Arbeiter auf einer Baustelle
Viel Korruption, wenig Nachhaltigkeit: Im Baugewerbe gibt es nicht so viel, worauf man stolz sein kann. (Foto: Joffi/Pixabay)

In Architektur und Baubranche wird immer häufiger über "zirkuläres Bauen" gesprochen. Das Wort zirkulär bezieht sich auf einen Kreis, wie auch das englische recycling. Es geht um einen Materialkreislauf. Material soll wiederverwendet werden, nach Möglichkeit sogar mehrmals, damit Rohstoffe so spät wie möglich zu Abfall werden.

Günther Bachmann beginnt das Interview noch vor der ersten Frage. Er weist auf das neue Jahrbuch Ingenieurbaukunst hin, zu dem er das Vorwort beigesteuert hat: "In diesem Buch geht es um Brücken, Straßen und Türme. Diese spezielle Sparte von Architekten und Bautechnikern hat man eigentlich nicht im Blick, wenn man an Recycling beim Bauen denkt. Da denkt man eher an Wohn- und Bürogebäude. Diese Leute bauen Brücken und Straßen, sind aber ebenfalls auf das Thema gekommen."

Das zeigt, dass zirkuläres Bauen in der Branche weite Kreise zieht. In der Gesamtschau liegt aber der Bausektor in Sachen Nachhaltigkeit weit zurück. Erst sehr spät ist Recycling überhaupt ein größeres Thema geworden.

Klimareporter°: Herr Bachmann, wie oft haben Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn mit Recycling beim Bauen zu tun gehabt?

Günther Bachmann: Ich habe im Umweltbundesamt die Erarbeitung des Bodenschutzgesetzes geleitet. Das hat viel mit Bauen zu tun, weil man sinnvollerweise fragen muss: An welchem Platz soll überhaupt gebaut werden? Daran schließt sich an: Wie nutzt man bestehende Bauten, um nicht auf der grünen Wiese zu bauen? Das gehörte also schon in den 1990ern zum Bodenschutz.

In Westdeutschland hatte es vorher schon das Problem gegeben, dass Menschen auf Altlasten lebten, zum Beispiel weil auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik gebaut worden war. Es gibt hunderte Beispiele, wo Menschen krank wurden. Dann kamen solche Fälle aus der DDR dazu, überall gigantische Verunreinigungen. 1999 entstand deshalb das Bundesbodenschutzgesetz.

Wir haben dann über das Gesetz hinausgedacht, uns mit Recycling beschäftigt und eine Verordnung für das Wiederverwenden von Baustoffen entworfen. Wir haben damals schon überlegt, welche qualitativen Anforderungen und Grenzwerte man bei der Entsorgung von schädlichen Baustoffen eigentlich braucht. Es hat dann 20 Jahre gedauert, bis die Verordnung, die die Wiederverwendung von Reststoffen des Bauens regelt, beschlossen wurde.

Wo ist das so lange verzögert worden?

Im weitesten Sinne in der Politik, von der Bundes- bis zur lokalen Ebene. Die einen wollten nicht, die anderen konnten nicht. Zum Beispiel hat Bayern noch genug Deponien, wo sich der Bodenaushub entsorgen lässt. Fast alle anderen Bundesländer wollen das recyceln, die sind für harte Grenzwerte.

Schon vor Jahrzehnten wurde also vorgedacht. Was ist daraus geworden?

Zur Vorgeschichte gehört auch: Der damalige CDU-Umweltminister Klaus Töpfer hat das Kreislaufwirtschaftsgesetz entwickeln und beschließen lassen. 1996 trat es in Kraft. Die Idee war, dass der Staat per Ordnungsrecht Grenzwerte für verschiedene Sektoren vorschreibt. Das erzwingt den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft.

Wegen der vorgeschriebenen Recyclingquote für Aluminium kam es Jahre später zum Dosenpfand. Auch die Kunststoffsammlung im Gelben Sack beruht auf dem Gesetz. Das Thema Bauschutt wurde damals nur ganz allgemein angesprochen. Da gab es keine spezielle Regelung. Die hätte man machen müssen, aber das blieb lange aus.

Damit hing das Gesetz in dem Punkt in der Luft?

Genau. Aus dem gleichen Grund haben wir auch bis heute nur ein ganz schwaches Recycling von Plastikmüll. Wir sind zwar gut etwa bei Batterien, Aluminium, Stahl und Papier, denn das geht sozusagen direkt in den Kreislauf zurück. Aber das ist von der Industrie gewollt, das ist für sie einfach pures Geld. Das läuft.

Da, wo es nicht läuft, weil es nicht pures Geld ist, fehlen staatliche Vorgaben. Da haben wir mit den 90er-Jahren eine steile Vorlage, bei der aber dann nicht nachgezogen wurde, sodass wir heute im Grunde genommen immer noch mit Klein-Klein rumkrebsen. Jede Bundesregierung hat es mal versucht, scheiterte aber wegen irgendwelcher Streitereien. Deshalb sind wir auch mit dem Recycling im Baubereich nicht weit gekommen.

Die Architektin und Professorin Anja Rosen von der Universität Wuppertal sagt, das Kreislaufwirtschaftsgesetz wird hier gar nicht eingehalten. Beim Abriss eines Hauses muss eigentlich der Schutt stofflich getrennt werden, aber das werde normalerweise nicht gemacht und auch kaum kontrolliert. 

Ja, es wird nur das gemacht, was wirtschaftlich ist. Zum Beispiel, den Stahl aus der Armierung zu holen. Wenn aus den anderen Baustoffen ein gemeinsamer großer Haufen gemacht und dann abtransportiert wird, trennt das danach niemand mehr. Kontrollieren müssten das eigentlich die unteren Abfallbehörden.

Was würden Sie machen, wenn Sie an einem Abriss vorbeikommen, wo Sie sehen, dass der Schutt nicht getrennt wird? Wen würden Sie verständigen, um dagegen vorzugehen?

Die untere Abfallbehörde der Kommune oder des Landkreises. Die müssen das Gesetz umsetzen.

Und was würde dann passieren?

Möglicherweise sagen die mir dann, sie hätten schon eine Auflage für die Baustelle gemacht und würden jetzt nach meinem Hinweis eine Kontrolle durchführen. Oder sie sagen: Wir wussten noch gar nicht, dass da etwas abgerissen wird – das hat uns das Bauordnungsamt nicht angezeigt. Im schlimmsten Fall wird mir gesagt: Sie nerven.

Das Bundesumweltministerium sagt, es fehlen keine Durchführungsverordnungen für das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Warum sehen Sie das anders?

Natürlich gibt es viele Verordnungen und Auslegungsbestimmungen zu dem Gesetz. Aber die Masse macht es nicht. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung bestätigt diese These. Kreislauf-freundliches oder zumindest ressourcenschonendes Verpacken und der Einsatz von Rezyklaten wird immer noch nicht verbindlich gefordert und nicht hinreichend gefördert. Der Bausektor braucht Recycling-Zertifikate, zum Beispiel eine Quote für Beton mit 45 Prozent Recyclinganteil.

Günther Bachmann

war von 2001 bis 2020 General­sekretär des Rats für Nachhaltige Entwicklung der Bundes­regierung. Vorher arbeitete der promovierte Landschafts­planer fast 20 Jahre im Umwelt­bundes­amt, wo er schon mit Recycling­fragen des Bau­sektors zu tun hatte. Heute ist er im Ruhe­stand, aber weiter als Berater und Publizist tätig. Bachmann ist zudem Jury-Vorsitzender der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeits­preis.

Zudem müssten Lebenszykluskosten von Materialien berechnet werden, und dafür braucht es staatliche Richtwerte. Sonst bleiben gesetzliche Anforderungen ans Abfallmanagement weiterhin schöngeistige Literatur. Meiner Meinung nach sollte der Staat im Rahmen einer Reform des Kreislaufwirtschaftsgesetzes produktbezogen oder auf Komponenten bezogen Mindestquoten für den Einsatz von Rezyklaten festlegen.

Wie gesagt: Beim Dosenpfand hat das geklappt. Es hat mich auch bei meiner Arbeit als Generalsekretär für den Nachhaltigkeitsrat regelmäßig genervt, dass solche wichtigen Innovationsfragen immer liegenbleiben. Immer wieder gibt es ein neues Klimaziel. Aber das, was man tun muss, um die Klimabilanz beim Bauen zu verbessern, sind solche konkreten Schritte.

Auf der EU-Ebene gibt es eine Bauprodukteverordnung, eine Abfallrahmenrichtlinie und andere Gesetze. Kommen von da nicht wirkmächtige Vorgaben?

Im Prinzip verlassen wir uns ja immer aufs EU-Recht und hoffen, dass von dort etwas kommt, was wir zu Hause nicht schaffen. Aber bisher gibt es auch da zu wenig für den Baubereich.

Die Bauprodukteverordnung regelt im Grunde den Gesundheitsschutz in Gebäuden, also die Verwendung von giftigen Stoffen in Bauteilen. Recyclingfragen sind da noch nicht richtig enthalten.

Jetzt ist die Frage: Was ist mit dem Green Deal der EU-Kommission? Im Klimaschutzprogramm "Fit for 55" sind Baustoffregelungen vorgesehen. Es geht um die Wiederverwendbarkeit aller Bestandteile und sogar eine positive CO2-Bilanz durch das Bauen mit Holz. Aber dem gesamten Green Deal fehlt noch die Finanzierung und die Abstimmung mit den anderen europäischen Institutionen.

Sie sind Juryvorsitzender beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Da geht es auch um Architektur. Was für Bauprojekte kommen Ihnen da unter?

Beim Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung haben wir in der Wirtschaftskrise 2007/​2008 überlegt: Was kann man tun, um privates Engagement – ob durch Unternehmen oder Initiativen – für Nachhaltigkeit zu fördern? Daraus ist der Deutsche Nachhaltigkeitspreis entstanden. Es geht dabei um kulturelle Anerkennung. Der Preis ist privat finanziert, wir haben dafür Partner gefunden.

Er wurde nun schon 14-mal verliehen, zehnmal auch für Architektur. Partner sind da die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, die Bundesarchitektenkammer und der BDA, der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Es geht um einzelne Gebäudeprojekte, die von Bauherren eingereicht werden. Da kommen regelmäßig Holzbauten – übrigens auch im Hochbau –, recycelbare Konstruktionen und die Wiedernutzung von Gebäudesubstanz vor.

Der BDA hat in den letzten Jahren Positionspapiere für mehr nachhaltiges Bauen veröffentlicht. Etabliert sich in der Branche ein neuer, kritischer Diskurs?

Ich beobachte das in verschiedenen Branchen. Vor allem junge Leute, also die zwischen 30 und 45, wollen Nachhaltigkeit nicht nur im Privatleben, sondern auch beruflich vorantreiben. Das verändert Firmen.

Neben diesem Druck von innen gibt es auch einen riesigen Druck der Investoren – einen positiven Druck. Früher haben die das alle abgelehnt und gesagt: Das ist Spielerei, Spinnerei und Nische. Heute ist es Mainstream, was Investoren angeht. Wenn Sie einen Bau verkaufen wollen, müssen Sie die Nachhaltigkeit darlegen können.

In Ihrem Vorwort für den Recycling-Atlas schreiben Sie, dass Städte weltweit eine "imperiale Herangehensweise" verfolgen, was die in ihnen verwendeten Baustoffe angeht. Was meinen Sie damit?

Für den Bau von Gebäuden in Singapur wird weltweit Sand abgegraben – an Stränden, die den Singapurern nicht gehören. Das Gleiche gilt für Bauten in Dubai, in der Wüste, denn Wüstensand taugt nicht zum Hochbau. Das sind imperiale Verhaltensweisen, die das eigene Wohl zulasten des globalen Allgemeinwohls bevorzugen.

Und wir sind davon nicht ganz ausgenommen, denn wir haben bisher beim Städtewachstum auf das Umland relativ wenig Wert gelegt. Es wurde einfach gebaut. Da Städte weltweit logischerweise dort entstanden sind, wo es fruchtbare Böden gab, wachsen sie auch auf fruchtbaren Böden.

Sie verdrängen damit die Landwirtschaft auf immer schlechtere Böden. Das ist ein weltweites Phänomen. Der Aufwand für Landwirtschaft wird immer größer, zum Beispiel wird mehr gedüngt. Das Städtewachstum erschwert also die Welternährung.

Einige der Städte haben das Problem erkannt, zum Beispiel gibt es die Initiative der 40 größten Städte der Welt für mehr Klimaschutz. Sie müssten allerdings darüber hinausgehen, den Klimanotstand zu verkünden, und sich einmischen in die Art und Weise, wie gebaut wird.

Und das Wachstum verhindern? Fordern Sie, dass keine Stadt mehr wachsen soll?

Ja, zumindest in der Fläche nicht. Sie können in die Höhe wachsen, und die Bevölkerung kann anwachsen, durch städtische Verdichtung, wobei dann auch die Lebensqualität durch mehr Grünflächen erhöht werden muss. Ich sehe die Zukunft der Stadt eher grün – und nicht grau von Beton.

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