Die Flachdächer der Plattenbauten in Lauchhammer (Brandenburg) sind vollständig mit Solarpaneelen bestückt.
Mieterstrom kommt über ein paar engagierte Projekte wie hier in der Lausitz nicht hinaus – eine bundesweite Solarpflicht soll das ändern. (Foto: Solarimo/​Pixabay)

Auch wenn die Pandemie derzeit abflaut – Parallelen zum Klimaschutz sind immer noch beliebt. Wie bei den Corona-Infektionen sehe man beim Klimawandel "exponentielle Kurven", sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger am Mittwoch bei der Vorstellung eines 100-Tage-Klimaschutz-Programms der Umweltverbände. Und auch der Verlust von Natur befinde sich "auf exponentiellem Wege", betrachte man den Zustand von Wäldern, Korallenriffen und generell der Tier- und Pflanzenwelt.

Gegen solche exponentiellen Verläufe helfe nur "entschiedenes und schnelles Handeln", und dafür hätten Bundesregierung und Parlament auch noch Zeit, meinte Krüger – wohl wissend, dass der Bundestag vor seiner Neuwahl nur noch eine reguläre Sitzungswoche hat. Krüger geht aber wie andere politische Beobachter davon aus, dass die Abgeordneten ohnehin noch zu Sondersitzungs-Wochen zusammenkommen.

Nach Ansicht der 55 Verbände, darunter auch BUND, Greenpeace und WWF, gibt es noch eine Vielzahl umweltpolitischer Maßnahmen, die sich in den letzten 100 Tagen der Legislaturperiode auf den Weg bringen lassen. Dazu gehören eine Ausbauoffensive für erneuerbare Energien, eine Solarpflicht für alle geeigneten Dächer und ein Kohleausstieg bis 2030. Des Weiteren ein Zulassungsstopp für Verbrenner-Pkw noch vor 2030 sowie ein Moratorium für den Neu- und Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen.

Im Gebäudebestand gehe es um eine Beschleunigung der energetischen Sanierung auf drei Prozent jährlich und einen sofortigen Förderstopp für Öl- und Gasheizungen. Der Landwirtschaft helfe nur eine drastische Reduktion der Tierbestände.

Der Nabu-Präsident kritisierte in dem Zusammenhang, dass sich Politiker wie CDU-Chef Armin Laschet selbst gegen vergleichsweise smarte Maßnahmen wie eine Solarpflicht für Neubauten aussprechen. "So geht das nicht", machte Krüger seinem Ärger Luft. Allen Parteien müsse klar sein, dass Klimaschutz für immer mehr Menschen wahlentscheidend sei.

"Intelligenter Mix"

Gebraucht werde ein "intelligenter Mix" aus Ordnungsrecht, Investitionen und einem angemessenen CO2-Preis, ergänzte Kai Niebert, Präsident des Umwelt-Dachverbandes DNR. Beim CO2-Preis schlagen die Verbände vor, diesen bis 2030 nach und nach auf 195 Euro je ausgestoßener Tonne zu erhöhen. Das Preissignal dient aus Sicht von Niebert vor allem dazu, Fehlanreize zu beseitigen.

Niebert wandte sich hier ausdrücklich gegen eine "kalte Dekarbonisierung", womit er eine Klimapolitik der sozialen Kälte meint. Er erinnerte daran, dass schon seit 2019 in den Ministerien Studien für einen sozialen Ausgleich beim Klimaschutz vorliegen – ob dies nun Klimaprämie, Bürgergeld oder Pro-Kopf-Pauschale genannt werde. Die Umweltverbände seien dafür, schon jetzt diese soziale Entlastung zu schaffen, so Niebert.

Weil Haushalte in den unteren Einkommensklassen auch unterdurchschnittlich viel CO2 verursachten, würden die genannten Kompensations-Mechanismen gerade diese Haushalte "deutlich entlasten", betonte der DNR-Präsident.

Allerdings könne Umweltpolitik auch keine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ersetzen. Die Debatte in Deutschland gehe davon aus, kritisierte Niebert, dass die Leute heute in einer "höchst gerechten Welt" lebten und der Klimaschutz plötzlich zu großen sozialen Verwerfungen führe.

Dabei seien gerade Menschen mit geringeren Einkommen, die meist auch gar kein Auto besäßen und auf den öffentlichen Verkehr angewiesen seien, schon jetzt "die Gelackmeierten", erklärte Niebert. So seien die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr seit dem Jahr 2000 um 80 Prozent gestiegen, Bahntickets um knapp 60 Prozent – während sich Autofahren nur um etwa ein Drittel verteuert habe.

Auch Antje von Broock vom BUND betonte zu dem Punkt, eine "verfehlte Sozialpolitik" lasse sich mit Klimapolitik nicht ausgleichen. Darin seien sich die Umweltverbände auch mit den Sozialverbänden einig.

"German Zero" will mit allen Emissionen handeln

Vorschläge für die Zeit nach der Wahl kamen unterdessen in der vergangenen Woche von der Organisation German Zero, die Deutschland schon bis 2035 klimaneutral machen will. Dafür hat die Organisation ein Maßnahmenpaket für ein 1,5-Grad-Gesetz vorgelegt.

An der Entwicklung des Pakets wirkten laut German Zero mehr als 260 Expert:innen und zahlreiche Bürger:innen mit, die Maßnahmen kommentierten und eigene Vorschläge einbrachten. Entstanden ist aus Sicht der Organisation eine "vollständige Strategie" zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels, an der sich die künftige Bundesregierung klimapolitisch orientieren könne.

Im Energiebereich soll der EU-Emissionshandel reformiert werden. Dafür soll unter anderem die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten zum CO2-Ausstoß gestoppt werden. Der Abbau von Vorgaben soll die lokale Energieversorgung stärken, damit mehr regionale oder lokale Kraftwerke entstehen und Bürger:innen sich weitgehend selbst mit Energie versorgen können.

Auch im Gebäude- und im Verkehrssektor einschließlich Luftfahrt und Schifffahrt soll es künftig einen CO2-Emissionshandel geben, nach Vorstellung von German Zero mit Mindestpreis, um die Wirksamkeit zu garantieren.

Für Gebäude und Verkehr gilt in Deutschland seit Jahresbeginn ein CO2-Preis von zunächst 25 Euro pro Tonne. Diesen will German Zero zu einem echten Emissionshandel weiterentwickeln. Dazu müssten unter anderem Fixpreise aufgehoben werden.

Pflichten und Anreize

Weil die Emissionen im Verkehrs- und Gebäudebereich in den vergangenen Jahren kaum gesunken sind, sind hier weitere Vorgaben geplant. Schon ab 2025 sollen keine neuen Pkw mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden, zehn Jahre später soll ein ähnliches Verbot für Lkw greifen. Eine gestaffelte Maut soll im Güterverkehr Anreize für eine Verlagerung auf die Schiene und die Entwicklung alternativer Antriebstechnologien setzen.

Ländliche Regionen sollen an den Fernverkehr angebunden werden. Haushalten mit geringem Einkommen soll eine E-Mobilitätsprämie den Umstieg auf ein Elektroauto erleichtern.

Im Gebäudebereich sollen quasi ab sofort vor allem erneuerbare Heizungen eingebaut werden. Eigentümer von Gebäuden sollen zu einer Energieberatung und dem Aufstellen eines Sanierungsplans verpflichtet werden, das soll die Sanierungsquote steigern. Die Förderung der Gebäudesanierung soll ausgeweitet werden.

Sogar in der Landwirtschaft soll ein Treibhausgas-Emissionshandel eingerichtet werden – für tierische Produkte. Für die Zahl der gehaltenen Tiere pro Hektar soll es eine Obergrenze geben. Moore sollen wiedervernässt werden, dort soll dann angepasste Landwirtschaft erfolgen.

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