Klimareporter°: Herr Mindrup, beim Klimagipfel in Katowice engagierte sich Deutschland in der High Ambition Coalition für höhere Klimaziele. Zuhause aber bremst Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), wo es nur geht: beim Kohleausstieg, beim Ausbau der Erneuerbaren, beim Klimaschutzgesetz. Halten Sie diese destruktive Politik der Union eigentlich noch aus?
Klaus Mindrup: Die Union sollte sich an das halten, was wir mit ihr im Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossen haben. Da steht das Wort Klimaschutzgesetz zwar nicht wörtlich drin, aber ein Gesetz zur Erreichung der Klimaschutzziele wurde vereinbart.
Diese Klimaschutzziele sind während des Klimagipfels in Marrakesch von einer Bundesregierung beschlossen worden, die von Frau Merkel von der CDU geführt wurde und der Herr Altmaier auch angehörte. Wenn der Wirtschaftsminister jetzt sagen würde, wir sollten kein Gesetz machen, um Klimabeschlüsse einzuhalten, die die Bundesregierung selbst gefasst hat, wäre das ein schwerer Fall von politischer Schizophrenie.
Ich gehe davon aus, dass die Bundeskanzlerin sich an das hält, was mit uns vereinbart ist, und auch, dass eine Mehrheit der Abgeordneten in der Unionsfraktion weiß, wie wichtig das Klimathema ist.
Wir als SPD werden beim Klimaschutzgesetz hart bleiben. Es ist zu wichtig, als dass man es zu einem politischen Geplänkel nutzt oder bei den Klimazielen nachgibt.
Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles schlug sich mehrfach auf die Seite der fossilen Lobby und warnte vor einer "Blutgrätsche gegen die Braunkohle". Kritisiert man die SPD wegen dieser offensichtlich einseitigen Parteinahme, bekommt man zu hören, man zeichne ein völlig falsches Bild von der Partei ...
... das ist auch ein absolut falsches Bild von der SPD. Wir in der Fraktion hatten schon in der letzten Legislatur ein Papier verabschiedet, das ein Klimaschutzgesetz verlangte und keinen unverbindlichen Klimaschutzplan, den Mitglieder der Bundesregierung dann ständig vergessen – wie der Fall Altmaier wieder zeigt.
In dem Papier stand auch: Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, die Ausschreibungsmengen sind zu niedrig. Das haben wir jetzt mit dem Energiesammelgesetz korrigiert.
Weiter sagten wir: Wir wollen den europäischen Emissionshandel so verändern, dass ein Kohleausstieg in Deutschland Sinn macht. Wenn wir Kraftwerke stilllegen, müssen auch die entsprechenden Emissionsrechte eingezogen und nicht anderswo in Europa genutzt werden. Das hat dann noch Barbara Hendricks in Brüssel durchgesetzt.
Zur Person
Der studierte Biologe und SPD-Politiker Klaus Mindrup ist seit 2013 Abgeordneter des Bundestages und Mitglied der Ausschüsse für Bauen und für Umwelt. Er tritt für eine rasche, dezentrale, bürgernahe und gerechte Energiewende ein. Klimareporter° sprach mit Mindrup am Rande des Klimagipfels in Katowice.
Wir wollen Kommissionen einsetzen, die genau festlegen, wie wir unsere Klimaziele im Bereich Kraftwerke hinbekommen – das ist jetzt die Strukturwandelkommission. Die erhielt zudem den Auftrag, einen Vorschlag zu machen, wann wir aus der Kohle aussteigen. Damit ist klar: Die SPD steht für einen Kohleausstieg.
Parallel wollen wir auch eine Kommission im Verkehrs- und eine im Gebäudebereich. Die im Verkehr arbeitet jetzt, die für Gebäude ist noch nicht eingesetzt. Den Beschluss, dass wir beide Kommissionen benötigen, haben wir mit dem Antrag zur Klimakonferenz im November noch einmal erneuert.
All das wird aber viel weniger zur Kenntnis genommen als Halbsätze meiner Fraktions- und Parteivorsitzenden. Das finde ich bedauerlich, zumal Andrea Nahles auch verkürzt dargestellt wird und ich sie durchaus als Unterstützerin für den Klimaschutz wahrnehme.
Wie sicher sind Sie, dass das Kohle-Ausstiegsdatum, das im Endbericht der Kohle-Kommission zu finden sein wird, dann so vom Bundestag ins Klimagesetz gegossen wird? Worauf sich die Kommission einigt, ist doch das eine, was aber der Bundestag macht, kann etwas ganz anderes sein.
Der Bundestag entscheidet natürlich am Ende. Wenn die Kohle-Kommission einen Vorschlag zu einem Ausstiegsdatum und zu Strukturhilfen macht, gehe ich davon aus, dass wir ihr im Bundestag weitgehend folgen.
Diesen doch experimentellen Weg mit einer zivilgesellschaftlichen Kommission halte ich für richtig. Wenn man Klimaschutz betreibt, sollte man auf soziale Fragen achten und das in einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens tun.
Etwas wie in Ontario darf uns nicht passieren. Die Regionalregierung dort hatte ein sehr ehrgeiziges Klimakonzept in Kraft gesetzt – und am Ende kam es zu einem dramatischen Rechtsruck. Jetzt gibt es dort sogar Gesetze zum Rückbau von Windkraft.
Bei Kohle-Ausstieg wird in Deutschland die soziale Frage heiß diskutiert. Aber selbst die Daten der Braunkohleindustrie sagen: Bis 2030 gehen zwei Drittel der derzeit dort Beschäftigten ganz regulär in den Ruhestand. Da fragen sich wirtschaftlich Bewanderte: Wo ist hier das ganz große Problem?
Dennoch muss man sagen: Jedes menschliche Schicksal ist ein menschliches Schicksal. Auch die, die nicht in Ruhestand gehen, verlangen völlig zu Recht Antworten von uns. Die müssen wir geben.
Zugleich steht die wirtschaftliche Zukunft ganzer Regionen auf dem Spiel. Gerade die Braunkohle-Gebiete im Osten haben schon einen Strukturbruch hinter sich, der viele Familien zerrissen hat und wo die Kinder jetzt oft in Westdeutschland oder anderswo in Europa arbeiten, weil sie das Gefühl hatten, ihre Heimat hat keine Zukunft mehr. Deswegen ist die Sensibilität im Osten einfach höher als in anderen Regionen.
Als in den 1990er Jahren in der Ost-Braunkohle mehrere zehntausend Arbeitsplätze knallhart abgebaut wurden, begründete man das mit maroden Anlagen und der berühmten Bitterfelder Dreckluft. Die Bergleute akzeptierten das größtenteils, auch weil die Bergbau-Gewerkschaft dafür sorgte. Heute dagegen, wo es um viel, viel weniger Jobs geht und Milliarden an Strukturhilfen angekündigt sind, wehren sich Kohlegewerkschaften und Landespolitik mit allen Mitteln. Das wirkt wenig glaubwürdig.
Vielleicht verbirgt sich dahinter auch ein Lernprozess. Heute ist man der Auffassung, dass sich bestimmte Dinge nicht wiederholen sollten.
Jedenfalls haben die Kohleregionen einen Anspruch darauf, vernünftige wirtschaftliche Entwicklungsbedingungen zu bekommen. Auf dem Weg zur Klimakonferenz nach Katowice bin ich mit der Bahn durch die Lausitz gefahren – wer das macht, weiß doch gleich, es wäre vernünftig, über die Lausitz eine Intercity-Anbindung ans südliche Polen zu bauen. Und wenn diese Chance jetzt da ist, sollte man das tun.
Den Kohle-Ausstieg sehen Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt inzwischen als unverhoffte wie einmalige wirtschaftliche Chance. Ein Vierteljahrhundert nach der Einheit können sich die strukturschwachen Ostregionen Gehör verschaffen.
Es ist doch gut, wenn gehandelt wird. Es darf alles nur nicht paternalistisch erfolgen, sondern auf Augenhöhe mit den Betroffenen.
Am Ende seines Berufslebens war mein Vater Schrankenwärter. Damals wurde von der Bahn entschieden, Schnellstrecken zu bauen und vermehrt Schranken und Brücken zu beseitigen. Am Ende schickte man ihn in den vorzeitigen Ruhestand. Plötzlich gab es keine Nachtschichtzuschläge mehr, vier Kinder und meine schwerbehinderte Mutter wollten aber auch ernährt werden. Diese Erfahrung prägt mich bis heute.
Ich habe hohen Respekt vor solchen menschlichen Schicksalen. Wir sollten deswegen für Regionen wie die Lausitz etwas tun. Es geht ja auch um gleichwertige Lebensverhältnisse.
Für mich werden die Chancen, die in einer guten Kooperation von Brandenburg und Berlin liegen, noch viel zu wenig genutzt. Das wird eine der interessantesten Regionen in Europa werden.
Den Berliner Speckgürtel in Richtung Süden bis Cottbus ausdehnen – die Idee hat die Brandenburger Landesregierung auch. Aber insgesamt fällt Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen beim Thema Strukturwandel nicht viel mehr ein als neue Straßen, neue Schienen und besserer Mobilfunk. Sind Sie da nicht ein bisschen enttäuscht von den drei Ost-Ländern?
Klar, es geht auch um Industrieprodukte und Dienstleistungen von morgen. In einem erneuerbaren Energiesystem werden wir viel mehr Speicher brauchen, besonders Wasserstoff halte ich da für sehr geeignet. Dafür bieten sich Standorte an, die schon industrielle Genehmigungen besitzen. Wenn die Lausitz wirklich ein Vorreiter würde für Speicher und eine Transformation zu kohlendioxidfreien Produktionen, freute mich das.
Am Ende muss Produktion mit Wertschöpfung stattfinden. Es ist die Aufgabe der Landesregierungen, das gemeinsam mit der Industrie zu fördern. Hier hilft eine Straße ins Nichts nicht, auch eine Schiene ins Nichts nicht und hier helfen auch keine Seen allein, wo am Ende keine Arbeitsplätze entstehen.
Beim Debattencamp der SPD im November wünschten sich alle ein schärferes ökologisches Profil der Partei, mehr Eintreten für den Kohleausstieg oder eine CO2-Steuer. Wird auch die Fraktion in ihrer parlamentarischen Arbeit die Fahne heraushängen und Altmaier und Co Paroli bieten?
Die SPD steht tatsächlich für eine sozial-ökologische Transformation. Vielleicht arbeiten wir in der letzten Zeit zu sehr an den Details und tragen die große Linie zu wenig nach außen.
Nach dem – hoffentlich positiven – Abschluss der Strukturwandelkommission im Februar wird es von uns auf jeden Fall einen starken Aufschlag geben. Und wir werden 2019 das Gesetz zur Einhaltung der Klimaschutzziele im Deutschen Bundestag beschließen. Dabei werden wir als SPD die treibende Kraft sein.