Weiße Papierrollen von mehreren Metern Durchmesser liegen in einer großen Halle.
Die Herstellung von Papier ist extrem energieintensiv. Deutschland ist Großverbraucher. Nun soll alles auf "grünen" Wasserstoff umgestellt werden. (Foto: Carl Tim/​Shutterstock)

Der Papierhersteller Essity hat als erstes Unternehmen seiner Branche Papier komplett CO2-frei hergestellt. In seinem Werk in Mainz-Kostheim nutzt das schwedische Unternehmen, bekannt für seine Produkte "Tempo" und "Zewa", dafür neben Strom aus erneuerbaren Energien erstmals auch klimafreundlich erzeugten grünen Wasserstoff. Dieser ersetzt das in dem energieintensiven Papiertrocknungsprozess bisher genutzte Erdgas.

Viele Industrieprozesse laufen heute noch mit Erdgas, Kohle oder Erdöl. Wenn bisher über die geplante Umstellung auf Wasserstoff die Rede ist, geht es meist um Branchen wie die Chemie- und Stahlindustrie.

Doch auch in der Papierherstellung ist der Energiebedarf hoch, und hier wird meist Erdgas eingesetzt. In Deutschland werden hierfür pro Jahr fast 29 Mil­li­ar­den Ki­lo­watt­stun­den Gas verbraucht, was mehr als neun Pro­zent des Gesamtbedarfs der Industrie ausmacht.

Ein Grund da­für ist die hohe Pro­duk­ti­ons­men­ge: Im Jahr 2021 wurden aus Holz und Altpapier hierzulande 23 Mil­li­o­nen Ton­nen Pa­pier, Pap­pe und Kar­ton pro­du­ziert, das sind rund 270 Kilo pro Kopf.

Erd­gas ist bisher Wär­me­quel­le für vie­le Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se in der Pa­pier­her­stel­lung, unter anderem für die Erzeugung von Dampf, der beim Alt­pa­pier­-Re­cy­cling und beim Trock­nen von Pa­pier be­nö­tigt wird. Aber auch der Strom, mit dem Pa­pier­ma­schi­nen be­trie­ben wer­den, wird häu­fig vor Ort aus Erd­gas er­zeugt.

Eine mo­der­ne Pa­pier­ma­schi­ne, die bei ei­ner Lauf­brei­te von zwölf Me­tern Pro­duk­ti­ons­ge­schwin­dig­kei­ten von bis zu 2.000 Me­tern pro Mi­nu­te er­rei­cht, produziert meh­re­re Hun­dert­tau­send Ton­nen Pa­pier pro Jahr.

Besonders bei der Papiertrocknung sind sehr hohe Temperaturen nötig, die in dem Prozess laut Essity mit Strom technisch nicht erreichbar sind. In seinem Mainzer Werk hat das Unternehmen nun erstmals in einem großindustriellen Versuch bei laufender Produktion 100 Prozent grünen Wasserstoff eingesetzt, in der sogenannten Tissue-Haubentrocknung, die mit bis zu 600 Grad heißer Luft arbeitet.

Unter anderem wurde in neue Brenner investiert, die ein Erdgas-Wasserstoff-Gemisch, aber auch 100 Prozent H2 nutzen können. Umgerüstet wurde dafür die größte und leistungsfähigste Papiermaschine des Standortes, genannt PM4.

Nicht genug erneuerbar erzeugter Wasserstoff verfügbar

Ein dauerhafter Einsatz von grünem Wasserstoff an der PM4 könnte, so das Unternehmen, pro Jahr rund 37.000 Tonnen CO2 einsparen. Das entspreche dann rund einem Viertel des CO2-Gesamtausstoßes des Mainzer Werks.

Bisher mangele es aber noch an der dafür nötigen leistungsfähigen Wasserstoff-Infrastruktur, sagte Essity-Werksleiter Thorsten Becherer. "De facto könnten wir ab heute schon permanent CO2-frei Papier produzieren, allerdings müsste dann alle zwei bis drei Stunden ein Transporter mit Wasserstoff kommen."

Essity will spätestens 2050 weltweit klimaneutral wirtschaften. Bisher hat der Konzern, der seine Produkte in rund 150 Ländern vertreibt, in das Mainzer Projekt nach eigenen Angaben vier Millionen Euro investiert.

Weitere 1,4 Millionen steuerte das hessische Wirtschaftsministerium aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (Efre) bei. Mainz-Kostheim ist zwar ein Stadtteil der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, liegt aber in Hessen.

Minister Tarek Al-Wazir (Grüne) sagte zu der Innovation: "Essity zeigt, dass eine nachhaltige Produktion in der Papierindustrie möglich ist und auch sehr energieintensive Prozesse mit grünem Wasserstoff klimafreundlich gestaltet werden können."

Der Konzern denkt daran, das neue Verfahren in Zukunft auch an anderen Standorten einzusetzen, wenn es sich in Mainz bewährt. Allerdings brauche es generell einen schnelleren Aufbau einer lokalen, regionalen und internationalen Wasserstoff-Infrastruktur.

Derzeit werde das Potenzial des grünen Wasserstoffs in der Energiewende noch zu wenig genutzt. Becherer dazu: "Wir wollen mit unserem Projekt eine Vorreiterrolle übernehmen. Zügig angepasste Rahmenbedingen würden es uns ermöglichen, noch viel schneller voranzugehen."

"Versorgung der Industrie nur durch H2-Importe möglich"

Die Kritik an der langsamen Umrüstung auf Wasserstoff hat in jüngster Zeit zugenommen. So hatte die große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits im Jahr 2020 eine "Nationale Wasserstoffstrategie" mit mehreren Dutzend Projekten aufgelegt.

Davon wurde aber nur wenig umgesetzt. "Von 38 konkreten Maßnahmen der nationalen Wasserstoffstrategie ist nichts gekommen außer Ankündigungen", kritisierte unlängst der Chef des deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbands, Werner Diwald. Die Ampel-Regierung müsse hier dringend nachsteuern.

Hydrogen Europe, der Interessenverband der europäischen Wasserstoffwirtschaft, kündigte unterdessen Verbesserungen an. "Die Wasserstoff-Branche arbeitet mit Hochdruck daran, die großen industriellen Cluster mit den nötigen Grundmengen zu versorgen", sagte Verbandschef Jorgo Chatzimarkakis.

Großabnehmer wie der Stahlkonzern Thyssen-Krupp würden ab 2025 per Pipeline mit Wasserstoff versorgt. Ähnliches gelte für den Industriepark Höchst in Frankfurt am Main und den Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen. Für die Versorgung der großen Unternehmen werde allerdings ein Import von Wasserstoff nötig sein, betonte Chatzimarkakis.

Im Mainz wollen derweil Essity und der ebenfalls dort ansässige Spezialglas-Hersteller Schott zusammen mit den Stadtwerken Mainz die Wasserstoffnutzung in der energieintensiven Glasherstellung in einem gemeinsamen Projekt vorantreiben.

Die Stadtwerke steuern hier eine mobile "Beimischstation" bei, in der ein Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff erzeugt wird. In dieser von der Mainzer Netze GmbH konzipierten und betriebenen Anlage soll der Wasserstoff-Anteil schrittweise auf bis zu 35 Volumenprozent hochgefahren werden.

Anzeige