In solchen Wasserstofftankern könnte demnächst nicht nur grüner, sondern auch türkiser und blauer Wasserstoff nach Deutschland geschifft werden. (Bild: C‑Job Naval Architects/​LH2 Europe)

Ein umstrittenes Thema steht in der morgigen Kabinettssitzung auf dem Tagesplan der Ampelkoalition. Es geht um die "Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie".

Während die vor drei Jahren beschlossene Wasserstoffstrategie nur grünen, also mit erneuerbaren Energien hergestellten Wasserstoff kennt, sieht das bei der "Fortschreibung" ganz anders aus. Zumindest vorübergehend soll eine ganze Farbpalette an weiteren Wasserstoff-Arten gefördert werden – darunter blauer, türkiser und oranger Wasserstoff.

Das trägt die Handschrift der FDP. Die kleinste Regierungspartei hatte immer wieder für diese Ausweitung der Wasserstoffförderungen geworben. Nur mit der Forderung nach rotem Wasserstoff, der mit Atomstrom hergestellt wird, konnte sie sich nicht durchsetzen.

Blauer Wasserstoff entsteht aus fossilen Brennstoffen. Unter hohem Druck und hohen Temperaturen wird meist Erdgas in Wasserstoff und CO2 umgewandelt. Der Prozess heißt Dampfreformierung und hat einen Wirkungsgrad von etwa 60 bis 70 Prozent.

Gegenüber dem grauen Wasserstoff, der den Herstellungsprozess mit ihm teilt, macht den blauen Wasserstoff aus, dass das entstandene CO2 nicht in die Atmosphäre gepustet, sondern abgeschieden und gespeichert wird – die sogenannte CCS-Technologie. Und das perspektivisch in großen Mengen. Schließlich entstehen für jede Tonne Wasserstoff zehn Tonnen CO2.

Auch türkiser Wasserstoff ist in der Theorie klimaneutral. Der Herstellungsprozess nennt sich Methanpyrolyse. Dabei wird Methan – Hauptbestandteil von Erdgas – unter hohen Temperaturen in seine Bestandteile Wasserstoff und Kohlenstoff gespalten.

Anstelle des Treibhausgases CO2 entsteht fester Kohlenstoff. Bisher findet dieser Prozess kaum Anwendung in der Praxis. Vergleichsweise unwichtig wird voraussichtlich auch in Zukunft der orange Wasserstoff bleiben. Dieser wird unter Verwendung von Strom aus Biogas- oder Müllverbrennungsanlagen hergestellt.

Zur Abschätzung der Methanemissionen fehlen Daten

"In der Praxis ist weder blauer noch türkiser Wasserstoff klimaneutral, sondern lediglich CO2-arm", erklärt Frank Merten, Energiesystemforscher am Wuppertal Institut, im Gespräch mit Klimareporter°. Sowohl bei Förderung und Transport von Erdgas als auch bei der Abscheidung und Speicherung von CO2 gelange auch immer noch ein Teil der Treibhausgase in die Atmosphäre.

"Eine sichere Lagerung des Treibhausgases im Untergrund muss über Tausende Jahre gewährleistet werden", betont Merten. "Damit sind grundsätzlich Restrisiken und insbesondere sogenannte Ewigkeitskosten verbunden, die kommende Generationen zu tragen haben."

Sogenannte thermische Ersatzbrennstoff-Verwertungsanlage in der Stadtmitte von Neumünster in Holstein.
Auch "oranger" Wasserstoff aus der Müllverbrennung soll künftig gefördert werden. (Bild: ​Wusel007/​Wikimedia Commons)

Das größte Manko bei blauem und türkisem Wasserstoff ist der Ausgangsstoff: Erdgas. Bei Förderung und Transport von Erdgas entweicht Methan in die Atmosphäre. Das Treibhausgas ist laut Weltklimarat IPCC über einen 20-Jahres-Zeitraum 84-mal so klimaschädlich, wie CO2.

Der Methan-Verlust bei norwegischem Gas ist laut Merten relativ gering. Bei Erdgas aus den USA oder Saudi-Arabien sieht das jedoch ganz anders aus.

Da der allergrößte Teil des Wasserstoff-Bedarfs durch Importe zum Beispiel aus Namibia gedeckt werden soll, ist nicht davon auszugehen, dass Erdgas zur Wasserstoffherstellung zu großen Teilen aus Norwegen kommen wird. Zumal das norwegische Gas bisher auch schon für Gaskraftwerke und Industrieprozesse gebraucht wird.

Wie viel Erdgas am Ende entweicht, hängt von der Art der Förderung und dem Transportweg ab und ist wegen schlechter Datenlage kaum exakt zu beziffern. Einige Studien schätzen sogar, dass Erdgas aufgrund dieser Vorkettenemissionen stärker zum Treibhauseffekt beiträgt als Kohle oder Öl, vor allem wenn es sich um Flüssigerdgas (LNG) handelt.

Ein Experte des Nationen Wasserstoffrates erklärte im Gespräch mit Klimareporter°, er gehe nicht davon aus, dass türkiser Wasserstoff jemals eingesetzt werde. Bisher gebe es kaum nennenswerte Produktionskapazitäten, und bis diese aufgebaut seien, sei grüner Wasserstoff mit Sicherheit günstiger.

Ganz anders bei blauem Wasserstoff. Grauer Wasserstoff aus Erdgas-Dampfreformierung ist der Wasserstoff, der gegenwärtig in den mit Abstand größten Mengen hergestellt wird. Es fehlt "nur" CCS, um das Grau in Blau zu verwandeln.

Für Heizung und Verkehr gibt es effizientere Alternativen

Bereits 2021 veröffentlichte der Sachverständigenrat für Umweltfragen eine Stellungnahme gegen blauen Wasserstoff als Übergangstechnologie. Die dafür nötigen Investitionen in Infrastruktur würden die Transformation zu erneuerbaren Energien ausbremsen.

Die Gefahren einer Konkurrenz um endliche Geldmittel sowie weiterer fossiler Lock-ins sieht auch Merten. "Die Betreiber von fossiler Wasserstoffinfrastruktur werden diese nicht in wenigen Jahren wieder abschalten wollen."

Das Nachrichtenportal Table Media, dem die neue Wasserstoffstrategie vorliegt, berichtet außerdem, dass Wasserstoff nicht nur für Industrieprozesse, Luft- und Schiffsverkehr sowie Reservekraftwerke vorgesehen ist, sondern auch zum Heizen und im Verkehr.

Im Straßenverkehr sollen allerdings nur "schwere Nutzfahrzeuge" mit dem Kraftstoff betrieben werden, schreibt Table Media, und auch bei Gebäudeheizungen soll er eine Ausnahme darstellen. Im Schwerverkehr und vor allem für Heizungen gibt es mit Elektromotoren und Wärmepumpen wesentlich effizientere und nachhaltigere Alternativen.

Deutliche Worte findet dazu auch die Energieökonomin Claudia Kemfert: "Der grüne Wasserstoff wird für die Industrie benötigt und sollte nicht in SUVs oder Gasheizungen verschwendet werden. Wer heizt schon mit Champagner, wenn es auch mit Brause geht?"

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.