Gruppenfoto der Spitzenvertreter von fünf großen Umweltverbänden auf dem Podium der Bundespressekonferenz.
Heute in der Bundespressekonferenz (von links): Luise Neumann-Cosel (Campact), Christoph Heinrich (WWF), Martin Kaiser (Greenpeace), Antje von Broock (BUND) und Kai Niebert (DNR). (Foto: Jörg Staude)

Fünf Wochen sind es noch, bis das Klimakabinett das seit Monaten Angekündigte beschließen will, damit Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreicht: eine CO2-Reduktion von 55 Prozent gegenüber 1990.

Unter den Umweltverbänden steigt jetzt die Unruhe, dass am 20. September erneut nur ein "Pillepalle-Programm" herauskommen könnte, wie Kai Niebert, Chef des Umwelt-Dachverbandes DNR, am Freitag in Berlin kritisierte. Dabei habe die Kanzlerin, so Niebert, Anfang Juni selbst verlangt, beim Klimaschutz dürfe es "kein Pillepalle mehr" geben.

Nach Nieberts Darstellung haben inzwischen mehrere Minister, die im Klimakabinett sitzen, ihre Vorschlagslisten eingereicht. Darin werde aber ein "großer Fokus" auf Anreizprogramme gelegt, und erst "irgendwann" solle es eine "irgendwie geartete CO2-Bepreisung geben." Das sei alles "sehr teuer" und werde in dieser Legislatur nicht mehr greifen.

Vor allem aber habe sich das Finanzministerium die Vorschläge aus den Ministerien angesehen und errechnet, dass sich damit nur 50 Prozent der bis 2030 nötigen Emissionsreduktion erzielen lasse.

"Altmaier hat kein Gramm CO2 zusätzlich eingespart"

Die Bundesregierung lasse derzeit nur eine Art "Klima-Simulation" ablaufen, prangerte der DNR-Präsident an und verlangte einen "Businessplan Klimaschutz". Dort hinein gehörten vor allem ein nach Sektoren und Jahren aufgeschlüsseltes Klimaschutzgesetz sowie ein CO2-Preis, der schon heute zu wirken beginnt.

Die Umweltverbände seien kein Freund von Verbotspolitik, sagte Niebert. Wenn man im Naturschutz aber zurückschaue, seien es nicht Anreizprogramme gewesen, die das Ozonloch geschlossen oder den Himmel über der Ruhr wieder blau gemacht haben.

Aus dem Sofortprogramm der Umweltverbände

  • 2030 soll Deutschland zu 75 Prozent mit Ökostrom versorgt werden, unter anderem müssen dazu jährlich je 7.000 Megawatt Windkraft an Land und Photovoltaik neu installiert werden
  • verpflichtende Nutzung von Photovoltaik und Solarthermie für Neubauten und Dachneudeckungen
  • 365-Euro-Jahresticket für den ÖPNV als Standard
  • Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor beim Pkw
  • Mindestquote für effiziente Elektroautos und emissionsarme Lkw
  • Tempolimit von 120 auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und 30 in Ortschaften
  • Bindung der Tierhaltung an die zur Verfügung stehende Fläche, keine neue gewerblichen Tiermastanlagen
  • Klima- und naturschutzgerechter Einsatz von 15 Prozent der flächenbezogenen Agrarförderung
  • klimaneutrale Neubauten als Standard im Gebäudeenergiegesetz
  • konsequente Beschaffung klimafreundlicher Produkte durch die öffentliche Hand
  • Aufbau einer industriellen Wasserstoffwirtschaft auf erneuerbarer Basis

aus dem "Handlungsprogramm der Umweltverbände für effektiven Klimaschutz"

Der mehrseitige Forderungskatalog, den die Umweltverbände am Freitag vorlegten (siehe Kasten), geht an einigen Stellen über bisherige Positionen hinaus. So wird – zusätzlich zu den Maßnahmen der Kohlekommission – eine Drosselung von 2.000 Megawatt Braunkohlekapazität schon in diesem Jahr verlangt. Man wolle dem Klimaziel für 2020 – minus 40 Prozent CO2 gegenüber 1990 – noch möglichst nahekommen, erläuterte Martin Kaiser von Greenpeace die Drosselungs-Idee.

Besonders hart ins Gericht ging Kaiser mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Dieser habe seit dem Endbericht der Kohlekommission "nicht ein Gramm CO2 zusätzlich" eingespart. Nach wie vor wolle Altmaier mit seinem Strukturstärkungsgesetz Milliarden an die Braunkohleregionen verteilen, ohne dass klar ist, welches Kohlekraftwerk wann abgeschaltet wird. 

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien attestierte Kaiser dem Minister ein "Komplettversagen". Die Ausbau-Deckel für Windkraft und Photovoltaik müssten sofort fallen, ebenso der Ausschreibungszwang bei Windkraft an Land, die Abgabenbelastung eigenverbrauchten Stroms sowie die pauschale 10‑H‑Abstandsregelung für Windenergie.

Bürger-Windkraft und Straßenneubau-Stopp

DNR-Chef Niebert betonte, es sei dringend notwendig, die Windkraft an Land weiter auszubauen. Man stehe aber bei der Akzeptanz vor Ort und in naturschutzrechtlichen Fragen vor "großen Herausforderungen." Statt wie bisher die Windkraft in bestimmten Regionen zu konzentrieren, müsse diese gleichmäßiger in der Fläche verteilt werden.

Er könne sehr gut verstehen, warum es zum Beispiel in Brandenburg massive Widerstände gegen die Windkraft gebe, sagte Niebert. Wenn dort ein Bürgermeister versuche, jemanden bei der Windkraftfirma zu erreichen, werde er nach London durchgestellt, weil die Windparks inzwischen in der Hand internationaler Investmentfonds sind. "Davon müssen wir wegkommen und die Leute auch an den Gewinnen beteiligen."

Für den Verkehr verlangte Antje von Broock vom Umweltverband BUND, dass emissionsarme Verkehrsteilnehmer mehr Platz bekommen und sich nicht auf einzelnen Fahrstreifen drängeln sollten – in Anspielung auf aktuelle Ideen aus dem Verkehrsministerium, Busspuren für Auto-Fahrgemeinschaften freizugeben.

Der Bundesverkehrswegeplan, in dem viel Geld stecke, müsse umgestaltet werden, so von Broock weiter. Beim Aus- und Neubau von Fernstraßen müsse es ein Moratorium geben.

Von der deutschen Industrie erwartet WWF-Vorstand Christoph Heinrich einen "Quantensprung" in Richtung Hocheffizienz, Rohstoffsparen und Klimaneutralität. Dafür müsse die Regierung Rahmenbedingungen schaffen – aber auch selbst vorangehen. So werde ein Viertel des Zements in Deutschlands für öffentliche Aufträge verbaut.

Für die am 20. September geplanten Klimaaktionen mobilisieren die Umweltverbände ebenfalls. Luise Neumann-Cosel vom Kampagnennetzwerk Campact kündigte an, die Umweltbewegung werde zusammen mit Fridays for Future "mit Hunderttausenden Menschen die Straßen fluten". Sie forderte die Regierung auf, jetzt konsequent zu handeln oder abzutreten.

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