Forscherinnen und Forscher untersuchen die Auswirkungen vulkanischer CO2-Quellen im Mittelmeer.
Forscher:innen untersuchen die Auswirkungen vulkanischer CO₂-Quellen im Mittelmeer.  (Foto: Christian Lott/​Hydra)

Die Industriestaaten haben sich in eine Zwangslage manövriert. Selbst wenn es Deutschland und den anderen wirtschaftsstarken Nationen gelingt, das Tempo bei der Energiewende deutlich anzuziehen und mehr Erneuerbare-Energie-Anlagen zu bauen, wird es künftig noch klimaschädliche Emissionen geben.

Fachleute schätzen, dass auch mit ehrgeiziger Klimapolitik zur Mitte dieses Jahrhunderts noch fünf bis 15 Prozent des aktuellen Treibhausgasausstoßes übrig bleiben werden. Diese lassen sich nur sehr schwer vermeiden und werden deshalb als "unvermeidbare Restemissionen" bezeichnet.

Sie fallen bei der Zement- und Stahlherstellung oder bei der Müllverbrennung an, die sich nach gängiger Auffassung nur unter hohem Aufwand und kaum vollständig dekarbonisieren lassen. Auch die Landwirtschaft wird künftig noch Treibhausgase freisetzen, vor allem Lachgas und Methan.

Das ist ein Dilemma. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden und muss dann in seiner Treibhausgasbilanz auf netto null Emissionen kommen. Weil es aber trotzdem die Restemissionen aus Stahlherstellung, Zementindustrie und Landwirtschaft geben wird, sollen diese bei der Entstehung abgefangen – etwa bei der Müllverbrennung direkt am Schornstein – oder später wieder aus der Luft geholt und dann geologisch gespeichert werden.

Auch der Weltklimarat IPCC, das international wichtigste Gremium zur Erforschung des Klimawandels, spricht sich für die Entnahme und Speicherung von CO2 aus, wenn die Erderwärmung auf ein beherrschbares Niveau begrenzt werden soll.

Norwegen gilt dabei als Vorreiter. Als einziges Land in Europa verpresst Norwegen bereits CO2 unter den Meeresboden. Die Technologie heißt Carbon Capture and Storage (CCS), CO2-Abscheidung und -Speicherung. Auch andere Länder stehen in den Startlöchern. Im Frühjahr dieses Jahres hat auch Dänemark die Erlaubnis erteilt, CO2 unter dem Meer zu speichern.

So weit ist man hierzulande noch nicht. Deutschland erforscht derzeit, ob und in welchem Umfang sich der Meeresuntergrund als CO2-Speicher eignet. Vor allem unter der Nordsee wurden riesige potenzielle Speicher ausgemacht. Zwischen vier und zehn Milliarden Tonnen CO2 könnte man unter die Nordsee vor Deutschland packen, schätzt die Bundesanstalt für Geowissenschaften.

Ob sich tatsächlich so viel CO2 unter die Nordsee verfrachten ließe, überprüft die "Deutsche Allianz Meeresforschung" mit einer umfangreichen Forschungsmission. Jedes Jahr könnten bis Ende dieses Jahrhunderts 30 Millionen Tonnen CO2 unter der Nordsee verklappt werden, schätzen die Fachleute.

Das CO2 soll in tiefe Sandsteinschichten gepresst werden – es sind dieselben Schichten, aus denen zuvor Öl und Gas gefördert wurde. Eine undurchlässige Schicht aus Ton- oder Salzgestein soll verhindern, dass CO2wieder freigesetzt wird. Das Risiko, dass gespeichertes CO2 wieder austritt, schätzen die Forscher als gering ein.

Bundesregierung arbeitet an CCS-Strategie

"Wenn CO2 ausleckt, dann verursacht das lokal eine Versauerung", sagt Klaus Wallmann vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar). Bei der Untersuchung von bestehenden CO2-Speichern in Norwegen sei festgestellt worden, dass dort kein CO2 austrete.

In der Nähe alter Gas- oder Ölbohrlöcher bestehe aber die Gefahr von Leckagen. Von vulkanischen CO2-Quellen im Mittelmeer sei bekannt, dass freigesetztes Kohlendioxid zur Versauerung des Bodenwassers im Ozean führe. "Das hat eine Verarmung der Artenvielfalt zur Folge", so Wallmann weiter.

Aber die Fläche, auf der das passiere, sei auf höchstens 50 Quadratmeter begrenzt. Wenn die CO2-Speicher ordentlich reguliert und überwacht würden, könne man sicherstellen, dass 99 Prozent des CO2 dauerhaft unter dem Meer gebunden bleiben, sagt Wallmann.

Auch für Meereslebewesen wie Schweinswale geht die CO2-Verpressung mit Risiken einher. Bei der Erkundung des Meeresbodens wird mit Schallwellen gearbeitet. Zwar werde die Seismik in der Praxis langsam hochgefahren, so der Wissenschaftler, aber wenn die Schweinswale nicht wegschwimmen, bestehe die Gefahr, dass sie ihr Gehör verlieren.

Die Forscher haben noch weitere Gefahren durch CCS ausgemacht. Wird das CO2 mit zu viel Druck verpresst, kann das Erdbeben auslösen, wie in Algerien bereits geschehen. Um das zu verhindern, brauche es für einzelne Standorte Grenzwerte für den Druck, empfehlen die Meeresforscher.

Trotz der Risiken spricht sich Geomar-Forscher Wallmann für die CO2-Speicherung aus. "Kohlendioxid kann sicher und dauerhaft unter dem Meeresboden der Nordsee deponiert werden", sagt er. Um die Risiken zu verringern, sollten geeignete Standorte ausgewählt und regelmäßig überprüft werden.

Doch dafür ist der gesetzliche Rahmen zu restriktiv. Für die Industrie, die das CO2 zur Nordsee und dort unter den Meeresboden verfrachten soll, gibt es kaum Handlungsspielraum. "Die aktuelle Gesetzeslage verhindert in Deutschland die weitere Beforschung von CCS", sagt Alexander Proelß von der Universität Hamburg, ein Experte für Umwelt- und Seerecht. Der gesetzliche Rahmen müsse angepasst werden, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten, fordert er.

In diesem Jahr will die Bundesregierung eine sogenannte Carbon-Management-Strategie erarbeiten, die sich mit solchen Fragen befasst. Umweltverbände haben sich bereits mehr oder weniger kritisch positioniert.

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