Maschinelle Ernte auf einer Weidenplantage.
Ernte auf einer Kurzumtriebsplantage. Aus Weidenruten sollen Hackschnitzel oder Holzpellets produziert werden. (Foto: Lignovis/​Wikimedia Commons)

Ob Shampoo oder Turnschuhe, ob Wandfarbe oder Sprit für Autos: Fossile Rohstoffe stecken in vielen Produkten des täglichen Bedarfs, zumeist Erdöl. Das kann nicht so bleiben.

Die Alternative heißt: "Bioökonomie", also ein auf nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Stroh oder Algen basierendes Wirtschaftssystem. Es soll die fossile Ökonomie langfristig ablösen.

Doch diese Umstellung birgt auch Risiken, wie eine neue Studie im Auftrag des Umweltverbandes Nabu zeigt. Eine einseitige und unkontrollierte Nutzung könnte die Klima- und Artenkrise danach sogar noch verschärfen.

Das heißt: Die Belastungsgrenzen der Ökosysteme müssen bei der Entwicklung der Bioökonomie unbedingt mitgedacht werden.

Die Idee hinter dem Konzept ist zunächst einleuchtend. Die fossilen Ressourcen sind bekanntlich endlich, vor allem befeuert ihre Verwendung direkt oder indirekt den Klimawandel. Nachwachsende Rohstoffe haben diese Nachteile zumindest in der Theorie nicht.

Auch die Bundesregierung sieht das so. Im Rahmen ihrer 2020 veröffentlichten "Nationalen Bioökonomie-Strategie" verspricht sie: Die Umstellung ermögliche es, Ressourcen zu schonen, nachhaltig zu leben und Wohlstand zu sichern. Erreicht werden soll das mit massiven Investitionen in Technologien wie Biotechnologie, Gentechnik und Digitalisierung.

Ganz neu ist die Bioökonomie natürlich nicht. Biobasierte Rohstoffe werden längst in vielen Bereichen eingesetzt. Beispiele: Raps und Getreide werden zu "Biosprit" verarbeitet, Holz und Naturfasern zu Baustoffen, Pflanzensamen wie Sonnenblumenkerne und Oliven zu Reinigungsmitteln.

Der Anteil an der Gesamtproduktion ist in den meisten Bereichen – außer natürlich in der Landwirtschaft – gering, meist handelt es sich um Nischen.

Absehbare Flächenkonflikte

Eine Ausweitung der Bio-Rohstoffbasis ist aber alles andere als konfliktfrei. So müssen auf Agrarflächen auch künftig vorrangig Nahrungs- und Futtermittel angebaut werden, um die Ernährung zu sichern.

Der Wald wiederum darf nicht nur als "Holzfabrik" dienen, er muss auch Ökosystem und CO2-Senke bleiben. Und auch die oft als Ausweg gepriesene Nutzung von organischen Reststoffen wie Grünschnitt, Stroh oder Altspeiseöl ist mengenmäßig und technisch begrenzt.

Die Nabu-Studie fordert nun, dass die Politik die maximal nutzbare Biomassemenge anhand der ökologischen Belastungsgrenzen festlegt und Anbausysteme vorantreibt, die anders als die heute vielfach genutzten Monokulturen die Artenvielfalt fördern.

Grafik: Kreislaufwirtschaft mit Holzabfällen - vom Rohholz zur Faserplatte in der Industrie.
Mit Reststoffen aus einem Sägewerk lassen sich neue Materialien herstellen. Sägespäne aus der Holzverarbeitung können zu festen Faserplatten werden – eine Alternative zu Vollholzprodukten. (Grafik: NABU)

Außerdem sollen die Bio-Rohstoffe effizient eingesetzt werden. Holz zum Beispiel soll vorrangig für langlebige Produkte wie Möbel und Baustoffe eingesetzt und erst nach deren "Lebensende" zur Energiegewinnung verbrannt werden. Die Experten sprechen dabei von einer "Kaskadennutzung".

Weitere Empfehlung: Die Natur in den Ökosystemen soll gezielt wiederhergestellt werden, weil dies deren CO2-Speicherfähigkeit und die Biodiversität erhöht.

Die Studienautoren vom Internationalen Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien (IINAS) in Darmstadt packen zudem ein heißes Eisen an: Sie halten es für notwendig, die Ernährungsgewohnheiten umzustellen und den Futtermittel-Verbrauch deutlich senken.

Zu Deutsch: Die Bürger sollen, und zwar nicht nur aus Gesundheitsgründen, weniger Fleisch- und Milchprodukte essen, und die Landwirte die Viehnutzung – vor allem in der Massentierhaltung – herunterfahren.

Der Hintergrund: Die rund 16,7 Millionen Hektar Agrarflächen in Deutschland dienen zu 60 Prozent zum Anbau von Futtermitteln und zu 22 Prozent für Nahrungsmittel. Nur auf 16 Prozent stehen Energie- und Industriepflanzen.

Die Fläche für bioökonomische Rohstoffe ist also sehr begrenzt, wenn weiterhin so viel Ackerland für Pflanzen genutzt wird, die an Schweine, Rinder und Geflügel verfüttert werden. Dieser Umweg über den Tiermagen ist verlustreich: Um eine Kalorie Fleisch herzustellen, müssen im Schnitt sieben Kalorien aus dem Futter eingesetzt werden. 

Viel zu hoher Ressourcenverbrauch

IINAS-Direktor Uwe Fritsche kommentiert: "Die Bioökonomie hat erhebliche Potenziale in Deutschland und der EU, die zur Nachhaltigkeit beitragen können." Entscheidend sei es aber auch, den hier derzeit viel zu hohen Ressourcenverbrauch deutlich zu reduzieren – unter anderem durch mehr Recycling, Wiederverwendung und einen Übergang zur geschlossenen Kreislaufwirtschaft.

Grafik: Grüne Bioraffinerie - von angebautem Gräsern zu Plastik-Ersatz und Baumaterial.
In einer "grünen Bioraffinerie" können aus regional produziertem Wiesengras verschiedene Produkte hergestellt werden. (Grafik: NABU)

Fritsche gibt einen positiven Ausblick auch für die Jobs. Eine nachhaltige Bioökonomie biete Chancen für wirtschaftliche Impulse und mehr Beschäftigung im ländlichen Raum, aber ebenso in Städten, wo eine "urbane Land- und Forstwirtschaft" entstehen könne.

Letzteres meint einen Anbau von Nahrungsmitteln in Städten, etwa auf Grünflächen, Brachflächen oder Dächern, sowie die "Verwaldung" innerstädtischer Brach- und Grünflächen durch Laub- und Obstbaum-Pflanzungen als Beitrag zu Klimaschutz, Naherholung und Wasserregulierung.

Nabu-Chef Jörg-Andreas Krüger betont, für den Bereich Bioökonomie brauche es "ganzheitliche Lösungen, bei denen nicht nur technische Innovationen, sondern auch Natur und Gesellschaft mit einbezogen werden".

Er fordert gesetzliche Regelungen, die garantieren, dass die ökologischen Grenzen nicht überschritten werden – am besten in einem eigenen "Bioökonomie-Gesetz". Das sei eine zentrale Aufgabe für die nächste Legislaturperiode und müsse durch eine EU-Rahmenrichtlinie ergänzt werden – passend zum Brüsseler Großprojekt Green Deal