Graffiti mit schreiender Person
Der Alarmismus-Vorwurf ist so alt wie die Klimaforschung. (Foto: Ben Cumming/​Flickr)

"Weißt du, was mir in diesem Zusammenhang viel mehr Sorgen macht … dieser Alarmismus, speziell beim Thema Klima." Dieser Satz stammt von Markus Lanz. In den zwei letzten Podcast-Folgen von "Lanz & Precht" widmen sich der TV-Moderator und sein Podcast-Buddy Richard David Precht dem Klima-Alarmismus.

Und nicht nur Lanz macht dieser "Alarmismus" Sorgen. Konservative Medien und Politiker:innen wirken teilweise gar unentschlossen, ob der Klimawandel selbst, oder nicht doch der Klima-Alarmismus, die größere Bedrohung für die Menschheit ist. Was steckt hinter dem Vorwurf?

An Markus Lanz lässt sich das gut skizzieren. Ihm ist der ganze Diskurs zu apokalyptisch. Lanz stört dieses Gerede von: Wir haben nur noch so und so viele Jahre Zeit, um ... Ja, was eigentlich?

Auf welche Klima-Vorhersagen sich Markus Lanz bei seinem Rundumschlag gegen den "Klima-Alarmismus" bezieht, bleibt in dem Podcast leider unausgesprochen. Sicher ist nur, das Gerede von Zeitfenstern, die sich schließen – das stört ihn.

Eine derart unkonkrete Kritik mischt sich häufig mit dem Vorwurf des Alarmismus. Schließlich gehe es, so die Logik der Kritiker:innen, nicht um die Fakten, sondern die Stimmung. Lanz schiebt in seinem Podcast auch gleich nach, es liege ihm fern zu bestreiten, dass der Klimawandel ein ernsthaftes Problem sei.

Mit dem aktuellen Forschungsstand scheint Lanz allerdings nicht sonderlich vertraut zu sein. Klima-Vorhersagen sind keine Erfindungen von Medien oder Aktivist:innen. Sie sind auch keine losen Schätzungen oder Stimmungsmache, sondern basieren auf Modellen, die Jahr für Jahr robuster werden.

"Der Vorwurf ist im Grunde so alt wie die Klimaforschung", sagt der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf. "Manche Menschen können nicht unterscheiden zwischen Alarmismus und alarmierenden Tatsachen."

Sicherlich haben auch Klimawissenschaftler:innen in der Vergangenheit Vorhersagen gemacht, die sich später als falsch herausgestellt haben. Aber in der Klimaforschung hat sich enorm viel getan.

Um das 1,5-Grad-Ziel mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit einzuhalten, müssen die globalen Emissionen bis 2030 halbiert werden. Das sagen nicht einzelne Wissenschaftler:innen, sondern der Weltklimarat IPCC. In anderen Worten: Darüber herrscht große wissenschaftliche Einigkeit.

"Die Korrelation zwischen der Erderwärmung und den kumulativen Emissionen ist einfach ein empirischer Fakt. Und daraus lassen sich Treibhausgasbudgets und Emissionspfade sehr exakt berechnen", erklärt Klimaforscher Rahmstorf. Bis 2030 sind es noch sieben Jahre und bisher steigen die globalen Emissionen nach wie vor an.

Das ist eine ungemütliche, vielleicht sogar alarmierende Tatsache. Aber eben eine Tatsache.

Systematische Unterschätzung der Klimawandelfolgen

In der jüngsten Podcast-Folge argumentiert Precht zwar immer wieder gegen Lanz' Alarmismus-Schelte, aber das bleibt allgemein und diffus. Die beiden springen vom Klima zum medizinischen Fortschritt, rüber zur Bildung und wieder zurück zum Klima. Lanz stört, wie pessimistisch über die Welt und besonders den Klimawandel geredet wird, trotz all der menschlichen Errungenschaften. Ihm fehlt der Optimismus.

Dem Moderator gefallen die düsteren Appelle von UN-Generalsekretär António Guterres nicht. Dieser hatte auf der letzten Weltklimakonferenz in Ägypten davor gewarnt, dass die Menschheit auf dem "Highway zur Klimahölle" sei, und auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sah er die Welt in einem "bedauernswerten Zustand".

Gerade in der jüngeren Generation geht Lanz das Vertrauen in die Menschheit ab, wie er schon vor einigen Monaten in seiner ZDF-Talkshow im Gespräch mit Carla Rochel von der Letzten Generation bemängelte. Man müsse auf die Anpassungsfähigkeit der Menschheit vertrauen. Nur deshalb habe es der Mensch so weit gebracht.

Rochels Einwurf, dass sich die Menschheit nicht einfach an eine vier Grad wärmere Welt anpassen könne, lässt Lanz nicht gelten. "Doch, natürlich", entgegnet er.

Ein Merkspruch in der Klimawissenschaft, den der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber gern verwendete, lautet: "Avoid the unmanageable, manage the unavoidable" (Vermeide das Unkontrollierbare, kontrolliere das Unvermeidbare).

Dass eine Vier-Grad-Erwärmung in die Kategorie "Unkontrollierbar" fällt, ist in der Klimawissenschaft unumstritten.

Stefan Rahmstorf zweifelt bereits bei einer Drei-Grad-Erwärmung daran, dass sich die Welt "geordnet" anpassen könnte – geschweige denn bei vier Grad. Aber Lanz bleibt auch hier wieder unkonkret. Was ist mit "anpassen" gemeint? "Natürlich kann die Menschheit das überleben. Die Frage ist, zu welchem Preis?", kommentiert Rahmstorf.

Hier wird ein weiteres Problem deutlich, das sich häufig hinter dem Alarmismus-Vorwurf verbirgt: eine systematische Unterschätzung der Folgen des Klimawandels. Dies baut direkt auf der fehlenden Sachkenntnis auf.

Eine solche Diskrepanz hat auch Immo Fritsche, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Leipzig, festgestellt. "Als alarmistisch nehme ich den öffentlichen Diskurs über den Klimawandel überhaupt nicht wahr", sagt er. "Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass der Ernst der Lage noch viel zu wenig präsent ist in der Öffentlichkeit."

Es soll hier aber nicht nur um einen mehr oder weniger gut informierten TV-Moderator gehen. Die Frage, die sich anschließt, lautet: Was ist die ideale Klima-Kommunikation?

Die Realität des Klimawandels ist furchteinflößend

Denn egal, ob die Kommunikation nun alarmistisch ist oder nicht: Die Realität des Klimawandels ist furchteinflößend. Ist es also kontraproduktiv, die Faktenlage so darzustellen, wie sie ist? Wirkt das lähmend und überfordernd und hemmt den überfälligen gesellschaftlichen Wandel?

Nein, sagt Sozialpsychologe Fritsche. Früher sei man zwar davon ausgegangen, aber jüngere Studien zeigten, dass die Handlungsreaktion eher zunimmt, wenn mehr Furcht kommuniziert wird. Allerdings nur dann, wenn auch parallel Lösungen aufgezeigt werden.

Eine erfolgreiche Klima-Kommunikation muss deshalb die wissenschaftlichen Fakten vermitteln und zeigen, was man gegen den Klimawandel tun kann.

Die Lösungen dürfen allerdings nicht bloß auf individuelles Handeln setzen. Der Klimawandel ist ein globales Phänomen. Und wie bei jedem globalen Phänomen ist es ziemlich schwierig, eine Person davon zu überzeugen, dass die eigenen alltäglichen Handlungen wirksam sind.

Anstatt Einzelpersonen zum Recyceln oder zum Radfahren zu animieren, sollte eine gute Klimakommunikation also lieber zeigen, welche politischen Initiativen zu einer nachhaltigen Transformation führen und wie sich diese unterstützen lassen.

Wie grundlegend sich die Gesellschaft verändern muss, sei in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig präsent, sagt Fritsche. Tatsächlich trauen sich Politiker:innen, aber auch Teile der Klimabewegung kaum, über manche Themen zu reden.

Für Fritsche ist klar: "Ohne Einschränkung wird diese Transformation nicht gelingen." Darüber werde im Grunde nicht gesprochen. "Einschränkungen" – um keinen anderen Punkt wird ein so weiter Bogen gemacht in der Klimakommunikation.

Es ist kein Zufall, dass der Begriff Suffizienz nur wenigen bekannt ist. Dabei müsste er ähnlich breit diskutiert werden wie Effizienz und Energiewende. Er steht nämlich genau für all die Begriffe aus dem politischen Giftschrank: Einschränkung, Konsumverzicht, Selbstbegrenzung. Irgendwann müssen wir anfangen, auch darüber zu reden.

Wir unterschätzen die gesellschaftliche Klimaschutz-Zustimmung

Der Klimawandel ist ein kollektives und kein individuelles Problem. Das zumindest hat die Klimabewegung erkannt und verinnerlicht. Es braucht kollektive, allgemeingültige Regeln und Lösungen. Dazu gehört ein Tempolimit genauso wie der Kohleausstieg oder klimafreundliche Handelsverträge.

Für den Erfolg eines gesellschaftlichen Wandels spiele die Klimabewegung eine wichtige Rolle, meint Fritsche. "Politischer Aktivismus ist momentan eher das Gebot der Stunde, als privat zu recyceln oder kürzer zu duschen."

Menschen brauchen Vertrauen darin, dass sie als Teil einer Gruppe wirkmächtig sind. Während die Gesamtgesellschaft darin scheitert, dieses Vertrauen zu geben, macht die Klimabewegung genau das.

Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir denken nicht über uns als einzigartige Individuen nach, sondern als Teil einer Gruppe. Die Frage, die sich dem Individuum stellt, ist also nicht: Kann ich was gegen den Klimawandel machen, sondern: Können wir etwas gegen den Klimawandel machen?

Tatsächlich unterschätzen die meisten Menschen, wie groß die Sorge ihrer Mitmenschen über den Klimawandel ist und für wie wichtig sie Klimaschutz halten. In einer Studie schätzten die Befragten die Zustimmung für mehr Klimaschutz in der Gesellschaft als nur halb so groß ein, wie sie tatsächlich ist.

Das ist ein Problem. Glaubt man nicht an die Wirksamkeit der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, verliert man schnell den Glauben an die eigene Handlungsfähigkeit. Eine Lösung für dieses Problem: über die eigenen Sorgen und Wünsche sprechen – mit der Familie, mit Freund:innen, mit Kolleg:innen.

Politiker:innen wie Journalist:innen sind schlecht informiert

Besonders skurril ist der Alarmismus-Vorwurf, weil er sich nicht nur gegen die Klimabewegung richtet, sondern "die jungen Leute" gleichzeitig vor dem Alarmismus schützen möchte.

Markus Lanz etwa macht sich Sorgen um den Geisteszustand der Jugend, wie er im Podcast erklärt. Eigentlich müssten die jungen Menschen doch sagen: "Das packe ich jetzt an. Das möchte ich gestalten. Aber da ist keine Lust mehr zum Gestalten. Da ist einfach nur noch Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung."

Dass die junge Generation zu agitatorisch und alarmistisch sei, aber gleichzeitig zu wenig anpacke, ist ein weiter Wurf. Selten haben sich junge Menschen derart wortgewaltig und fundiert in die "große" Politik eingemischt.

Hinter dem Vorwurf des Klima-Alarmismus verbirgt sich also vieles, aber wenig Konkretes oder Konstruktives. Gegen Ende der letzten "Lanz & Precht"-Folge schlussfolgert Lanz mit Blick auf den von ihm diagnostizierten Alarmismus in den Medien: "Das Gegengift ist Recherche."

Dem kann man nur entgegnen: Auch das Gegengift gegen den Alarmismus-Vorwurf ist Recherche. Ähnlich resümiert Stefan Rahmstorf, wenn er über die öffentliche Debatte zum Klimawandel sagt: "Das generelle Diskussionsniveau in Talkshows oder Interviews finde ich schlecht. Sowohl vonseiten der Politiker:innen als auch der Journalist:innen."

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