Bürgerenergiewende
Fordert ein Ende der Bürgerenergie-Blockaden: Die grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden (vorn links) beim Besuch eines Bürgerwindprojekts. (Foto: BBEn)

"Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken."

So stand es 1993 in einer Anzeigenkampagne großer Stromversorger – darunter RWE und die beiden Vorläufer von Eon, Bayernwerk und Preussen Elektra. Mit der Kampagne wollten die Unternehmen für ihre Atomkraftwerke werben und Zweifel an den Erneuerbaren säen.

Sieben Jahre später, im Jahr 2000, trat das EEG in Kraft, das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Mit dem Gesetz legte der Bundestag den Grundstein für die Energiewende im Stromsektor. Das EEG machte den Weg frei für den Ausstieg aus der Atomkraft und den Einstieg in eine saubere und sichere Energieversorgung.

Dank des Gesetzes und der garantierten Vergütungen für den regenerativ erzeugten Strom entwickelten sich die Technologien rasant. Die Preise purzelten, der Anteil an Ökostrom stieg.

Heute sind wir bei einem Marktanteil des Ökostroms von mehr als 45 Prozent. Dank der erneuerbaren Energien sind zukunftsfähige Arbeitsplätze entstanden, Millionen Tonnen Treibhausgase wurden eingespart – eine echte Erfolgsgeschichte.

Mit seinen Vergütungen hat das EEG eine Vielfalt technischer Lösungen angereizt. Neben Sonne, Wind und Wasser wurden auch Bioenergie und Geothermie stärker genutzt. Das Prinzip zur Finanzierung der Erneuerbaren wurde bis heute in mehr als 100 Ländern übernommen. So kann das EEG mit Fug und Recht auch als Initialzündung für die weltweite Energiewende gelten.

Störmanöver der Regierungen seit 2009

Die Entwicklung verlief allerdings nicht so ungestört wie erhofft. Nachdem die von 2009 bis 2013 regierende schwarz-gelbe Koalition die EEG-Vergütungen massiv kürzte, brach nach 2012 der Ausbau der Photovoltaik ein. Tausende Arbeitsplätze gingen verloren.

Wenige Jahre später stellte die schwarz-rote Bundesregierung den Erneuerbaren-Ausbau auf Ausschreibungen um und führte Obergrenzen ein. Große Teile der Bürgerenergie wurden damit aus dem Rennen gedrängt. Die Regierung verweigerte der Energiewende und dem Klimaschutz den nötigen politischen Rückhalt und den Unternehmen ein sicheres Investitionsklima.

Julia Verlinden

ist Bundes­tags­abgeordnete der Grünen und energie­politische Sprecherin ihrer Fraktion. Die studierte Umwelt­wissen­schaftlerin aus Lüneburg ist auch ökologische Netz­werkerin und Radfahrerin.

Nach 2016 geriet so auch die Windenergie an Land in erhebliche Turbulenzen. 2019 wurde so wenig neue Kapazität installiert wie noch nie seit dem Inkrafttreten des EEG. Deutschland büßt erneut tausende wertvolle Jobs ein. Das überschattet den 20. Geburtstag des EEG erheblich.

2021 endet nun für die ersten EEG-Anlagen die gesicherte Finanzierung. Daher ist es höchste Zeit, die nächste Phase der Energiewende zu gestalten. Für uns Grüne heißt das dreierlei:

  • den Betrieb bestehender Solar-, Wind- und Bioenergie-Anlagen sichern,
  • an bisherigen Standorten das Repowering für alte Windenergie-Anlagen erleichtern sowie
  • eine klare Perspektive für alle neuen Ökostrom-Anlagen schaffen.

Wind, Sonne und Biogas sind das Rückgrat der erneuerbaren Energieversorgung. Um die Ressourcen zu schonen und für den Klimaschutz brauchen wir – ob alt oder neu – jede Anlage, die effizient sauberen Strom produziert.

Wir Grünen setzen uns daher für einfache und unbürokratische Anschlussregelungen für ältere Anlagen ein. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass der Strom von Solar-, Wind- und Biogasanlagen, die nach und nach aus der EEG-Finanzierung fallen, weiterhin ins Netz eingespeist werden kann und mindestens mit dem aktuellen Marktpreis vergütet wird.

Blockaden lösen für Wind, Sonne, Biogas

Aber nicht jede ältere Anlage lässt sich wirtschaftlich weiter betreiben. Insbesondere leistungsschwächere Windanlagen sollten ersetzt werden, damit am gleichen Standort ein vielfacher Ertrag an sauberem Strom möglich wird.

So können beispielsweise mehrere kleine Anlagen durch eine größere, moderne ersetzt werden, die mehr Strom produziert. Dafür muss die Regierung jetzt die richtigen Bedingungen schaffen, zum Beispiel durch vereinfachte Genehmigungsverfahren.

Auch Biogasanlagen brauchen eine klare Perspektive. Die Flexibilisierung der Anlagen muss weiter angereizt werden, damit sie einen optimalen Ausgleich im Zusammenspiel mit Wind- und Solarenergie liefern können. Doch die Regierung hat für Biogas ebenfalls einen völlig verfehlten Deckel eingezogen.

Es gibt weitere Hürden, die den Ausbau der Erneuerbaren immer schwieriger machen. Da ist die Obergrenze für Photovoltaik-Anlagen von 52.000 Megawatt, der sogenannte Solardeckel. Ab dieser Grenze sollen nach dem Willen der Regierung kleinere und mittlere Dachanlagen nicht mehr über das EEG finanziert werden.

Der Deckel wird in Kürze erreicht, ein erneuter Einbruch bei der Solarenergie droht. Trotz wiederholter Beteuerungen der Regierungskoalition, den Deckel zu streichen, passiert nichts. Dabei ist es allerhöchste Zeit. Schon jetzt verweigern Banken aufgrund der Unsicherheit immer häufiger die Finanzierung neuer Solaranlagen.

Die Solarblockade hält nur deshalb an, weil ein harter Kern von Energiewende-Saboteuren in der Union die Aufhebung des Deckels von einem anderen, neuen Bremsklotz abhängig macht: Die Union will pauschale Zwangsabstände für Windenergieanlagen von jeder noch so kleinen Bebauung im ganzen Land einführen.

Diese Abstandsregelung schwebt als weiteres Damoklesschwert über der ohnehin geplagten Windbranche, die schon unter langwierigen Genehmigungen, Unsicherheiten im Naturschutzrecht und fehlenden Flächen leidet. Ein klares Bekenntnis der Regierung zum Ausbau der Windenergie an Land ist mehr als überfällig.

EU-Regel für kleinere Projekte aktivieren

Jetzt gilt es, den Ausbau der Erneuerbaren massiv zu beschleunigen und auf einen Paris-konformen Pfad zu bringen. Auch im Wärme- und Verkehrssektor muss noch jede Menge für den Klimaschutz passieren. In diesen Bereichen muss – neben Energieeinsparung und -effizienz – mehr erneuerbarer Strom zum Einsatz kommen.

Unsere Vorschläge für einen schnelleren Ausbau liegen auf dem Tisch. Dazu gehört, die Ausbaumengen deutlich zu erhöhen und das Finanzierungssystem für kleinere Projekte jenseits von Ausschreibungen zu öffnen, bisher bekannt unter dem Stichwort De-minimis-Regelung.

Das bedeutet, dass Windprojekte bis zu einer Nennleistung von 18 Megawatt und Solarprojekte bis zu einem Megawatt ohne Ausschreibung errichtet werden können. Sie erhalten dann eine Vergütung anhand der letzten Ausschreibungsergebnisse.

Die hohen bürokratischen Hürden für Mieterstromprojekte müssen ebenfalls gesenkt werden, damit besonders in den Städten die Versorgung mit Solarstrom aus der Nachbarschaft boomen kann.

Auch der Eigenverbrauch von erneuerbarem Strom muss attraktiver werden, indem er von unsinnigen Abgaben befreit wird. Nicht zuletzt sollte die Nutzung der Solarenergie für Strom und Wärme auf allen neuen Dächern verpflichtend werden. Wertvolle Flächen dürfen nicht länger ungenutzt bleiben.

Chance zur Krisenbewältigung

Das EEG ist und bleibt ein zentraler Baustein einer dezentralen Energiewende. Mit verlässlichen Vorgaben für Einspeisung und Vergütung liefert es auch künftig die Basis für Investitionssicherheit.

Das motiviert nicht nur eine Vielzahl von Investorinnen und Investoren, an der Energiewende mitzuwirken. Das Prinzip des EEG hält durch geringe wirtschaftliche Risiken auch die Finanzierungskosten niedrig und sorgt so für den kostengünstigen und effizienten Umbau unserer Energieversorgung.

Klug weiterentwickelt kann das EEG helfen, die Breite der Energiewende-Akteure zu sichern und insbesondere die Bürgerbeteiligung zu stärken. Die Europäische Union hat mit ihren Vorgaben für mehr Bürgerenergie in der überarbeiteten Erneuerbaren-Richtlinie die richtigen Weichen gestellt. Jetzt kommt es auf die ambitionierte Umsetzung in Deutschland an.

Die Bundesregierung muss diese Aufgabe anpacken und ihre Bremserpolitik endlich beenden. Das ist auch eine große Chance, in der Corona-bedingten Krisensituation mit nachhaltigen und klimaschonenden Investitionen gegenzusteuern und die wirtschaftliche Entwicklung zu stützen. Diese Chance darf die Bundesregierung nicht verstreichen lassen.

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