Industrieanlage zur Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas mit CO2-Abscheidung.
In Port Arthur (Texas) steht eine von weltweit zwei CCS-Anlagen für die fossile Wasserstoffproduktion. (Foto: Manjusha Films/​Air Products and Chemicals, Inc.)

Kann Wasserstoff aus fossilen Quellen mithilfe von Carbon Capture and Storage, kurz CCS, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Diese Frage wird kontrovers diskutiert. Laut einer Studie zweier US-Wissenschaftler verursacht dieser sogenannte blaue Wasserstoff weiterhin sehr hohe Treibhausgasemissionen. Manche der Annahmen sind kontrovers, obwohl die Forscher viele verschiedene Varianten betrachtet haben.

Dass Wasserstoff in einer künftigen klimaneutralen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielt, ist weitgehend unstrittig. Zumindest in einigen Sektoren wie der Stahlindustrie wird es nicht ohne Wasserstoff gehen.

Bisher ist die Wasserstoffproduktion jedoch alles andere als klimafreundlich. Wasserstoff wird überwiegend durch sogenannte Dampfreformierung aus fossilem Erdgas gewonnen, dabei entstehen hohe Treibhausgasemissionen.

Mittels Elektrolyse kann Wasserstoff auch aus Wasser hergestellt werden, wofür viel Strom benötigt wird. Ist dieser Strom erneuerbar, wird von "grünem Wasserstoff" gesprochen. Doch bislang gibt es nur wenig grünen Wasserstoff, und er ist vergleichsweise teuer.

Als eine mögliche Alternative gilt, Wasserstoff weiterhin aus Erdgas zu gewinnen und dabei die Kohlendioxidemissionen abzufangen und unterirdisch einzulagern – die sogenannte CCS-Technologie. Über die Klimabilanz dieses "blauen Wasserstoffs" war bisher wenig bekannt.

"Blauer" Wasserstoff aus Erdgas mit CCS

Mark Jacobson von der kalifornischen Stanford-Universität und Robert Howarth von der Cornell-Universität in New York haben dazu nun eine Studie in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Energy Science & Engineering veröffentlicht. Die beiden Wissenschaftler kommen dabei zu dem Schluss, dass der blaue Wasserstoff nur minimale Vorteile gegenüber der reinen Dampfreformierung ohne CCS hat.

Dass blauer Wasserstoff mit Emissionen einhergeht, hat vor allem zwei Gründe: Fossiles Erdgas besteht vor allem aus Methan, von dem bei der Förderung und Nutzung immer auch gewisse Mengen entweichen. Und die CCS-Technologie ist nicht in der Lage, 100 Prozent der entstehenden Kohlendioxidemissionen aufzufangen.

Die Methanleckagen bei der Gasförderung sind in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus gerückt. Allerdings gibt es dabei große Unterschiede je nach Förderregion und zudem auch Kontroversen darüber, wie man die Klimawirkung von Methan berechnen sollte.

Die meisten Studien über die Methanemissionen von Erdgas stammen aus den USA, weil das Thema in der dortigen Diskussion über Fracking und die Förderung von Schiefergas eine wichtige Rolle spielt. Howarth und Jacobson gehen davon aus, dass etwa 3,5 Prozent des Methans in die Atmosphäre entweichen, was ein vergleichsweise hoher Wert ist.

Eine Schwierigkeit hierbei ist, dass Methanleckagen bislang weltweit kaum reguliert sind und auch nicht systematisch erfasst werden. So gibt es für viele Länder kaum zuverlässige Daten. Meist wird davon ausgegangen, dass die Frackingförderung in den Schiefergasfeldern der USA mehr Methan emittiert als andere Fördermethoden.

Viel Unsicherheit über Ausmaß der Methanleckagen

Mithilfe von Satellitendaten versuchen Forscher, Quellen von Methanemissionen besser zu erfassen. Die Organisation Clean Air Task Force und die Deutsche Umwelthilfe haben zuletzt mithilfe von Wärmebildkameras mögliche Methanlecks an vielen europäischen Standorten dokumentiert, darunter auch an mehreren Gasverdichterstationen in Deutschland. Aussagen über die genaue Menge der Methanemissionen lassen diese Methoden allerdings nicht zu.

Ebenfalls von Bedeutung für die Berechnung ist, welches Treibhausgaspotenzial angesetzt wird. Denn Methan und Kohlendioxid lassen sich nicht direkt vergleichen. Methan hat eine viel stärkere Erwärmungswirkung in der Atmosphäre, es baut sich allerdings innerhalb weniger Jahre ab. Kohlendioxid wirkt schwächer, es bleibt aber für Jahrhunderte oder länger in der Atmosphäre.

Um unterschiedliche Treibhausgase zu vergleichen, berechnen die Klimawissenschaftler daher die Erwärmungswirkung, die ein Treibhausgas in einem bestimmten Zeitraum verursacht. Meist wird dabei die Erwärmungswirkung über 100 Jahre betrachtet, auch der Weltklimarat IPCC arbeitet mit diesen Werten. Das wird als GWP 100 bezeichnet, die Abkürzung steht für global warming potential, Treibhauspotenzial.

Manche in der Wissenschaft argumentieren jedoch, dass es oft sinnvoller wäre, ein Treibhausgaspotenzial über 20 Jahre zu verwenden (GWP 20). In dieser Betrachtung wirkt Methan deutlich stärker. Dafür spricht etwa, dass man damit kurzfristigere Effekte besser abbildet und dass man durch eine Reduzierung kurzzeitig aktiver Klimagase schneller einen Effekt erzielt.

Dass ihre Annahmen über hohe Methanleckagen und ein auf 20 Jahre gerechnetes Treibhausgaspotenzial kontrovers sind, haben die Autoren bereits berücksichtigt. Sie haben ihre Berechnungen daher auch mit GWP 100 und niedrigeren Leckageraten durchgeführt. Viel besser sieht es da für den blauen Wasserstoff auch nicht aus. In allen Fällen kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die direkte Nutzung von Erdgas – ohne den "Umweg" über Wasserstoff – weniger Treibhausgasemissionen verursacht.

Doch selbst der niedrigste von den US-Wissenschaftlern angenommene Wert für Methanleckagen könnte für manches in Europa geförderte Erdgas zu hoch sein. "Auch die 'Minimalvariante' der Studie von 1,5 Prozent ist um das Doppelte bis Fünffache höher, als wir das für Erdgas aus Norwegen annehmen", kommentiert etwa Felix Matthes vom Öko-Institut die Zahlen gegenüber Klimareporter°.

CCS vermeidet nie die kompletten CO2-Emissionen

Neben den Annahmen über Methanleckagen und deren Wirkung ist für die Betrachtung von blauem Wasserstoff relevant, wie gut die CCS-Technologie funktioniert.

Die Möglichkeit, mittels der Abscheidung von Kohlendioxid die Nutzung von fossilen Rohstoffen klimafreundlicher zu gestalten, wird schon lange diskutiert. Auch in Deutschland gab es vor einem Jahrzehnt heftige Konflikte um Pläne, Kohlekraftwerke mit CCS-Technologie auszustatten, was zu heftigen Protesten führte und nie umgesetzt wurde.

Doch CCS ist nicht nur in Deutschland umstritten. Bisher ist die Bilanz von CCS weltweit sehr enttäuschend, nur eine kleine Zahl von Projekten wurde überhaupt je gebaut und häufig wurde viel weniger CO2 eingelagert, als geplant war.

Bei der Nutzung von blauem Wasserstoff ist die Sachlage noch komplizierter, da das Treibhausgas an mehreren Stellen entsteht. Zum einen entsteht bei der Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff selbst Kohlendioxid, das relativ rein ist und vermutlich vergleichsweise gut abgeschieden werden kann. Zum anderen wird Erdgas auch als Energieträger genutzt, um die für den Prozess notwendige Wärme bereitzustellen.

Bei den bestehenden blauen Wasserstoffprojekten, von denen es bisher laut den Autoren weltweit nur zwei gibt, werden lediglich die Prozessemissionen abgefangen. Das Kohlendioxid, das bei der Gasverbrennung entsteht, entweicht komplett in die Atmosphäre.

Hinzu kommt, dass der CO2-Abscheidungsprozess selbst noch einmal Energie benötigt. Hier gehen die Autoren davon aus, dass diese Energie ebenfalls aus Erdgaskraftwerken stammt, die wiederum ohne CCS betrieben werden. Das ist bei existierenden CCS-Projekten auch häufig der Fall. In ihrer Berechnung nehmen Jacobson und Howarth zunächst an, dass die Prozessemissionen zu 85 Prozent und die Emissionen der Wärmeenergie zu 65 Prozent abgefangen werden.

Auch hier führen die beiden Wissenschaftler zahlreiche Berechnungen mit unterschiedlichen Werten und höheren Abscheidungsraten durch. Als optimalen Fall nehmen die Autoren CO2-Abscheidungsraten von 90 Prozent an. An der Gesamt-Klimabilanz ändert das allerdings kaum etwas, was daran liegt, dass höhere Abscheidungsraten mit einem höheren Energieverbrauch für die CCS-Technologie einhergehen.

Die Autoren nehmen an, dass das unterirdisch eingelagerte Kohlendioxid dort dauerhaft verbleibt und nichts davon wieder austritt. Jacobson und Howarth weisen allerdings darauf hin, dass dies keineswegs selbstverständlich und somit eine eher optimistische Annahme für den blauen Wasserstoff ist.

Für den blauen Wasserstoff wird es eng

Die Veröffentlichung von Jacobson und Howarth dürfte für Kontroversen sorgen. Was die Autoren zeigen konnten, ist, dass blauer Wasserstoff in vielen Fällen und unter durchaus verschiedenen Annahmen eine sehr schlechte Klimabilanz aufweist.

Am Ende weisen die Autoren noch darauf hin, dass man durch eine Nutzung von Ökostrom sowohl bei der Prozessenergie als auch bei der CCS-Technologie eine bessere Klimabilanz erreicht; trotzdem bleibt die mögliche Emissionsreduktion begrenzt. Howarth und Jacobson halten es für sinnvoller, den erneuerbaren Strom an anderer Stelle zu nutzen.

Einige andere Möglichkeiten, die Klimabilanz des blauen Wasserstoffs zu verbessern, werden in der Studie nicht berücksichtigt. So weist etwa der Analyst Gniewomir Flis vom Thinktank Agora Energiewende darauf hin, dass die Autoren nur die klassische Dampfreformierung und nicht die effizientere autotherme Reformierung (ATR) betrachten.

Bei niedrigen Methanemissionen, hohen CO2-Abscheidungsraten oder dem Einsatz von neuen Technologien könnte der blaue Wasserstoff immer noch eine gute Klimabilanz aufweisen. Doch dafür muss einiges zusammenkommen. Klar dürfte durch die neue Studie zumindest eins sein: Blauer Wasserstoff ist nicht automatisch klimafreundlich.

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