Matthias Willenbacher. (Bild: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, in Nairobi sprach UN-Generalsekretär Guterres diese Woche auf dem Afrika-Klimagipfel angesichts der Rekord-Sommerhitze von einem beginnenden Klimazusammenbruch. Er verlangte auch eine "Kurskorrektur" des globalen Finanzsystems, um die Finanzierung von Klimamaßnahmen zu beschleunigen und nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Welche Korrekturen am globalen Finanzsystem würden aus Ihrer Sicht den Klimaschutz wirklich voranbringen?

Matthias Willenbacher: Damit die armen Länder ihre wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben können, benötigen sie eine klimafreundliche Energieerzeugung. Die Investitionen in erneuerbare Energien müssen deshalb einfach und rechtssicher erfolgen können. Dafür bieten sich Bürgschaftsprogramme für private Investitionen und Kredite für staatliche Infrastrukturinvestitionen an.

Gleichzeitig muss die Förderung für fossil betriebene Kraftwerke, Atomkraftwerke und große Wasserkraftwerke sofort gestoppt werden, weil sie zu neuen Abhängigkeiten und hohen ökologischen und sozialen Folgekosten führt.

Ansonsten liegen ja viele Vorschläge schon auf dem Tisch und wurden auf dem Pariser Gipfel zum Weltfinanzsystem diskutiert. 

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass es globale Abgaben oder Steuern auf fossile Energieträger gibt, um zum einen klimaschädliches Verhalten zu verteuern und zum anderen einen eigenen Einnahmekanal für Weltbank und IWF zu schaffen.

Und die Zinsen für die armen Länder müssen auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Bei Katastrophen sollte die Tilgung der Kredite für zwei Jahre ausgesetzt werden, wie es für den Inselstaat Barbados vereinbart wurde.

Die Einführung eines Industriestrompreises wäre ein massiver Eingriff in den Strommarkt zugunsten der fossilen Erzeugung und würde die Energiewende abbremsen, sagen Expert:innen. Zudem werden die Strompreise für energieintensive Unternehmen schon seit Jahren stark subventioniert. Dennoch klagen viele dieser Unternehmen über zu hohe Stromkosten. Wer hat recht?

Ich kann mich, ehrlich gesagt, an keine Zeiten in den letzten 20 Jahren erinnern, in denen vonseiten der Industrie nicht über zu hohe Strompreise geklagt wurde. Genauso lange kenne ich die Diskussion über einen Industriestrompreis. Im Ergebnis gibt es ja auch zahlreiche Vergünstigungen, die die Strompreise für die großen Verbraucher senken. 

Ungeachtet der Eingriffe in den Strommarkt sehe ich den Umsetzungsvorschlag für einen Industriestrompreis kritisch. Derzeit sind viele Unternehmen, im Gegensatz zu früheren Jahren, Treiber des Erneuerbaren-Ausbaus und fordern die Regierungen in Bund und Ländern auf, den Ausbau zu beschleunigen. Sie haben erkannt, dass erneuerbare Energien einen Standortvorteil bedeuten, siehe Tesla oder Intel.

Wenn es aber ein eigenes "Erzeugungssegment" Offshore-Windstrom nur für Unternehmen mit einem sehr hohen Stromverbrauch gibt, verlieren diese Unternehmen das Interesse am sonstigen Erneuerbaren-Ausbau. Sie selber sind ja versorgt. 

Viel spannender finde ich den Ansatz, die Netzentgelte für Erneuerbare-Energie-Anlagen, die standortnahe Unternehmen versorgen, deutlich zu reduzieren oder besser in einem Radius von zehn bis 15 Kilometern ganz wegfallen zu lassen. Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte diesen Vorschlag auch als eine Möglichkeit der Industrieversorgung vorgestellt, ihn aber nicht weiterentwickelt.

Zusätzlich sollten in unmittelbarer Nähe von Industriebetrieben die Genehmigungen für Wind- und Solarparks deutlich vereinfacht und beschleunigt werden. 

Würde beides realisiert, wäre das ein sehr starker Hebel, erneuerbare Energien in der Nähe von Industriestandorten auszubauen und damit die Strompreise für die Industrie auf die gewünschten fünf bis sechs Cent je Kilowattstunde zu drücken.

Von der heute endenden Automesse IAA in München kamen widersprüchliche Signale. Die deutsche Autoindustrie setze immer noch auf tonnenschwere Verbrenner-SUV, verliere bei E‑Autos Marktanteile und die Messe sei ein Greenwashing-Event, kritisieren Umweltverbände. Andererseits klingeln auch 2023 die Kassen der hiesigen Hersteller. Welche Zukunft geben Sie der deutschen Autobranche?

Ich bin kein Insider der Automobilbranche, deswegen kann ich nicht wirklich beurteilen, ob VW, BMW und Mercedes ihre Milliardengewinne gut investieren. Aber eins ist klar: Das batterieelektrische Fahrzeug wird nicht aufzuhalten sein. In China liegt der Anteil der E‑Autos bei den Neuzulassungen in diesem Jahr schon bei rund 30 Prozent, und das ist der größte Absatzmarkt weltweit.

Der Natrium-Ionen-Akku wird Elektroautos für alle erschwinglich machen. Die ersten Fahrzeuge für umgerechnet rund 6.000 Euro sind bereits in China zu erwerben. Der große Vorteil dieser Batterietechnologie ist neben dem Preis auch die gute Verfügbarkeit von Natrium – es ist das sechsthäufigste Element der Erdkruste und kommt überall vor. Und die Energiedichte bei diesen Batterien ist mittlerweile schon vergleichbar mit Lithium-Modellen von vor drei Jahren.

Aber auch bei den Lithiumakkus tut sich einiges: Der weltgrößte Batteriehersteller CATL aus machte Mitte August mit der Ankündigung eines Superakkus von sich reden, der sich binnen zehn Minuten für 400 Kilometer Reichweite laden lassen soll. Die Serienfertigung ist für Ende des Jahres angekündigt, erste E‑Autos mit der neuen Batterie sollen im ersten Quartal 2024 vom Band rollen.

Aktuell ist Tesla der einzige große E‑Auto-Hersteller, der nicht aus Asien kommt. Der US-Konzern dürfte dieses Jahr rund zwei Millionen Fahrzeuge ausliefern und damit zu den etablierten Herstellern aufschließen, die aber vor allem Verbrenner-Fahrzeuge bauen.

Es könnte durchaus sein, dass Tesla schon in wenigen Jahren VW überholen oder mit einem anderen chinesischen Hersteller wie BYD an der Spitze der Produktionsliste stehen wird. Das wäre dann keine zehn Jahre später, nachdem sich ein VW-Vorstand über den Ankündigungsweltmeister lustig gemacht hat.

Wie schnell tatsächlich überall das autonome Fahren verfügbar sein wird, kann ich nicht beurteilen. In einigen Regionen in Asien und der USA gibt es heute schon reale Testmöglichkeiten. In San Francisco sind zwei Unternehmen zugelassen worden, die Flotten mit selbstfahrenden Taxis betreiben, Cruise und Waymo.

Auch wenn noch viele Herausforderungen zu lösen sind: Die Mobilität wird sich dadurch dramatisch ändern. Zum Beispiel wird der individuelle Besitz von Fahrzeugen drastisch zurückgehen.

Das Resultat aus den beiden Entwicklungen – E‑Mobilität und autonomes Fahren – wird die Autobranche komplett durcheinanderwirbeln. Für die deutschen Hersteller kann das nur bedeuten, schnellstmöglich in diesen Segmenten liefern zu müssen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Es hat mich überrascht und überrascht mich immer noch, wie entspannt in der medialen Öffentlichkeit und in der politischen Debatte mit den Meldungen zur fortschreitenden Erderhitzung und ihren Folgen umgegangen wird. 

In Griechenland hat es in den überschwemmten Gebieten an zwei Tagen so viel geregnet wie in vielen Regionen Deutschlands in einem Jahr – das Vierfache dessen, was im Ahrtal unglaubliche Verwüstungen angerichtet hat. Ich mag mir ein solches Szenario in Deutschland gar nicht vorstellen.

Der vergangene Sommer war nach Angaben der Weltwetterorganisation der heißeste, der je auf der Nordhalbkugel gemessen wurde. Im Ergebnis sind die Ozeane so warm, dass ein großflächiges Korallensterben befürchtet werden muss.

Gleichzeitig informiert das Bundeswirtschaftsministerium darüber, dass das vom Bundestag beschlossene Gebäudeenergiegesetz und die sich daraus ergebenen Maßnahmen 25 Prozent weniger CO2 einsparen werden, als mit der ursprünglichen Fassung erreicht worden wäre.

Und die Medienresonanz ist – etwa im Vergleich zur Debatte um den bayerischen Wirtschaftsminister Aiwanger – vollkommen entspannt, als hätte das alles nichts mit der bundesdeutschen Politik zu tun.

Ich hoffe jedenfalls, dass der globale Klimastreik am 15. September einen neuen Impuls setzen kann, und fordere jede und jeden auf, daran teilzunehmen.

Fragen: Jörg Staude

 

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