Holz ist besonders dann klimafreundlich, wenn es den Kohlenstoff lange bindet. (Bild: Jirka Jiricek/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Reyer, die Zementindustrie ist für acht Prozent und die Stahlindustrie für zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Haben diese Baustoffe eine Zukunft?

Christopher Reyer: Es gibt verschiedene Ansätze, um Beton und Stahl zu dekarbonisieren, deshalb kann es durchaus sein, dass die Baustoffe eine Zukunft haben. Aber Holz hat einen wichtigen naturgegebenen Vorteil. Holz speichert Kohlenstoff.

Holz hat also das Potenzial, sofern die Ernte und die Bearbeitung weitestgehend CO2-frei gestaltet werden, nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv zu sein.

Wenn man über Holz als Baustoff spricht, geht es nicht nur um Balken und Bretter. Engineered timber, also ingenieurtechnisch bearbeitetes Holz, ist vielfältig einsetzbar. Mit Holz und Lehm lassen sich zum Beispiel Backsteine ersetzen.

Mit engineered timber meinen Sie etwa thermisch bearbeitetes Holz?

Thermo-Holz entsteht durch ein Verfahren, mit dem eine Eiche aus Brandenburg so witterungsbeständig gemacht wird wie Tropenholz. Das gibt es schon heute, aber da tut sich momentan sehr viel in der Materialforschung und vieles ist in der Entwicklung.

Haben Sie ein Beispiel?

Glulam – das ist ein Brettschichtholz, das unheimlich viel aushält. Heute wird das noch mit klima- und umweltschädlichem Leim zusammengehalten und muss am Ende als Sondermüll entsorgt werden.

Da gibt es nun Ansätze, bei denen das Holz zusammengesteckt oder -gepresst wird, um Glulam mit denselben Eigenschaften herzustellen. Das kann dann auch wiederverwendet werden.

Bisher spielen solche und ähnliche Stoffe im Holzbereich aber noch praktisch keine Rolle. Der Holzsektor ist nach wie vor ein sehr traditioneller Sektor. Da wird immer noch vor allem traditionelles Bauholz und Papier hergestellt.

Aber es werden zahlreiche Veränderungen kommen. Viele andere Sektoren müssen sich dekarbonisieren und schielen dabei auf Biomasse als eine mögliche Lösung.

Was ist denn der große Vorteil von Holz und auch anderen organischen Materialien als Baustoffe?

Es gibt offensichtliche Klima-Vorteile, aber auch architektonische Vorteile.

Die Klima-Perspektive ist: Wenn man es richtig angeht, kann Holz als Baustoff eine weitere Kohlenstoffsenke werden. Indem man Holz verbaut und auch danach weiterverwendet, also upcycelt und recycelt, kann der gebundene Kohlenstoff der Atmosphäre für hunderte Jahre entzogen werden.

Und die architektonischen Vorteile?

Holz ist ein vielfältig einsetzbarer Baustoff und er kann sehr gut präpariert werden. Große Einzelteile können bereits im Werk zusammengebaut werden, wodurch sich die Arbeitszeit auf der Baustelle verkürzt. Das ist wesentlich effizienter.

Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass sich Menschen in Häusern aus organischen Stoffen wohler fühlen oder das Wohnen in Holzhäusern auch tatsächlich gesundheitsfördernde Wirkungen hat.

Was muss "richtig gemacht" werden, damit Holz als nachhaltiger Baustoff gelten kann?

Die Wälder müssen nachhaltig bewirtschaftet werden. Wenn für Bauholz der Amazonas-Regenwald abgeholzt wird, ist das natürlich nicht nachhaltig. Bei der Abholzung wird immer auch CO2 emittiert. Erntereste verrotten und der Boden setzt Kohlenstoff frei – neben all den dramatischen Verlusten an Biodiversität. Das muss alles einberechnet und vermieden werden.

Es ist außerdem wichtig, sich zu überlegen, welche Verdrängungsprozesse eigentlich stattfinden. Wenn wir mehr Holz zum Bauen verwenden wollen, gleichzeitig aber auch mehr Papier produzieren, dazu noch Biomasse zur Energiegewinnung einsetzen und neue, innovative biomassebasierte Produkte wie Plastikersatzstoffe herstellen – irgendwann geht die Rechnung nicht mehr auf. Es braucht also ein integriertes Landnutzungssystem, in das eine Holzstrategie eingebunden werden muss.

Bild: Klemens Karkow/​PIK

Christopher Reyer

leitet am Potsdam-Institut für Klima­folgen­forschung die Arbeits­gruppe Wald und Öko­system­resilienz. Er forscht zu den Auswirkungen des Klima­wandels auf Wälder und andere ökologische Systeme und zu Möglichkeiten der Klima­anpassung und der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen.

Die dahinterstehende Frage ist: Welche Nutzung von Biomasse lohnt sich aus einer Nachhaltigkeitsperspektive und wo ist die Grenze?

Holz als Baustoff steht ziemlich gut da. Erstens ist ein Dach über dem Kopf möglicherweise essenzieller als andere Nutzungsarten und zweitens bleibt der Kohlenstoff eben sehr lange gebunden.

Das sieht bei anderen Nutzungsarten ganz anders aus.

Zum Beispiel bei Bioenergie.

Genau. Da wird Holz verbrannt oder andere Biomasse. Das ist natürlich alles andere als langlebig.

Das Ziel muss sein, Holz weniger als kurzlebiges Produkt zu verwenden. Wenn die Holznutzung entsprechend priorisiert wird und sich dadurch die Wertschöpfung von Holzprodukten erhöhen lässt, kann der Druck auf Wälder begrenzt werden, obwohl sich die Nutzung als Baustoff erhöht.

Denn natürlich ist es wichtig, Biodiversität und Primärwälder zu schützen. Sonst kann man das Holz nicht nachhaltig nennen und es entsteht einfach eine neue Form von Greenwashing.

Gibt es heute schon wegweisende Holz-Zertifikate?

Es gibt die FSC- oder die PEFC-Zertifizierung. Diese sichern über verschiedene Regeln eine nachhaltige Forstbewirtschaftung.

Aber das ist bei Weitem nicht ausreichend. Denn darunter fällt keine Klima-Bilanzierung, nicht der Vergleich mit anderen Biomasse-Produkten und auch nicht, ob das Holz recycelt wird. Es braucht in Zukunft ein ganzheitliches, integriertes Landnutzungssystem.

Klimabilanz und Wertschöpfung müssen kontrolliert und überprüft werden können.

Wenn man jetzt anfangen würde, nach den FSC- oder PEFC-Regeln immer mehr Holz zu nutzen, dann würde man auch an eine Grenze stoßen. Andere Biomasse-Nutzungen sowie Auswirkungen auf den Kohlenstoffkreislauf müssen in solche Überlegungen und so ein System einbezogen werden. Daher braucht es auch Zertifizierungen und Kontrollsysteme, die über FSC und PEFC hinausgehen.

Gäbe es denn nach heutigem Stand überhaupt genug Holz, um unseren Baubedarf zu decken und dennoch nicht alle unsere Wälder abzuholzen?

Wir haben 2020 eine Studie dazu veröffentlicht, die auch das Projekt "Bauhaus Erde" mitinspiriert hat. Wir haben damals den simulierten Holzbedarf mit den Holzernten aus dem Jahr 2015 verglichen. Mit dem gesamten geernteten Sägeholz ließen sich mehr als 50 Prozent, aber weniger als 90 Prozent des Bedarfs für den globalen Hausbau decken.

Dass ab jetzt alles Holz für den Hausbau verwendet wird, ist natürlich nicht realistisch. Deshalb muss man darüber nachdenken, wie man Holz recyceln und upcyceln kann, also möglichst lange in der Nutzungskaskade hält, bevor es zum Beispiel energetisch genutzt wird. Da muss sich noch vieles tun.

Eine weitere Möglichkeit, die wir simuliert haben, sind Holzplantagen. Die müssten klimaresilient, also angepasst an den Klimawandel sein und nachhaltig bewirtschaftet werden. Damit könnte man viel Holz herstellen, ohne Primär- und Sekundärwälder stärker zu belasten.

Stünden diese Plantagen dann nicht in Konkurrenz mit anderen Nutzungsarten, etwa der Nahrungsproduktion?

Ein Mann stapelt mit einem Radlader Tropenholzstämme auf, im Hintergrund Wald.
Abholzung im brasilianischen Amazonasregenwald. (Bild: Tarcisio Schnaider/​Shutterstock)

Nach unseren Berechnungen ginge es ohne eine Flächenkonkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion. Man würde stattdessen die Plantagen auf heute unbewaldeten Flächen, zum Beispiel Savannen oder degradierten Flächen, anlegen.

Natürlich ist auch das nicht konfliktfrei. Die Flächen werden teilweise produktiv genutzt, zum Beispiel durch Weidetierhaltung, und gerade Savannen sind wichtig für den Schutz der Biodiversität. Das müsste sozial und ökologisch gepuffert werden.

Aber es wäre eine Möglichkeit, um den wichtigen Kohlenstoff von Sekundär- und Primärwäldern zu schützen sowie die Verfügbarkeit von Agrarflächen zu gewährleisten.

Damit Holz als nachhaltiger Baustoff großflächig zu Einsatz kommen kann, geht es also nicht ohne Baumplantagen?

Ich würde von alternativen, integrierten Landnutzungssystemen sprechen. Da können Plantagen ein Bestandteil sein, aber auch Agroforste, besonders im Zusammenspiel mit dem Anbau anderer Bio-Baustoffe.

Das kann Bambus sein, oder etwa Hanf, aus dem sich Dämmmaterial, aber auch festere Baustoffe herstellen lassen. Das ist aber alles noch Zukunftsmusik. Bisher gibt es weder die entsprechende Baubranche noch die Expertise, um das umzusetzen. Es geht hier um mögliche Zukunftspfade.

Aber der Prozess ist angestoßen und der Baustoff wird immer stärker wahrgenommen, auch aufgrund des Drucks, das Bauen zu dekarbonisieren. Genau deswegen ist es so wichtig, jetzt über ganzheitliche Nachhaltigkeitsregularien nachzudenken, damit die nicht irgendwo auf dem Weg hinten runterfallen.

In Berlin-Kreuzberg soll ein 100 Meter hohes Wohnhochhaus aus Holz entstehen, das sogenannte Woho. Sind solche Prestigeprojekte wichtig?

Für Architekten sind solche Vorzeigebauten wichtig, um zu zeigen, dass so was geht, und zwar auch modern. Bisher denken beim Holzhaus viele an eine Almhütte. Dass ein Holzhaus auch modern und hoch und sicher gegen Feuer sein kann, können solche Projekte zeigen.

Die meisten Häuser, die weltweit gebaut werden, sind aber zwei- bis dreistöckige Gebäude und nicht irgendwelche tollen Hochhäuser. Vor allem bei diesen kleineren Häusern muss sich also eine neue Bauweise etablieren.

Um den Baustoff Holz attraktiver zu machen, sind solche Projekte trotzdem wichtig.

Haben Sie den Eindruck, dass sich in der Baubranche etwas tut?

Da habe ich als Forscher zu wenig direkten Kontakt mit der Branche. Was ich mitbekomme, ist, dass es immer wieder Vorbehalte gegen neue Ideen gibt und auch viele Vertreter der konventionellen Baubranche bevorzugen würden, wenn sich gar nichts ändern würde.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie können wir den Menschen würdevolle Unterkünfte bieten, ohne dabei den Planeten weiter zu zerstören? Das ist keine kleine Sache. Es geht nicht darum, ein Stadtviertel nachhaltig zu gestalten, sondern um die globale Herausforderung, den Bausektor zu dekarbonisieren.