Etliche Erdgasleitungen mit vielen Ventilen führen zu mehreren Gasspeichern.
In der Gas-Infrastruktur entstehen immer wieder Lecks, durch die klimaschädliches Methan entweicht, der Hauptbestandteil von Erdgas. (Foto: Zoran Orčik/​Shutterstock)

Klimafreundlich produzierter Wasserstoff soll eine wichtige Rolle in der Energiewende spielen. Zumindest in Industriebranchen wie der Stahlindustrie oder der Ammoniakherstellung ist das weitgehend unstrittig.

Bisher wird Wasserstoff meist mit einem Verfahren namens Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen, bei dem große Mengen Kohlendioxid entstehen. Als Königsweg für die Produktion von Wasserstoff gilt die Elektrolyse mit erneuerbaren Energien, was als grüner Wasserstoff bezeichnet wird. Bisher gibt es nur wenige Elektrolyseanlagen und der grüne Wasserstoff ist vergleichsweise teuer.

Als Alternative werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, Wasserstoff weiterhin aus fossilen Energieträgern zu produzieren, dabei aber Emissionen zu vermeiden. Eine Möglichkeit ist es, den Wasserstoff weiterhin durch Dampfreformierung aus Erdgas zu gewinnen und die Kohlendioxidemissionen mittels Carbon Capture and Storage (CCS) abzufangen und anschließend unterirdisch einzulagern. Die Emissionen werden dafür teilweise aus dem Abgasstrom gefiltert.

Eine weitere Möglichkeit ist die Methanpyrolyse. Dabei wird das Methan aus dem Erdgas in seine chemischen Bestandteile gespalten: Kohlenstoff und Wasserstoff. Man spricht dann von "türkisem Wasserstoff". Benötigt wird dafür Wärmeenergie, die mit Strom erzeugt werden kann. Der Stromverbrauch ist dabei deutlich geringer als bei der Elektrolyse.

Die Methanpyrolyse wird vor allem von Konzernen verfolgt, die selbst im Erdgasgeschäft tätig sind. In Deutschland treiben BASF und Wintershall Dea das Verfahren voran. Wintershall Dea ist der größte Öl- und Gasförderer in Deutschland und gehört wiederum mehrheitlich BASF. Der Chemiekonzern betreibt seit mehreren Jahren ein Forschungsprojekt zur Methanpyrolyse und plant den Bau einer Testanlage.

Auch der russische Staatskonzern Gazprom verfolgt die Methanpyrolyse. Immer wieder wird hier die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass künftig so produzierter Wasserstoff aus Russland importiert werden könnte.

Methanemissionen verhageln die Klimabilanz

Laut BASF ist die Methanpyrolyse eine Möglichkeit für die "emissionsfreie Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas". Das erscheint auf den ersten Blick plausibel: Der im Erdgas enthaltene Kohlenstoff liegt anschließend in fester Form vor. Anders als bei klassischen Wasserstoff-Produktionsverfahren wird er nicht in Form von Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Wenn der Prozess mit erneuerbaren Energien betrieben wird und kein Gas entweicht, entstehen bei der Pyrolyse selbst keine Emissionen.

Was aber berücksichtigt werden muss: Das im Erdgas enthaltene Methan ist ein hochaktives Treibhausgas. Bei der Förderung und beim Transport entweicht immer eine gewisse Menge davon. Diese Methanemissionen haben dazu geführt, dass das Bild von Erdgas als vergleichsweise klimafreundlicher Energieträger deutlich gelitten hat.

Wie hoch diese Emissionen sind, hängt von der Herkunft des Gases ab und ist schwer allgemein zu beurteilen. Die meisten Studien zu diesen Vorkettenemissionen bei der Erdgasförderung beziehen sich auf die USA und die dort häufig angewandte Fracking-Methode. Satellitenauswertungen zeigen, dass es auch in den für Europa relevanten Erdgasförderregionen in Russland immer wieder zu größeren Methanfreisetzungen kommt.

Wenn Wasserstoff weiterhin aus Erdgas hergestellt wird, müssen bei einer ehrlichen Bilanz diese Vorkettenemissionen von Methan berücksichtigt werden. Dafür kann man die Effekte von Methan und anderen Treibhausgasen in CO2-Äquivalente umrechnen. Üblicherweise wird die von dem jeweiligen Gas verursachte Erwärmung in einem Zeitraum von 100 Jahren verglichen.

Eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Hamburg und der TU Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass die Methanpyrolyse bei der heutigen Erdgasversorgung durch die Vorkettenemissionen selbst im günstigsten Fall etwa 43 Gramm CO2-Äquivalent pro Megajoule Wasserstoff verursacht. Das ist etwas weniger als halb so viel wie bei der klassischen Dampfreformierung (99 Gramm), aber um ein Vielfaches höher als bei der Elektrolyse mit erneuerbaren Energien (drei Gramm).

Das Problem mit den Vorkettenemissionen besteht beim "blauen" Wasserstoff mit CCS ebenso, hier kommt die Studie auf einen Wert von 46 Gramm. Sowohl die Methanpyrolyse als auch die Dampfreformierung mit CCS sind also weit davon entfernt, klimaneutral zu sein.

Zu geringeren Gesamtemissionen käme man nur, wenn die Methanemissionen bei der Förderung und beim Transport deutlich reduziert werden. Da insbesondere in Deutschland Erdgas überwiegend aus Importen stammt, müssten entsprechende Regulierungen international greifen. Zumindest kurzfristig erscheint das kaum realistisch.

Kohlenstoff kann am Ende in der Müllverbrennung landen

Es gibt einen weiteren Aspekt bei der Methanpyrolyse, der die Behauptung infrage stellt, es handle sich um emissionsfreien Wasserstoff. Das ist der Verbleib des bei der Produktion entstehenden Kohlenstoffs.

Methan besteht aus einem Kohlenstoffatom und vier Wasserstoffatomen (chemische Formel: CH4). Da Kohlenstoffatome zwölfmal so schwer sind wie Wasserstoffatome, bedeutet das: Pro Tonne Wasserstoff, die mittels Methanpyrolyse erzeugt wird, entstehen drei Tonnen Kohlenstoff.

Theoretisch könnte man diesen Kohlenstoff lagern oder vergraben und dafür sorgen, dass er dauerhaft gebunden bleibt. Aber die Industrie hofft darauf, diesen Kohlenstoff zu verkaufen, denn andernfalls wäre die Methanpyrolyse kaum wirtschaftlich. BASF schreibt zur möglichen Verwendung: "Zu den Abnehmern zählen beispielsweise die Aluminium-, Stahl-, Reifen- und Bauindustrie."

Hier zeigt sich der zweite große Haken bei dem Versprechen der Emissionsfreiheit: Würde man den Kohlenstoff in einem Stahlwerk als Reduktionsmittel oder in einem Aluminiumwerk als Anodenmaterial nutzen, entstünden letztendlich auch Kohlendioxidemissionen.

Wenn die Methanpyrolyse in großen Mengen zum Einsatz käme, würden Anreize wegfallen, an anderer Stelle kohlenstoffbasierte Prozesse durch klimafreundliche Alternativen zu ersetzen.

Selbst wenn der Kohlenstoff in Produkten landet – neben Autoreifen und Bauteilen werden oft auch Batterien genannt, die hochreinen Kohlenstoff in Form von Graphit benötigen –, muss man genau betrachten, was mit diesen Produkten nach ihrem Lebensende passiert.

Nur bei einem nahezu perfekten Recyclingkreislauf könnte man davon sprechen, dass der Kohlenstoff dauerhaft gebunden bleibt. Landen die mit dem Kohlenstoff produzierten Produkte später in einer Müllverbrennungsanlage, entweicht der Kohlenstoff wieder in Form von Kohlendioxid.

Emissionsneutral bleibt der türkise Wasserstoff nur, wenn man nicht nur die Vorkettenemissionen ignoriert, sondern auch die Emissionen des scheinbaren Nebenprodukts Kohlenstoff.

Türkiser Wasserstoff nützt vor allem den Erdgasunternehmen

Es ist ein generelles Problem, das bei der Beurteilung von klimafreundlichen Produktionsmethoden wichtig ist: Wenn bei einem Prozess mehrere Produkte entstehen – welchem schlägt man dann die Kohlendioxidemissionen zu?

Es erscheint fragwürdig, einen Prozess als klimaneutral zu bezeichnen, wenn von einem Nebenprodukt Emissionen verursacht werden. Branchen, die Kohlenstoff als Rohstoff benötigen, müssen letztendlich ebenfalls auf nicht fossile Quellen umsteigen.

Nun könnte man auf die Idee kommen, Methoden wie die Methanpyrolyse als Übergangslösung zu nutzen, bis genügend grüner Wasserstoff mithilfe von erneuerbaren Energien produziert wird. Doch als kurzfristige Lösung taugt die Technik auch nicht. Bisher gibt es das Verfahren nur im Labormaßstab, BASF plant lediglich den Bau einer Pilotanlage. Bis das Verfahren großtechnisch einsatzfähig ist, wird es noch einige Zeit dauern.

Am Ende bleibt eine Wasserstoff-Produktionsmethode, die das Versprechen der Klimaneutralität nicht erfüllen kann und die als Übergangslösung nicht schnell genug zur Verfügung steht. Ein Interesse am türkisen Wasserstoff haben vor allem diejenigen, die die fossile Wasserstofferzeugung möglichst lange fortsetzen wollen, weil sie selbst im Erdgasgeschäft tätig sind.

Am Ende führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Wenn bei einem Verfahren fossile Rohstoffe am Anfang stehen, dann wird zusätzlicher Kohlenstoff in Umlauf gebracht. Wenn dieser nicht dauerhaft gebunden wird, entstehen zusätzliche Emissionen.

Der Autor hat bei der Recherche zu diesem Text mehrere Fragen an BASF geschickt und auch um ein Gespräch gebeten. Die Anfragen wurden nicht beantwortet.

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