Waldsterben 2.0, Klimanotstand, Jahrhundertkatastrophe. Die Vokabeln, die Waldbesitzer, Forstleute und Naturschützer in diesem Sommer benutzen, werden immer dramatischer.
Zuletzt machte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Krise in den Wäldern aufmerksam. "Wir haben sehr, sehr große Waldschäden. Tausende von Waldbauern sind dadurch betroffen."
Durch das Absterben der Bäume sei auch die Funktion des Waldes als Speicher für das Treibhausgas Kohlendioxid zunehmend gefährdet, sagte Merkel in Berlin, bevor sie sich kürzlich in den Urlaub verabschiedete. Die Wiederaufforstung geschädigter Bestände sei eine wichtige Aufgabe.
Tatsächlich ist der Wald in einer Situation, die an das Waldsterben in den 1980er Jahren erinnert. Der Bund Deutscher Forstleute (BDF) rief sogar jüngst den "Klima-Notstand für den Wald" aus, um darauf aufmerksam zu machen.
Seit Anfang 2018 habe sich die Lage zugespitzt – zuerst durch Schneebruch und Winterstürme, dann durch die Dürre im Extremsommer und den dadurch beförderten, ungewöhnlich starken Borkenkäferbefall bei der Fichte, dem "Brotbaum" der Waldbesitzer.
"Die Dürre hat ganze Wälder zerstört"
Inzwischen zeige nun auch der wichtigste hiesige Laubbaum, die Rotbuche, deutliche und regional sogar bestandsweite Absterbe-Erscheinungen. Hinzu komme, dass in vielen Wäldern auch zwei weitere wichtige Baumarten, Ulme und Esche, durch Pilzerkrankungen verloren gegangen seien. Und beim Ahorn zeichne sich eine ähnliche Entwicklung ab.
"Während wir Forstleute seit fast zwei Jahren mit der Beseitigung der Schäden beschäftigt sind, bleibt die wichtigste Zukunftsaufgabe, die Wälder klimastabil zu entwickeln, auf der Strecke", warnt der BDF-Bundesvorsitzende Ulrich Dohle.
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) sieht die Situation ähnlich dramatisch. Besonders Forste in Mittel- und Ostdeutschland seien betroffen, heißt es dort. "Die Dürre und die vorangegangenen Stürme haben hier ganze Wälder zerstört." Bundesweit seien rund 110.000 Hektar vernichtet.
Der Dachverband der kommunalen und privaten Waldeigentümer schätzt, dass 2018 und 2019 zusammen rund 70 Millionen Kubikmeter "Schadholz" anfallen – vor allem Baumstämme, die bei den Stürmen umgeknickt sind, und sogenanntes Käferholz, abgestorben aufgrund des Borkenkäfer-Befalls.
Die Kosten, die die Kalamität im Wald erzeugt, sind immens. Allein der Abtransport des Schadholzes wird laut AGDW-Kalkulation 2,1 Milliarden Euro erfordern. Hinzu kommen die Aufwendungen zur Wiederaufforstung; die Pflanzung der dafür nötigen 300 Millionen Setzlinge schlägt laut den Waldbesitzern mit weiteren 640 Millionen Euro zu Buche.
Für viele Waldeigentümer, besonders jene mit kleineren Flächen, kann das existenzbedrohend sein, zumal der Holzmarkt durch das Schadholz übersättigt ist und die Preise im Keller sind. In besonders betroffenen Regionen reichen die Kapazitäten oft nicht einmal aus, um das viele Schadholz aus dem Wald zu schaffen.
Selbst die Buche ist betroffen
Forstwissenschaftler und Klimaexperten sind über die Zuspitzung sehr besorgt. Bei fast allen Baumarten gebe es fast täglich Hiobsbotschaften über Schäden und Vitalitätsminderung, meldet zum Beispiel die Bayerische Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft (LWF) in Freising.
Besonders überraschend ist für viele Fachleute, dass gerade auch die Buche, die als relativ klimastabil gilt, zunehmend Schäden und Ausfälle zeigt. Jahrelang habe man diesen Baum gepflanzt, um den Wald resistenter gegen die Erwärmung zu machen, erläutert der Klimaforscher und Umweltexperte Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, nicht ahnend, dass beschleunigte Klimaerwärmung und Trockenheit nun auch die heimischen Laubbäume treffen würden.
"Dass es jetzt auch die Buche in Lagen erwischt, in denen sie gut wachsen müsste, das erschüttert jeden Forstwirt", so Schwarze gegenüber Klimareporter°. Das laufende Jahr drohe das fünfte Dürrejahr in diesem Jahrzehnt zu werden. Nur ein sehr, sehr nasser Herbst könne das noch drehen.
Der Leipziger Professor unterstreicht auch Merkels Warnung vor der schwindenden CO2-Speicherkapazität für den Fall, dass das Baum-Absterben weiter so voranschreitet wie bisher. Im Holz der Wälder Deutschlands sind rund 2,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert, und pro Jahr nehmen die wachsenden Bäume etwa 58 Millionen Tonnen CO2 neu aus der Atmosphäre auf. Das entspricht gut sechs Prozent der Treibhausgase, die Deutschland emittiert.
"Nimmt diese CO2-Speicherkapazität ab, weil Bäume vorzeitig absterben oder zu wenig neue nachgepflanzt werden, wird es für die Bundesrepublik noch schwieriger, die Klimaschutzziele zu erreichen", sagt Schwarze.
Klöckner verspricht halbe Milliarde
Merkels "Klimakabinett" fightet derzeit heftig darüber, wie das 2030er CO2-Ziel von minus 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu schaffen ist. Was es heißt, wenn der Klimaschützer Wald nun auch noch ausfällt, wurde dabei noch gar nicht einkalkuliert.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die auch im Klimakabinett sitzt, hat die Dramatik jedoch offenbar erkannt. Kürzlich stellte sie den Plan vor, eine halbe Milliarde Euro in die Wiederaufforstung in Deutschland zu stecken, um die steigenden Waldverluste auszugleichen. Allein durch Brände sei im vergangenen Jahr eine Fläche so groß wie 3.300 Fußballfelder verloren gegangen.
Das Geld will sie allerdings nicht aus dem eigenen Etat nehmen. Es soll aus dem "Klimafonds" kommen, der aus der Versteigerung der CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel gespeist wird. Das Geld sei in den vergangenen Jahren nie ausgeschöpft worden.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat ebenfalls eine spektakuläre Veränderung in der Waldbaupolitik im Freistaat angekündigt. Das Ziel der Staatsforsten soll danach künftig nicht mehr die Gewinnabführung, sondern die Stärkung der Klimafunktion sein.
Statt der bisher geplanten Einnahmen von bis zu 30 Millionen Euro jährlich reicht nun auch eine "schwarze Null". Söder verkündete: "Aus dem reinen Wirtschaftswald soll ein Klimawald werden. Statt verdienen wollen wir erhalten."