Der Satz gehört noch immer zu den schönsten in der turbulenten Geschichte deutscher Energiepolitik: "Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken." Das war 1993. Die großen Energieversorger hatten in Zeitungsanzeigen und auf Plakaten mit diesem Spruch für Atomkraftwerke geworben.
Heute, 25 Jahre später, decken erneuerbare Energien nicht vier, sondern 40,4 Prozent unseres Strombedarfs, wie das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme zum Jahresbeginn bekannt gab. Ein Meilenstein. 2003 waren es erst 8,5 Prozent. 15 Jahre später fast fünfmal so viel. Bis zur Jahrhundertmitte sollen es mindestens 80 Prozent sein.
Vor allem die Windkraft hat eine erstaunlich dynamische Ausbauentwicklung hingelegt. Mit gut 59.000 Megawatt entspricht die installierte Leistung – die allerdings bei Flauten sehr viel weniger Strom erzeugt – etwa 60 großen Atommeilern.
Betrachtet man die tatsächliche Stromerzeugung, dann ist die Windkraft heute in Deutschland nach der Braunkohle der wichtigste Energieträger. Im vergangenen Jahr produzierten Windräder an Land und auf dem Meer gemeinsam 113 Milliarden Kilowattstunden. Damit deckte die Windkraft onshore und offshore insgesamt mehr als 80 Prozent des Strombedarfs aller Privathaushalte.
Doch das Arbeitspferd der Energiewende lahmt. Vergangenes Jahr ist der Zubau eingebrochen. Statt der im Durchschnitt der letzten Jahre üblichen 4.000 Megawatt Onshore-Wind kamen 2018 nur 2.400 Megawatt dazu, nicht einmal die Hälfte des Vorjahrs, als neue Windparks mit einer Kapazität von 5.300 Megawatt aufgestellt wurden. "Der Markteinbruch ist dramatischer als erwartet", sagte Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie. In diesem Jahr dürfte die Kurve noch stärker einknicken.
Es gibt viele Gründe für den Niedergang. Der wichtigste: Für neue Windräder fehlt schlicht die Fläche. Ohne genehmigte Standorte werden die Ausbauziele der Bundesregierung aber zur Farce. Die will mit ihren Auktionen in den nächsten Jahren einen Umfang von jeweils 4.000 Megawatt ausschreiben, angesichts der dramatisch eingeschränkten Flächenkulisse könnten das Luftbuchungen bleiben.
Die Flächenverfügbarkeit ist längst zum Nadelöhr geworden. So sind in den ersten drei Quartalen 2018 nur für 330 Anlagen und 1.100 Megawatt Genehmigungen erteilt worden – ein Drittel der Bewilligungen früherer Jahre. "In den kommenden Ausschreibungsrunden könnte mangels genehmigter Standorte kein ausreichender Wettbewerb zustande kommen", warnte schon letzten Sommer die Regierungskommission zur Begleitung der Energiewende.
Und Woidke packt die Keule aus
Seitdem hat sich die Lage noch verschärft. Bundesländer wie Bayern oder Sachsen-Anhalt stehen heftig auf der Bremse und weisen kaum noch Flächen für neue Windflügler aus. In Schleswig-Holstein sind die ausgewiesenen Windvorranggebiete schon 2015 vom Oberverwaltungsgericht kassiert worden. Obgleich die Landesregierung umgehend mit der Neuaufstellung begann, ist nicht vor 2020 mit neuen Flächen zu rechnen.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) packt die ganz große Keule aus. Er will bundesweit den Windrädern über eine Bundesratsinitiative die seit 1997 im Baugesetzbuch festgeschriebene "privilegierte Zulässigkeit" streichen, die den starken Ausbau überhaupt erst möglich gemacht hat.
Der CDU-Bundesparteitag sprach sich im Dezember ebenfalls für ein Ende der Privilegierung aus. Und die mit mehreren windkraftkritischen Abgeordneten besetzte neue "Arbeitsgruppe Akzeptanz" der Bundesregierung droht mit weiteren Ausbaurestriktionen wie Höhenbegrenzungen, Mindestabständen und zusätzlichen Planungsvorgaben.
Der Gegenwind für die Branche erreicht zuweilen Orkanstärke. Auch die gerichtlichen Klagen häufen sich. Dort wo Anwohner, Bürgerinitiativen oder Vogelschützer die Gerichte anrufen, hindert dies die Projektierer, sich an den Ausschreibungen zur EEG-Förderung zu beteiligen. Nach Branchenschätzungen dürften derzeit mehr als 200 geplante Anlagen durch Rechtsstreitigkeiten blockiert sein.
Doch die eigentliche Zeitenwende kommt nächstes Jahr. Ende 2020 fallen die ersten Anlagen aus der Förderung. Auf 20 Jahre wurde die Einspeisevergütung angelegt, als mit der Jahrhundertwende die Energiewende langsam Fahrt aufnahm. Auch die in den 1990er Jahren gebauten Windturbinen werden großzügigerweise bis 2020 gefördert. Dann ist Schluss.
Das Wendejahr könnte zum Horrorjahr der Branche werden, weil einer ganzen Armada an Windrädern mit rund 4.000 Megawatt Gesamtleistung das Förderende bevorsteht. In den Folgejahren sieht es nicht besser aus. Bis 2025 fallen etwa 16.000 Megawatt aus dem Fördersystem, das sind fast 30 Prozent der heute installierten Onshore-Windkapazität.
Der Weiterbetrieb dieser mindestens 20 Jahre alten Dinos wird für die Betreiber schwierig. Viele der Windräder sind nicht nur alt, sondern auch technisch überholt und weniger effizient als neue Anlagen. Ohne Förderung sind sie nur an sehr windreichen Standorten auskömmlich – bei einem Börsenstrompreis von mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde. Die Betriebskosten der Windräder belaufen sich auf drei bis fünf Cent je Kilowattstunden.
Auf fünf Cent schätzt auch die Bundesnetzagentur die Stromgestehungskosten für moderne Anlagen. In den vergangenen Jahren lag der Preis an der Strombörse oft deutlich darunter, weil Überkapazitäten die Preise drücken und der Markt bei den CO2-Kosten versagt.
Schlechte Chancen fürs Repowering
Anreize, um die Auslaufmodelle weiterzubetreiben oder durch moderne Neuanlagen mit höherer Stromausbeute zu ersetzen, sind bislang nicht in Sicht.
Im Gegenteil: Auf investitionswillige Betreiber, die weitermachen wollen, warten zusätzliche Kalamitäten: Wollen sie ihr Windrad am gleichen Standort durch ein größeres und effizienteres Modell ersetzen – das sogenannte Repowering –, müssen sie ein komplett neues Genehmigungsverfahren durchlaufen, was schon allein eine am Standort zwischenzeitlich angesiedelte Vogelart zunichtemachen kann. Das Aufstellen einer besseren Windmaschine am alten Standort ist für die Betreiber auch deshalb attraktiv, weil die Infrastruktur bereits erschlossen ist und die Anwohner sich mit den Anlagen arrangiert haben.
Inzwischen haben sich die Voraussetzungen für den Bau neuer Windanlagen erheblich verschärft. Nach Erkenntnissen der Fachagentur Windenergie an Land werden sich mindestens 40 Prozent der Altanlagen am Standort nicht repowern lassen. Die jetzt geltenden strengeren Abstandsregeln für Windräder zu den Wohnsiedlungen gelten zwar nicht für bestehende Anlagen, aber für "Modernisierungen" am gleichen Standort.
Dabei wäre ein Repowering auch flächen- und umweltschonend, weil bereits erschlossene Standorte und Infrastruktur weitergenutzt werden. Auf den vorgeprägten Flächen könnten Neuanlagen zudem deutlich mehr Strom erzeugen.
Mit dem absehbar drohenden Stilllegungsszenario dürfte die Energiewende, deren wichtigste Säule die Windkraft ist, in den kommenden Jahren heftig ins Stocken geraten. Ein Ausgleich der Windflaute durch mehr Solarenergie ist kaum möglich, weil auch der Zubau an Photovoltaik auf 4.000 Megawatt begrenzt ist. Und die Solarpanels können nachts keinen Strom liefern, ihre Volllaststunden entsprechen nur einem Drittel der Windkraft.
Ab 2020 könnte nun erstmals der Abriss alter Windräder den Zubau übertreffen. Eine Umfrage der Fachagentur unter Anlagenbetreibern bestätigt die finsteren Aussichten der Branche. Rund die Hälfte der Befragten sieht nach dem Auslaufen der Förderung auch das Ende ihrer Windräder kommen.
Notausgang Ökostromer und Ikea
Einige Windmüller suchen noch nach alternativen Vermarktungsmodellen. Sie wollen die erzeugte Energie nicht mehr nur als "Graustrom" ins Netz einspeisen, sondern direkt an Ökostromanbieter wie Greenpeace Energy, Lichtblick oder die Elektrizitätswerke Schönau verkaufen, aber auch an Großunternehmen wie Ikea, die ihr Image mit Grünstrom aufpolieren.
Wie viele Deals am Ende tatsächlich zustande kommen und zu welchen Preisen, ist derzeit noch offen. Doch eine rentierliche Direktvermarktung ist wohl nur für eine Minderheit der Anlagen möglich.
Und die Politik? Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war schon in seiner Zeit als Umweltminister eher ein Bremser der Energiewende. Den Staatssekretärsposten für die Energiewende, die politische Schlüsselstelle zur Umsetzung, ließ er über ein Jahr vakant, bevor sie am kommenden Freitag mit dem Chef der Wuppertaler Stadtwerke besetzt wird.
Auch sonst zeigt sich Altmaier eher ignorant: Bei der weltgrößten Windmesse in Hamburg wartete im Herbst letzten Jahres die Branche, die mehr als 160.000 Menschen allein in Deutschland beschäftigt, vergebens auf den Minister. Altmaier schickte einen Abteilungsleiter.
Am heutigen Dienstag zieht die Branche Bilanz für 2018 und blickt in die Zukunft. Nach dem "Windjammer" der Offshore-Betreiber vergangene Woche – auch auf See drohen drei Flautejahre in Folge ohne nennenswerten Zubau – wird der zehnfach größere Sektor an Land ebenfalls die Alarmtaste drücken. Die fetten Jahre scheinen vorbei, die Energiewende stockt.
Dabei hat erst am Wochenende die Kohlekommission beschlossen, wegen der bedrohlichen Klimaentwicklung spätestens 2038 den letzten Kohlemeiler abzuschalten. Dann sollen Wind, Sonne und Co die Hauptlast der deutschen Stromversorgung schultern. Dafür braucht es deutlich mehr Windräder und Solarpanels. Auch die in den nächsten Jahren absehbar stark steigenden Stromverbräuche erfordern einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien.