel Geld war für den Meeresnaturschutz noch nie da. Das ist ein sehr, sehr gutes Zeichen, gerade in diesen Zeiten", freute sich die grüne Ministerin.

 

Die genaue Festlegung findet sich in Paragraf 58 des Windenergie-auf-See-Gesetzes. Danach hat ein Bieter, der Meeresflächen für Offshore-Windkraft ersteigert hat, innerhalb von zwölf Monaten nach Erteilung des Zuschlags fünf Prozent des Gebots an den Bundeshaushalt zu zahlen. Diese Mittel, ist in dem Paragrafen weiter zu lesen, sind "zweckgebunden für Maßnahmen des Meeresnaturschutzes möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden". Bewirtschaften soll das Geld Lemkes Umweltressort.

Weitere fünf Prozent haben die Offshore-Windbauer als sogenannte Fischereikomponente an den Bundeshaushalt zu zahlen. Diese Mittel sollen, verlangt der Paragraf 58, für Maßnahmen zur umweltschonenden Fischerei verwendet werden. Das Geld fließt aber nicht dem Umwelt-, sondern dem Agrarressort zu.

Ampel will auf frisches Geld aus Offshore-Versteigerung zugreifen

Zwei Mal hatte die Bundesnetzagentur letztes Jahr Offshore-Windflächen ausgeschrieben und meistbietend versteigert. Beim ersten Mal ließen die Windkraftinvestoren sich den Zuschlag für Flächen für 7.000 Megawatt 12,6 Milliarden Euro kosten, beim zweiten Mal für 1.800 Megawatt 784 Millionen Euro.

Rein rechnerisch fließen dem Umwelthaushalt mit dem Fünf-Prozent-Anteil also 669 Millionen Euro zu, und das im Sommer des Haushaltsjahres 2024.

Frisches Geld, auf das die Ampel jetzt zugreifen will. Von den knapp 670 Millionen für den Meeresnaturschutz sollen nun 250 Millionen Euro, also mehr als ein Drittel, zur Konsolidierung des Bundeshaushalts dienen, ist dazu aus dem Bundesumweltministerium zu hören.

Und weiter heißt es aus Lemkes Haus: Die Kürzung sei schmerzhaft, weil deutsche Meere vielfältig übernutzt und stark belastet sind. Mit den restlichen 420 Millionen Euro bestehe aber weiter die Chance, diese Belastungen zu verringern.

Umweltschützer zeigen sich von Ausmaß der geplanten Umverteilung überrascht. Die Offshore-Gelder seien zur Kompensation der enormen Umweltauswirkungen der Windenergie auf See sowie der Transformation der Fischerei dringend notwendig, betont Kim Cornelius Detloff vom Naturschutzbund Nabu.

"Dazu zählen Lebensraumverluste für Seevögel und Wale, Kollisionsrisiken, Flächenverluste für die Fischerei, aber auch ganz grundsätzlich eine Transformation zu einer naturverträglichen Fischerei, die hilft, unvermeidbare Effekte von künftig bis zu 70.000 Megawatt Offshore-Wind zu kompensieren", erläutert der Verantwortliche für Meeresschutz beim Nabu gegenüber Klimareporter°.

"Die Natur kann nicht so laut protestieren wie die Bauern"

Es sei blanker Hohn, wenn mit Geldern aus erneuerbaren Energien jetzt schädliche fossile Subventionen gegenfinanziert würden, kritisiert Detloff mit Blick auf die versprochene Rücknahme der Kürzungen beim Agrardiesel.

"Weil die Natur nicht so laut wie die Bauern protestieren kann, droht sie erneut zum Verlierer zu werden. Am Ende wird weniger Geld zur Bewältigung der Naturkrise und der Klimakrise zur Verfügung stehen, als es braucht und das Osterpaket der Bundesregierung versprochen hat", so der Meeresschutz-Experte.

Das "Osterpaket" ist ein umfangreiches Gesetzeskonvolut zum Ausbau der Erneuerbaren, das die Ampel-Koalition im April 2022 vorgelegt hatte. Für Windkraft auf See lauten die Ausbauziele: 30.000 Megawatt bis 2030, mindestens 40.000 bis 2035 und mindestens 70.000 Megawatt bis 2045.

Die Einnahmen aus der Versteigerung der Offshore-Flächen sollten damals noch zu 20 Prozent in Naturschutz und zu zehn Prozent in umweltschonende Fischerei fließen, ist im entsprechenden Überblickspapier des Wirtschaftsministeriums zu lesen.

Von den einstigen 20 Prozent werden 2024, bleibt es bei der Umverteilung, nur noch etwas mehr als drei Prozent übrig bleiben. So viel zum Stellenwert des Naturschutzes bei der Ampel.

Nabu-Experte Detloff beharrt weiter darauf, dass Klimaschutz – in Form von Offshore-Windkraft – und Meeresschutz gemeinsam gelingen müssen und nicht zu Gegnern gemacht werden dürfen. "Wir sind maßlos enttäuscht und hoffen auf eine kritische Reaktion aus dem Bundestag."

"Kein Zusammenhang" zwischen Naturschutz- und Agrardiesel-Geldern

Aus dem Parlament gibt es bislang nur eine Reaktion zu den Streichungen von 250 Millionen Euro bei der Fischerei. Dieses Vorgehen soll laut Medienberichten dem agrarpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, missfallen, der zugleich Präsident des Deutschen Fischerei-Verbands ist.

Hocker soll vorgeschlagen haben, stattdessen die 250 Millionen Euro zu nehmen, die im Haushalt für den tierwohlfreundlichen Umbau von Ställen vorgesehen sind. Diese nehme in der derzeitigen Lage kein Bauer in Anspruch, wird der FDP-Politiker zitiert.

Die Bundesregierung soll sich jedoch nach anderen Berichten bereits verständigt haben, aus den 670 Millionen für die Fischerei 536 Millionen für die Agrarsubventionen abzuzweigen und nur 134 Millionen Euro in die Fischerei zu investieren. Begründung: Die deutsche Fischerei sei gar nicht groß genug für die 670 Millionen.

Beim Meeresnaturschutz sind bisher keine Alternativ-Vorschläge bekannt. Im Bundesumweltministerium geht derzeit offenbar vor allem die Befürchtung um, die Kürzungen beim Naturschutz könnten in direkten Zusammenhang mit der Subvention von fossilem Agrardiesel gestellt werden.

Entsprechend ließ das Umweltministerium wissen, dass die Pläne zur Kürzung der Meeresnaturschutzmittel um 250 Millionen Euro dem Ressort bereits Mitte Dezember angekündigt waren, als Scholz, Habeck und Lindner nach wochenlanger Debatte ihren noch sehr unkonkreten Plan gegen die Haushaltskrise vorgelegt hatten.

Aus dem Grund, heißt es, lege man im Umweltministerium Wert auf die Feststellung, dass zwischen der Kürzung der Meeresnaturschutzmittel und der Anfang Januar verkündeten Wiederaufnahme der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer für Forst- und Landwirtschaft kein Zusammenhang bestehe.

Formal hat das Umweltressort damit recht. Einnahmen des Bundeshaushalts können rechtlich gesehen nicht zweckgebunden sein. Die weggenommenen 250 Millionen können ebenso gut für den Rentenzuschuss, die Unterstützung der Ukraine, das Dienstwagenprivileg oder die Flugreisen der Regierung ausgegeben werden – oder was auch immer.

"Nur" eben für den Schutz des Meeres vor unseren Küsten sind die 250 Millionen erstmal weg.

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