Klimareporter°: Herr Mann, Fridays for Future in Deutschland wurde in den sozialen Medien beschimpft, weil nach Klimademonstrationen angeblich Müll auf den Plätzen herumlag. In Ihrem Buch erwähnen Sie solche Vorwürfe auch aus Großbritannien. Ist das eine universelle Strategie?
Michael Mann: Auf jeden Fall. Die Bewegung und ihre Repräsentanten der Heuchelei zu bezichtigen, ist eine der wichtigsten Taktiken in dem, was ich den "neuen Klimakrieg" nenne. Es ist ein sehr effektives Mittel, um wichtige Stimmen zu diskreditieren.
Es steht außer Frage, dass bestimmte Akteure, damit meine ich die fossile Lobby und auch staatliche Akteure, besonders Russland, die sozialen Medien als Waffe eingesetzt haben, um diese Art von Botschaften zu verbreiten. Das ist ein klassisches Beispiel. Es zeigt, dass sie vor nichts zurückschrecken, denn in diesem Fall sind sie buchstäblich hinter Kindern her, um ihre Agenda der Untätigkeit voranzubringen.
Welche Konzerne haben das getan?
Das ist sehr nebulös, denn vieles davon wird von Bot-Armeen gemacht. Ich dokumentiere in meinem Buch, wie diese Armeen von Bots auf Twitter und Facebook, die diese Botschaften verbreiten, in einigen Fällen mit Lobbyorganisationen der fossilen Brennstoffe verbunden zu sein scheinen. Vor allem aber mit staatlichen Akteuren wie Russland.
Mithilfe digitaler Forensik konnten verschiedene Organisationen zeigen, dass diese Nachrichten von Bot-Armeen verbreitet werden, die von Russland und anderen Akteuren eingesetzt wurden. Es ist schwer, die Angriffe richtig zuzuordnen. Es geschieht auf eine indirekte Weise. Aber wir wissen, dass diese Bot-Armeen, die den Klimawandel leugnen, Botschaften verbreiten, die Klimaaktivisten angreifen und versuchen, die Klimabewegung zu spalten.
In Ihrem Buch beziehen Sie sich bei dem Thema vor allem auf die USA. Denken Sie, dass dies auch in Deutschland und Europa der Fall ist?
Soziale Medien sind global, und während einige dieser Bemühungen auf bestimmte Länder wie zum Beispiel die USA und Kanada abzielen, vor allem im Vorfeld kritischer Wahlen, beeinflussen sie den Online-Diskurs auf der ganzen Welt.
Während die deutsche Klimapolitik insgesamt wesentlich handlungsfreudiger ist als die in Ländern wie den USA und Australien, gibt es immer noch Streit um Dinge wie den Bau der russisch-deutschen Pipeline, die von der aktuellen Regierung favorisiert wird. Ich vermute, dass die Interessengruppen der fossilen Brennstoffe hart daran arbeiten werden, die Unterstützung für dieses Projekt aufrechtzuerhalten, indem sie die üblichen Taktiken anwenden.
Sie haben bereits das erwähnt, was Sie "den neuen Klimakrieg" nennen. Was unterscheidet ihn vom "alten Klimakrieg"?
Michael E. Mann
ist Professor für Atmosphärenwissenschaft und Direktor des Earth System Science Center an der Penn State University in Pennsylvania. 1999 veröffentlichte er mit Kollegen das sogenannte Hockeyschläger-Diagramm – eine Grafik, die den Temperaturverlauf des letzten Jahrtausends auf der Nordhalbkugel zeigt und damit die Klimaerwärmung anschaulich macht. Nachdem dieses Diagramm auch im dritten Sachstandsbericht des Weltklimarats veröffentlicht und somit bekannter wurde, geriet Mann ins Kreuzfeuer von Klimawandel-Leugnern.
Der "alte" Klimakrieg war ein Angriff auf die Wissenschaft. Fossile Interessengruppen und diejenigen, die auf ihr Geheiß handeln, wie konservative Medien und Politiker versuchten, die Wissenschaft, die dem vom Menschen verursachten Klimawandel zugrunde liegt, zu diskreditieren. Oft durch Angriffe auf die Wissenschaftler selbst.
Ich fand mich selbst im Fadenkreuz dieser Angriffe auf die mittlerweile ikonische Hockeystick-Kurve, die meine Kollegen und ich vor einigen Jahrzehnten veröffentlicht haben.
Wir wissen, dass diese Kräfte der Untätigkeit – oder "Inaktivisten", wie ich sie nenne – sich in letzter Zeit solcher Versuche weitgehend enthalten haben, weil sie nicht mehr glaubwürdig sind. Die Menschen können sehen, dass der Klimawandel stattfindet. Das heißt nicht, dass die Inaktivisten aufgegeben haben, ganz im Gegenteil. Aber sie haben sich anderen Methoden zugewandt.
Nämlich?
Sie versuchen, die Überbringer der Botschaft zu diskreditieren oder die Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass der Klimawandel zwar real ist, aber kein Problem darstellt. Oder aber, dass wir uns durch sogenanntes Geoengineering aus der Affäre ziehen können. Die Industrie für fossile Brennstoffe nutzt außerdem Ablenkungskampagnen.
Wie funktionieren solche Ablenkungskampagnen?
Ein Beispiel ist die Kampagne von BP, früher British Petroleum. Die BP-Leute haben Anfang der 2000er Jahre den allerersten individuellen CO2-Fußabdruck-Rechner veröffentlicht. Sie wollten, dass wir uns so sehr auf unseren individuellen CO2-Fußabdruck konzentrieren, dass wir nicht auf ihren achten. Dabei stammen 70 Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen von nur 100 umweltverschmutzenden Unternehmen.
Das gehört zu den wichtigsten Taktiken, auf die auch mein Buch hinweist. Sie sind viel schwieriger zu entdecken, subtiler. Sie sind wirklich die einzigen Hindernisse, die uns jetzt im Weg stehen, da wir in gewisser Weise so nah dran sind, endlich die notwendigen Maßnahmen zu beschließen.
Auch viele Klimagruppen werben für einen niedrigen Fußabdruck und fordern die Menschen auf, zum Beispiel weniger Fleisch zu essen. Ist das schädlich?
Nein, ich denke, es ist wichtig. Wir sollten alle Dinge in unserem täglichen Leben tun, die unsere Umweltbelastung und unseren CO2-Fußabdruck verringern. In vielen Fällen sind das Dinge, die uns gesünder machen, uns Geld sparen lassen und uns ein besseres Gefühl geben. Außerdem sind wir ein gutes Beispiel für andere Menschen.
Was wir nicht zulassen können, ist, dass die Inaktivisten uns davon überzeugen, dass es die einzige Lösung ist und dass es die notwendigen systemischen Änderungen in der Politik ersetzen kann.
Wir können als Einzelpersonen keinen Preis für CO2 erheben, wir können keine Subventionen für die erneuerbaren Energien bereitstellen, wir können keine neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe verhindern. Wir brauchen unsere Regierungen, um das zu tun.
Eine andere Taktik, die Sie erwähnen, ist die Spaltung der Klimabewegung.
Ich spreche davon, dass wir mit dem Finger auf andere zeigen. Das bewirkt mehrere Dinge. Erstens erlaubt es den Inaktivisten, auf Greta Thunberg oder John Kerry zu zeigen und sie zu beschuldigen, Heuchler zu sein. Zum Beispiel, weil Greta den Atlantik in einem Boot überquerte, das aus Plastik war.
Mit dem Finger auf andere zu zeigen und sich gegenseitig zu beschuldigen, führt aber auch zu Zwietracht und Spaltung innerhalb der Klimabewegung. Die Inaktivisten wollen, dass wir gespalten sind, sodass wir nicht mit einer gemeinsamen Stimme sprechen und Handeln und Veränderung einfordern können.
In Ihrem Buch schreiben Sie auch über die Gefahr, Sozialpolitik oder Kapitalismuskritik mit der Klimadiskussion zu verbinden. Warum halten Sie das für ein Problem?
Es gibt eine neue Entwicklung, bei der sich immer mehr Menschen in der linken Umweltbewegung gegen eines der wichtigsten Mittel zur Lösung des Problems stellen, nämlich die Bepreisung von Kohlendioxid.
Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Ich denke, es ist ein absichtlicher Versuch von Inaktivisten, sie dagegen aufzubringen. Konservative sind bei uns traditionell gegen Marktmechanismen im Umgang mit dem Klimawandel. Dies ist nun ein Weg, um sogar einige Progressive dazu zu bringen, dagegen zu sein.
Für diejenigen, die glauben, dass der Kapitalismus selbst das Problem ist, sind CO2-Preise ein Mittel der liberalen Wirtschaft und deshalb schlecht. Im Grunde stimme ich ja mit den Kritikern überein, dass wir über unsere derzeitige, von Ressourcenausbeutung angetriebene globale Wirtschaft reden müssen und darüber, ob sie mit einer nachhaltigen Existenz auf diesem Planeten vereinbar ist.
Aber?
Aber wir müssen die Klimakrise jetzt bewältigen. Das bedeutet: Um dieses Problem zu lösen, müssen wir innerhalb des wirtschaftlichen Rahmens arbeiten, der jetzt existiert. Wenn wir glauben, dass wir unser gegenwärtiges globales Marktwirtschaftssystem umstürzen müssen, bevor wir den Klimawandel angehen können, schieben wir das Problem nur weiter vor uns her.
Sie sagten, dass wir schon nah an den notwendigen Maßnahmen zum Klimawandel sind. Was macht Sie so hoffnungsvoll?
Ich bin vorsichtig optimistisch. Die Ereignisse seit der Drucklegung des Buches vor einem Jahr haben diese Botschaft noch verstärkt.
Das Buch
Michael E. Mann: Propagandaschlacht ums Klima. Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen. Verlag Solare Zukunft, Erlangen 2021. 440 Seiten, 29 Euro. Originalausgabe: The New Climate War.
Die USA sind zurück auf der Weltbühne und versuchen eine Führungsrolle zu übernehmen, indem sie mit anderen Nationen kooperieren, um den Paris-Mechanismus auf dem Weg zur nächsten Klimakonferenz COP 26 im November zu überarbeiten.
Die Internationale Energieagentur – traditionell eine sehr konservative Institution, die in der Vergangenheit die Bedeutung der erneuerbaren Energien heruntergespielt hat – hat verkündet, dass es möglich ist, eine katastrophale Erwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius abzuwenden. Dann dürfe es aber keine neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe mehr geben.
Die USA haben sich zur Dekarbonisierung verpflichtet, die EU hat entsprechende Zusagen gemacht, Großbritannien und sogar China deuten jetzt an, dass sie bereit sind, ihre eigenen Verpflichtungen zu verschärfen. Das sind Gründe für vorsichtigen Optimismus.
Aber gleichzeitig haben wir es immer noch mit den massiven Bemühungen der fossilen Brennstoffindustrie zu tun, den Fortschritt zu blockieren, den Weg nach vorne zu versperren.
Wenn ich bereits tue, was ich individuell tun kann, was kann ich als Einzelperson sonst noch beitragen?
Das Wichtigste, was wir als Einzelne tun können, ist, unsere Stimme zu nutzen. Das kann in der Form geschehen, dass wir Politiker wählen, die bereit sind, etwas zu tun. Dieser politische Wandel erfordert kollektives Handeln, individuelles Handeln in massivem Ausmaß, wenn es um die Stimmabgabe geht.
Und wie gelingt der politische Wandel?
Wir müssen die Politiker in die Verantwortung nehmen, indem wir zum Beispiel Briefe schreiben. Der Klimawandel muss Teil unserer täglichen Gespräche mit Familienmitgliedern, Freunden, Arbeitskollegen, Schulkameraden und allen anderen sein.
Ein Weg, den eigenen Einfluss zu verstärken, ist, Mitglied in Organisationen zu werden. Diese repräsentieren große Gruppen von Menschen und haben die Mittel, um zu versuchen, die politischen Entscheidungsträger zur Rechenschaft zu ziehen, um eine klima- und umweltfreundliche Politik durchzusetzen.
In jeder möglichen Weise aktiv zu sein ist das Wichtigste, was ein Einzelner tun kann. Denn auch Menschen, die vielleicht nicht glauben, dass der Klimawandel existiert, oder denen der Klimawandel egal ist, müssen am Ende ihren Fußabdruck reduzieren. Und der einzige Weg, wie wir das tun können, ist, das System zu ändern.