Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.
Klimareporter°: Herr Hummel, auch Ölkonzerne möchten jetzt in das Geschäft mit Offshore-Windkraft einsteigen. BP und Total haben den Zuschlag für große Gebiete in Nord- und Ostsee bekommen. Beschleunigt das die Energiewende oder birgt es auch Risiken? Ist es zum Beispiel möglich, dass Ölkonzerne Gebiete beanspruchen, um den Bau von Windparks hinauszuzögern und so den Preis für fossile Brennstoffe künstlich hochzuhalten?
Oliver Hummel: Offshore-Windparks erfordern Milliarden-Investitionen und sind daher schon immer die Spielwiese großer Player. Nun wurden die Energiekonzerne, die bisher das Marktsegment geprägt hatten, von den internationalen Ölmultis ausgestochen.
Wirklich überraschend ist das nicht, denn einen kleinen Teil ihrer gigantischen Ressourcen hatten die Ölkonzerne auch in den letzten Jahren schon für Projekte und Akquisitionen im Bereich der erneuerbaren Energien eingesetzt. Und da bei Offshore-Windparks das ganz große Rad gedreht werden kann – anders als bei den allermeisten Ökostromanlagen an Land – ist der Einstieg in diesen Bereich einigermaßen folgerichtig.
Spannend wird sein, zu welchem Preis die Konzerne ihren Offshore-Windstrom am Ende verkaufen werden. Sie erhalten ja keine Einspeisevergütung, sondern haben sogar Geld geboten, um die Zuschläge zu erhalten, insgesamt 12,6 Milliarden Euro.
Die landen übrigens im Staatssäckel und fließen zu 90 Prozent in die Senkung der Stromkosten und zu jeweils fünf Prozent in den Meeresnaturschutz sowie die Förderung umweltschonender Fischerei.
Wie dann am langen Ende die Rechnung ausfällt, wenn die Ölkonzerne aufgrund des hohen Kapitaleinsatzes ihren Offshore-Strom womöglich relativ hochpreisig verkaufen müssen, ist jetzt noch nicht absehbar.
Die Bundesregierung hat ihre neue Wasserstoffstrategie vorgestellt. Nicht nur grüner, auch blauer, türkiser und oranger Wasserstoff sollen gefördert werden. Ist das eine gute Entscheidung, oder fehlt das Geld dann beim Ausbau der Erneuerbaren?
In den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft werden in den nächsten Jahren enorme Fördergelder fließen, das ist erst mal unabhängig von der Wasserstoff-Farbenlehre.
Da es beim Ausbau der Erneuerbaren mittlerweile weniger um Einspeisevergütungen als vielmehr um den Abbau von Bürokratie und regulatorischen Hemmnissen geht, sehe ich da keinen größeren Konflikt – zumal ja unstrittig ist, dass für eine Dekarbonisierung etlicher Industrieprozesse, aber auch für den Flug- und Schwerlastverkehr oder als Backup-Lösung im Stromsystem klimaneutraler Wasserstoff nötig sein wird.
Die Gefahr ist jedoch, dass die konventionellen Energiekonzerne den nicht nachhaltig erzeugten Wasserstoff als Möglichkeit sehen, die konventionelle Energienutzung, zum Beispiel von Erdgas, möglichst in die Länge zu ziehen. Womit wir beim mittelfristig entscheidenden Punkt sind: Komplett klimaneutral ist nun einmal nur grüner Wasserstoff.
Blauer und türkiser Wasserstoff werden auf Erdgasbasis hergestellt, wobei das entstehende CO2 abgeschieden und entweder langfristig gespeichert oder industriell verwertet wird. Wirklich klimaneutral sind diese Varianten jedoch nicht, da Förderung und Transport des Erdgases erhebliche Treibhausgasemissionen mit sich bringen. Daher können sie nur als Zwischenlösung fungieren.
Um die Emissionsminderungsziele einzuhalten, sollten Wasserstoff-Anwendungen spätestens Mitte der 2030er Jahre allein auf der Elektrolyse mit grünem Strom basieren, also auf grünem Wasserstoff.
Während laut Wasserstoffstrategie im Straßenverkehr nur schwere Nutzfahrzeuge mit Wasserstoff betrieben werden sollen, betonte Verkehrsminister Volker Wissing bei der Vorstellung der Strategie die Rolle von Wasserstoff im Individualverkehr. Was meinen Sie, hat Wasserstoff im Pkw eine Zukunft – und wieso hält die FDP so sehr an Wasserstoff als Lösung für alles fest?
Wasserstoff im Individualverkehr halte ich für Nonsens, um es mal klar zu sagen. Das sieht auch so gut wie die gesamte Fachwelt und Wissenschaft so. Die direkte Nutzung von erneuerbarem Strom in Elektrofahrzeugen ist gegenüber dem Einsatz von grünem Wasserstoff energieeffizienter, kostengünstiger und klimafreundlicher.
Mit seinem sturen Beharren auf Wasserstoff und auch E-Fuels im Individualverkehr bedient Minister Wissing die Interessen einzelner Sportwagen- und Premiumautomobilhersteller – und wahrscheinlich seines Parteivorsitzenden.
Ein Bericht der Internationalen Energieagentur zeigt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren überraschend an Tempo zugelegt hat, ebenso der Verkauf von Elektroautos. Gibt Ihnen das Hoffnung, dass wir doch bis Mitte des Jahrhunderts die Netto‑Null erreichen?
Haben wir denn eine Wahl? Ich glaube nicht. Und ja, Hoffnung und Zuversicht habe ich auch. Rund um den Globus werden gigantische Summen in erneuerbare Energien, Batteriespeicher und andere klimaneutrale Technologien investiert.
Auch hier in Deutschland sind wir grundsätzlich auf einem guten Weg, trotz manch zäher politischer Debatte. Nur als Beispiel: Elektroautos und Solaranlagen auf Einfamilienhäusern sind heute längst kein Zeichen ökologischer Avantgarde mehr, sondern total normal. Und genau so muss es auch sein: raus aus der Nische, rein in den Mainstream.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Mich hat eine Meldung erschreckt, die Mitte der Woche die Runde machte: Im Atlantik vor der Küste Floridas wurde eine Wassertemperatur von über 38 Grad gemessen. Celsius, muss man hier schon fast dazusagen. Das wäre dann die höchste jemals gemessene Wassertemperatur.
Auch wenn amerikanische Meteorologen auf mögliche Messfehler im Bereich von einem Grad verweisen, ist die Tendenz klar: Der Atlantik hat vor Florida die Temperatur eines Baby-Bades.
Die Meere haben eine zentrale Rolle als Temperaturspeicher der Welt. Wenn sie sich so schnell so stark erhitzen, sollten bei uns alle Alarmglocken schrillen. Auch für die ohnehin stark bedrohten Korallenriffe vor der Küste sind solche Werte existenzgefährdend.
Aus dem Mittelmeer wurden diese Woche ebenfalls Rekordwerte gemeldet. Die Menschheit ist mit den marinen Ökosystemen seit Beginn der Industrialisierung wahrlich nicht pfleglich umgegangen. Und was wir mit der Überfischung und Vermüllung der Meere noch nicht kaputt gemacht haben, besorgen wir jetzt indirekt über die Erderhitzung.
Ich weiß, es mangelt global nicht an klima- und umweltpolitischen Baustellen, aber der Schutz der Meere gehört für mich weit oben auf die Agenda.
Schlimm ist bei der ganzen Entwicklung auch, dass der Temperaturanstieg auch die meisten Meteorologen erschreckt hat, da er stärker ist als in den Klimamodellen bisher angenommen.
Das Ganze kann uns nur darin bestätigen, die Energiewende in allen Bereichen noch stärker voranzutreiben.
Fragen: David Zauner