Blick auf das Rohrgewirr einer Gas-Verdichterstation
Die Erdgasbranche möchte ihre Infrastruktur auf synthetische Gase umstellen – aus erneuerbaren Quellen oder auch nicht. (Foto: OGE)

Schon vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine galt Wasserstoff als eine Art Heilsbringer der Energiewende. Bereits 2020 legten die EU und Deutschland ambitionierte Wasserstoffstrategien vor.

Viele Bereiche der Industrie, beispielsweise die Stahlproduktion, sind absehbar nur durch grünen, mit Ökostrom hergestellten Wasserstoff zu dekarbonisieren. Ähnlich sieht es in Schifffahrt und Luftfahrt aus. Darüber hinaus wollen Energieunternehmen ihre Spitzenlastkraftwerke von fossilem Gas auf Wasserstoff umstellen.

Seit Kriegsbeginn ist Europa, um russische Gasimporte zu ersetzen, nun noch stärker auf Wasserstoff eingeschwenkt. Verglichen mit den ohnehin beträchtlichen Ausbauzielen im "Fit for 55"-Paket will die EU jetzt 2030 fast viermal so viel Wasserstoff zur Verfügung haben wie ursprünglich geplant. So steht es in dem letzte Woche veröffentlichten Repower-EU-Aktionsplan der EU-Kommission.

Ein solch enormer Markthochlauf muss sorgfältig reguliert werden. Darüber wird auf EU-Ebene gerade verhandelt. Dabei ist seit der letzten Revision der Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2018 klar, dass die Kommission den Arbeitsauftrag hat, die Kriterien zur Definition erneuerbarer Gase zu bestimmen.

Der entsprechende und lang erwartete delegierte Rechtsakt zur sogenannten Additionalität bei renewable fuels of non-biological origin wurde nun als Teil des Repower-EU-Pakets vorgelegt. Der Rechtsakt schreibt vor, dass zur Herstellung von synthetischen, also nicht biogenen Energieträgern wie grünem Wasserstoff zusätzlich geschaffene Kapazitäten erneuerbarer Energien eingesetzt werden müssen.

Die EU-Kommission hat den Rechtsakt zur öffentlichen Konsultation gestellt. Die EU-Staaten und das Europäische Parlament können ihn dann allerdings nicht mehr ändern, sondern nur annehmen oder ablehnen.

Der Verordnungsentwurf enthält sinnvolle Ansätze für die grüne Wasserstoffproduktion. So müssen Elektrolyse-Betreiber ab 2027 nachweisen, dass sie ihren grünen Strom aus nicht anderweitig geförderten Erneuerbaren-Anlagen beziehen. Damit soll dem Strommarkt kein Grünstrom entzogen werden, der für andere Anwendungen gebraucht wird.

Des Weiteren darf eine Elektrolyse von grünem Wasserstoff mit Netzstrom nur auf Basis eines Power Purchase Agreement (PPA) mit erneuerbarem Strom erfolgen. Der Strom muss dabei in der nächsten Zeit im gleichen Monat und ab 2027 in der gleichen Stunde sowie in der gleichen oder benachbarten Gebotszone wie der Elektrolyseur erzeugt werden.

Diese enge zeitliche und räumliche Korrelation stellt sicher, dass sich die Elektrolyse mit der Produktion erneuerbarer Energie deckt, die Integration der Erneuerbaren ins Stromsystem sogar gefördert wird und nicht etwa Kohle- oder Atomstrom für die Wasserstofferzeugung genutzt wird.

Erneuerbaren-Förderung für fossile Projekte?

An diesen Kriterien hielt die EU-Kommission in den letzten Monaten trotz einer Lobbyoffensive der Energiewirtschaft und der Industrie größtenteils fest. Speziell der Industrieverband Hydrogen Europe setzt sich seit Monaten für die Abschaffung des Additionalitätsprinzips ein.

Im Industrieausschuss des Europäischen Parlaments fanden diese Argumente nun aber Gehör. Der Berichterstatter der Christdemokraten für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, Markus Pieper von der deutschen CDU, schlägt nämlich vor, mit der aktuellen Überarbeitung der Richtlinie deutlich laxere Kriterien als die Kommission anzulegen.

Porträtaufnahme von Ricarda Dubbert.
Foto: Michael Kirsten

Ricarda Dubbert

ist Referentin für Energie und Klima­schutz bei der Deutschen Umwelt­hilfe (DUH) und derzeit für Wasser­stoff, Sektoren­kopplung und Energie­netze zuständig. Zuvor war die Politik­wissen­schaftlerin beim Bundes­verband Wärme­pumpe und beim Bundes­verband Erneuerbare Energie tätig.

Eine Neuregelung im Rahmen der Erneuerbaren-Richtlinie ("RED III") würde die Wasserstoffverordnung der Kommission aushebeln, denn diese wurde auf Basis der aktuell noch geltenden Richtlinie RED II verfasst.

Pieper fordert konkret, das Additionalitätsprinzip komplett zu streichen und den verwendeten Grünstrom anfangs nur quartalsweise zu bilanzieren. Auch soll ein üblicher Herkunftsnachweis schon ausreichen, um die Wasserstoffproduktion als "grün" zu labeln. Ein Power Purchase Agreement für den Grünstrombezug soll nicht zwingend erforderlich sein.

Käme Piepers Vorschlag durch, wäre das Ergebnis eine fatale Fehlsteuerung der Energiewende. Ohne eine gesicherte Additionalität verbrauchen Elektrolyseure erneuerbaren Strom, der vor allem für die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors und für das Erreichen der Ökostromziele gebraucht wird. Fossile und nukleare Kraftwerke würden dann länger laufen, um diesen Strombedarf zu decken.

Zudem schlägt Pieper vor, sogenannten "kohlenstoffarmen" Wasserstoff – also auch blauen Wasserstoff, der aus fossilem Erdgas hergestellt wird – in die Erneuerbare-Energien-Richtlinie aufzunehmen und ihn erneuerbarem Wasserstoff weitgehend gleichzustellen.

Das wäre ein Dammbruch. De facto würde das fossilen Energien den Zugang zu öffentlichen Fördergeldern für erneuerbare Energien ermöglichen.

Eine Studie aus den USA kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die blaue Wasserstoffproduktion noch klimaschädlicher ist, als fossiles Gas einfach direkt zu verbrennen. Grund dafür sind die Methan-Emissionen in der Vorkette des Erdgases sowie bei der mit Erdgas betriebenen CO2-Abscheidung.

Genau wegen der Emissionsintensität von Erdgas hat die Definition "kohlenstoffarmer Gase" – also wohlgemerkt von Gasen, die fossilen Kohlenstoff enthalten – in einer Richtlinie zu erneuerbaren Energien schlichtweg nichts zu suchen.

Grüner Wasserstoff wird rar und kostbar sein

Regelungsbedarf auf EU-Ebene gibt es auch auf der Nachfrageseite des Wasserstoffs. Im zweiten Halbjahr verhandelt die EU nämlich über eine Gasmarktreform, das sogenannte "Gaspaket".

Geplant sind beispielsweise Wasserstoff-Beimischungsquoten für die Gasnetze sowie hohe Wasserstoffziele für den Verkehr. Damit wird eine Wasserstoffnutzung im Heizsektor und im Straßenverkehr vorgezeichnet – obwohl es in diesen Bereichen mit Wärmepumpen und Elektroautos klimafreundliche und deutlich effizientere Alternativen gibt.

Porträtaufnahme von Julian Schwartzkopff.
Foto: privat

Julian Schwartzkopff

arbeitet als Referent für Energie und Klima­schutz bei der DUH vor allem zu EU-Energie­politik einschließlich Gas­markt­regulierung und Energie­effizienz. Der studierte Politik­wissen­schaftler arbeitete zuvor für den Umwelt-Thinktank E3G und das Institut für Europäische Politik in Berlin.

Ändert sich dies nicht, besteht das Risiko, dass der Wasserstoffbedarf dieser Anwendungen so groß sein wird, dass er nicht vollständig mit grünem Wasserstoff zu decken ist. Zudem animiert es dazu, jetzt in Scheinlösungen wie die Wasserstoffbeimischung zu investieren, statt fossiles Gas durch nachhaltige Lösungen wie erneuerbare Wärme und Energieeffizienz zu ersetzen.

Wir können es uns nicht leisten, die Wasserstoffproduktion ohne Rücksicht auf Verluste hochzuschrauben und den Energieträger mit der Gießkanne zu verteilen.

Grüner Wasserstoff wird ein rares und kostbares Gut sein. Bei seiner Anwendung müssen daher klare Prioritäten gesetzt werden. Er wird vor allem in der Industrie, der Schifffahrt, im Luftverkehr und als saisonaler Speicher benötigt.

Allein diese Anwendungen ausreichend mit grünem Wasserstoff zu versorgen, stellt bereits eine große Herausforderung dar und wird ohne Energieeffizienz und eine Mobilitätswende nicht zu verwirklichen sein.

Bei dem aktuellen Run auf Wasserstoff darf nicht aus den Augen verloren werden, warum überhaupt darüber diskutiert wird: für den Klimaschutz nämlich – um die Bereiche zu dekarbonisieren, in denen es aktuell keine Alternative zu gasförmigen Energieträgern gibt.

Der Markthochlauf von Wasserstoff ist kein Selbstzweck und darf nicht zum Feigenblatt der Gasindustrie verkommen. Wenn der noch junge Wasserstoffmarkt nicht sorgfältig reguliert wird, werden am Ende höhere Treibhausgasemissionen stehen und nicht niedrigere.

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