Hände mit Stimmkarten recken sich im Saal nach oben – alles in SPD-Rot.
Die SPD braucht neue sozial-ökologische Ideen, um aus dem Tief herauszukommen. (Foto: SPD Schleswig-Holstein/​Flickr)

Klimareporter°: Herr von Weizsäcker, Sie sind Sozialdemokrat, von 1998 bis 2005 saßen Sie im Bundestag. Die SPD ist seit dem Ende der Schröder-Ära und Rot-Grün im Bund im Sinkflug, inzwischen sogar auf Crashkurs. Hat das Wegblenden der Umweltfrage, das Festhalten am langsamen Kohleausstieg zum Beispiel, einen Anteil daran?

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Zum Teil durchaus. Das Thema Umwelt und Klima hat stark zur Wählerwanderung von der SPD zu den Grünen beigetragen. Aber viele Ex-SPD-Wähler sind auch zur AfD gegangen. Und sehr viele haben gar nicht mehr gewählt.

Braucht es die SPD denn überhaupt noch?

Nur, wenn sie sich neu erfindet. Sie muss etwas anderes anbieten als nur die Überwindung von Hartz IV. Natürlich muss man in der Sozialpolitik Korrekturen machen, wo etwas falsch gelaufen ist. Aber das ist noch kein Programm für eine Volkspartei.

Ein SPD-Programm muss folgende Kernthemen haben: sozialverträglicher Umwelt- und Klimaschutz, Friedenspolitik, Kontrolle der Finanzmärkte, Gestaltung der Digitalisierung und Technikfolgenabschätzung. Hier muss die SPD brillieren. Und zeigen: Wir haben dazu eigene programmatische Ideen. In der Kommunalpolitik sind wir ja bereits sehr gut aufgestellt.

Wie sehr würde sich das denn vom Grünen-Programm unterscheiden?

Nicht sehr stark. Man könnte mittelfristig sogar über eine Fusion von SPD und Grünen nachdenken. So traurig es ist: Eine mehrheitsfähige Zukunftspolitik, die auch die Bedürfnisse künftiger Generationen berücksichtigt, findet man heute bei den Grünen und weniger in der Mitte der SPD. Das muss man den Grünen gönnen und mit ihnen kooperieren.

Wenn die Grünen wie jetzt die SPD bei den Umfragen überholen, löst das bei vielen Sozialdemokraten in erster Linie Neid aus, nicht Freude. Ich finde es aber großartig, wenn die Grünen solch eine Zukunftspolitik überzeugend vertreten.

Nur reichen die Stimmen bei Weitem nicht für eine rot-grüne Mehrheit – wegen des Absturzes der SPD auf 15 Prozent oder noch weniger.

Porträtaufnahme von Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Foto: IFP

Zur Person

Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Ehren­präsident des Thinktanks Club of Rome, dem er bis 2018 sechs Jahre als Co-Präsident vorstand. Der Biologe und Physiker war von 1975 bis 1980 Präsident der Universität Kassel, leitete dann mehrere Institute und wurde 1991 Gründungs­präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. 1998 bis 2005 war er SPD-Bundestags­abgeordneter. Weizsäcker wird heute 80 Jahre alt.

Mit einer Programmatik, wie ich sie skizziert habe, kann die SPD wieder auf 25 Prozent kommen. Dann reicht es wieder.

Falls es demnächst Neuwahlen gibt, was wäre das beste Ergebnis angesichts der Klimakrise, in der wir uns befinden?

Wenn die SPD sich nicht schnell genug regeneriert, Grün-Rot-Rot.

Sieht wohl eher nach Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz aus.

Das stärkt leider die bei Grünen bereits vorhandenen Tendenzen, konservativ zu werden.

Herr von Weizsäcker, Sie sind Biologe und Physiker, Sie kennen die Naturgesetze. Erzeugt das, mit Blick auf den Zustand des Globus, eher Hoffnung oder Pessimismus?

Es ist eine Mischung. Ich glaube, den Planeten Erde gut genug zu kennen, dass ich sagen kann: Er ist robuster als die Menschheit. Die Klimakrise kann zum Ende der Menschheit führen. Aber das ist noch nicht das Ende des Planeten.

Was ist es dann, was Ihnen mit 80 Jahren immer noch die Kraft gibt, den Club of Rome zu leiten, Vorträge zu halten, die Menschen zu inspirieren?

Ich habe eine enge Verbindung zur Natur, die es zu erhalten gilt, und zu den Menschen, vor allem den jungen. Ich habe schon als Schüler eine Wahnsinnsfreude gehabt, Schmetterlingsraupen einzusammeln, sie sich verpuppen zu lassen und dann ihre Verwandlung zu Schmetterlingen zu beobachten und diese dann fliegen zu lassen. Das fand ich wunderschön. Solche Erfahrungen haben mir einen emotionalen Grundstock gegeben, der bis heute trägt.

Heute ist es vor allem der tägliche, freudige Umgang mit jungen Leuten. Ich habe den Optimismus, dass, wenn Menschen die Wahrheit erkennen, sie dann auch vernünftig handeln. So steht es ja auch in der Bibel. "Und die Wahrheit wird euch frei machen." Johannes 8,32.

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews: "Greta Thunberg sollte den Nobelpreis bekommen"

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