Matthias Willenbacher. (Bild: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, Deutschland liegt bei der Energiewende in Europa nur noch im Mittelfeld, hat eine Untersuchung des britischen Fachverbands für erneuerbare Energien ergeben.

Der "Energy Transition Readiness Index" betrachtet die Rahmenbedingungen für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in 14 europäischen Ländern. Auf einer siebenstufigen Skala landet Deutschland nur im unteren Mittelfeld, neben Italien und Spanien. Nur ein Prozent intelligente Stromzähler, wenig Wärmepumpen – ist die Energiewende hierzulande weniger weit fortgeschritten, als wir denken?

Matthias Willenbacher: Das Ergebnis überrascht nicht wirklich. Es ist das Ergebnis der 16-jährigen Regierungszeit von Angela Merkel, in der die Energiewende immer wieder ausgebremst wurde.

Im Verkehrssektor wurden zum Beispiel strenge EU-Abgasnormen verhindert. Der Abgasskandal wurde erst ermöglicht, dann so lange wie möglich ignoriert und am Ende gab es keine wirklichen Konsequenzen. Bis heute gibt es kein Tempolimit. Der Umstieg auf Elektromobilität wurde gemeinsam mit der Autoindustrie verschlafen.

Im Gebäudesektor blieb der Anteil erneuerbarer Wärme faktisch auf niedrigem Niveau konstant. Serielle Sanierungen von Altbauten wurden belächelt. Der Einbau von Smart Metern wurde verschleppt oder so verkompliziert, dass die wenigen eingebauten Geräte nicht die Aufgaben erfüllen konnten, die die Energiewirtschaft einhellig gefordert hatte.

Im Energiesektor wurde 2012 die heimische Solarindustrie zerstört und ab 2014 der Windausbau abgewürgt. Die flexible Verstromung von Biomasse wurde nicht gefördert und der Netz- und Speicherausbau verzögert.

Trotz der Verhinderungspolitik haben wir es im Stromsektor geschafft, über 50 Prozent Erneuerbaren-Anteil zu erreichen. Es werden immer neue Rekorde bei der Installation von Photovoltaik gebrochen und es gibt eine Höchstzahl genehmigter Megawatt im Windbereich. Mit dem schnellen Ausbau können wir das Abschalten der letzten Atomkraftwerke schon innerhalb eines Jahres kompensieren.

Im Wärmesektor ist mit dem Gebäudeenergie- und dem Wärmeplanungsgesetz eine klare Ausrichtung auf erneuerbare Energien erreicht worden, auch wenn die Fristen noch zu lang und die Ausnahmen zu mannigfaltig sind.

Bei der Mobilität fehlt es dagegen noch an einer Neuausrichtung. Das Nebeneinander von sinnvollem Deutschlandticket und dem unsinnigen beschleunigten Ausbau von Autobahnen weist eindrücklich auf den fehlenden Kompass hin. Ein Tempolimit würde hier ein klares Signal setzen. Es sollte schnellstmöglich eingeführt werden.

Insofern passt bei einem Blick auf das Gesamtsystem die mittelmäßige Wertung für Deutschland ganz gut. Grundlagen für eine kontinuierliche Verbesserung sind in einigen Bereichen gelegt. Um aber wieder nach oben zu kommen, ist noch sehr viel zu tun.

Bei ihrem Spitzentreffen in dieser Woche einigten sich Bund und Länder auf ein umfassendes Beschleunigungs-Paket. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen digitalisiert werden, der Ersatz kleinerer Windräder durch größere soll ohne Umweltverträglichkeitsprüfung möglich sein. Bringt das Paket den Durchbruch zum schnelleren Ausbau der Erneuerbaren?

Die Erleichterungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir fangen erst an, die vielen Hürden für den schnellen Ausbau der Windkraft allmählich aus dem Weg zu räumen.

Es ist lobenswert, dass Bund und Länder nun mit großer Einigkeit feststellen, dass wir ein verkrustetes System haben. Bis in den Genehmigungsbehörden aber schnelle Verfahren etabliert sind, wird es noch dauern.

Die Maßnahmenpakete müssen schließlich von den Behörden auch umgesetzt werden. Und daran mangelt es gewaltig.

Wir brauchen deshalb auch mehr Mitarbeiter:innen in den Ämtern, die gut aus- und weitergebildet sind und angemessen entlohnt werden. Das kommt im Paket leider viel zu kurz.

Außerdem müssen wir aufpassen, dass bei aller notwendigen Entbürokratisierung die demokratische Einspruchskultur – etwa beim Naturschutz – nicht unter die Räder kommt.

Ein neuer UN‑Report zeigt, dass die Regierungen der Welt mit großen Erdöl-, Erdgas- und Kohlevorkommen noch immer viel zu hohe Produktionsziele verfolgen. Die Staaten planen demnach, mehr als doppelt so viele fossile Brennstoffe zu gewinnen, wie es mit dem 1,5‑Grad-Ziel vereinbar wäre.

Lässt sich mit Öl, Gas und Kohle noch zu viel Geld verdienen, sodass zu wenige Konzerne aussteigen wollen?

Kurz und knapp gesagt: Ja. Die Gewinne der Ölunternehmen sind exorbitant. Immer noch werden fossile Brennstoffe in vielen Ländern – auch in Deutschland – direkt oder indirekt subventioniert.

Als Erstes sollten diese Fehlanreize schnellstens abgebaut werden. Hier fehlen eindeutige politische Signale und Maßnahmen, die den Unternehmen klarmachen, dass der Ausstieg aus dem fossilen Energiesystem beschlossene Sache und unumkehrbar ist.

Dazu gehört auf jeden Fall ein CO2-Preis, der auch die externen Kosten beinhaltet und gleichzeitig durch ein Klimageld sozial flankiert ist.

Ohne solche Maßnahmen wird es immer Unternehmen geben, die nur den kurzfristigen Gewinn im Blick haben, aber die langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten ignorieren können, da diese die Allgemeinheit übernimmt.

Das ist eine Wette auf die Zukunft, bei der es am Ende vielleicht einige wenige Gewinner gibt, aber alle anderen Verlierer sein werden.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Mich hat überrascht, dass sich die Ampelkoalition bei ihrer Einigung zum "Industriestrompreis" nicht getraut hat, die Stromsteuer für alle Verbraucher:innen auf das EU-Mindestmaß zu reduzieren, und das nur für das produzierende Gewerbe tun will.

Eine Senkung für alle wäre eine sehr einfache Maßnahme, um die Verbraucher:innen finanziell zu entlasten und strombasierte Lösungen wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge attraktiver zu machen.

Außerdem würde es den flexiblen Verbrauch von Strom anreizen, weil ein fixer Bestandteil des Strompreises wegfiele und der marktgetriebene Preis deutlicher bei den Verbraucher:innen ankäme. Die Mehrkosten einer breiten Senkung wären auf jeden Fall gut investiertes Geld gewesen.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Fragen: Jörg Staude