Klimareporter°: Herr Geden, nach einiger Zeit der Spekulation haben das UN-Klimabüro und die Gastgeber Großbritannien und Italien entschieden, den für November geplanten Weltklimagipfel COP 26 in Glasgow zu verschieben – auf irgendwann Mitte 2021. Was hat das für Folgen für den Verhandlungsprozess?
Oliver Geden: Die Klimadiplomatie ist ja nicht schlecht darin, auch eine solche Verschiebung noch als positiv zu verkaufen.
Schon vor der Entscheidung, den Glasgower Gipfel zu verschieben, konnte man sich fragen, wie groß dessen Erfolgsaussichten eigentlich waren. Ob dort die Artikel-6-Verhandlungen, also die über den globalen Handel mit Emissionsrechten, erfolgreich zu Ende gebracht worden wären, war unklar.
Und die neuen nationalen Klimapläne, die NDCs, müssen die Staaten nicht zu Glasgow vorlegen, sondern laut dem Pariser Klimaabkommen bis Ende 2020. Diese Pflicht gilt unabhängig davon, wann und wo der nächste Klimagipfel stattfindet.
Bei den NDCs gibt es immer einen Erwartungsüberschuss, was die Länder noch liefern werden. Das Paris-Abkommen besteht letztlich aber vor allem aus prozeduralen Vorgaben und legt nicht die nötigen Emissionsminderungen fest. Deswegen ist vieles, wozu sich die Länder verpflichten, zwar mit dem Klimaabkommen vereinbar, aber nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel.
Was häufig übersehen wird: Nur Länder, deren NDC schon 2025 ausläuft, sind verpflichtet, jetzt einen Klimaplan bis 2030 einzureichen. Alle anderen – und das sind die meisten – können für 2030 nachbessern, müssen aber nicht.
Der Klimadiplomatie schadet die Verschiebung möglicherweise nicht, dem Klima schon.
In der Weltklimapolitik kriselt es nicht erst mit Corona: Die überstürzte Verlegung der COP 25 von Chile nach Spanien, der dann recht ergebnislose Gipfel Ende 2019 in Madrid, die folgenden Reparaturversuche mit dem Verweis auf den EU-China-Gipfel im Sommer in Leipzig ... Findet denn noch Klimadiplomatie statt?
Auch wenn sich das Corona-Thema vor alles schiebt – die Klimadiplomatie geht immer weiter. Die Frage ist nur, in welchen Formen das geschieht und was man davon realistischerweise zu erwarten hat. Leichter sind solche Gespräche nicht, wenn die Leute sich nicht begegnen.
Das Bundesumweltministerium hält bis jetzt am Petersberger Klimadialog Ende April fest. Man will da am Ball bleiben, auch wenn es keine Garantie für passable Ergebnisse gibt. Diesen Klimadialog mit 35 Ministern virtuell zu veranstalten ist aber auch wesentlich einfacher, als auf diese Weise Vorverhandlungen zur COP zu führen, wie sie jährlich in Bonn stattfinden.
Die Vorverhandlungen sollen nun auch nicht mehr im Juni, sondern erst im Oktober stattfinden.
Als Megaveranstaltungen stehen die Weltklimagipfel mit ihren 20.000 Teilnehmenden aus aller Welt schon länger in der Kritik – sie seien zu groß und zu ineffizient. Erhält diese Diskussion neuen Auftrieb?
Noch nicht, weil man sich mögliche Alternativen nicht so richtig vorstellen kann. Wenn jetzt in der Wirtschaft oder in anderen Bereichen Veranstaltungen virtuell gemacht werden müssen, weil sie sonst ersatzlos ausfallen, macht man sie lieber virtuell – und später wird reflektiert werden, wie es funktioniert hat.
Oliver Geden
ist Sozialwissenschaftler und leitet die Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Frage, wie politisches Handeln sich sinnvoll steuern lässt. Geden ist Leitautor für das Kapitel "Sektorübergreifende Perspektiven" im nächsten IPCC-Bericht.
Im Weltklimarat IPCC läuft es derzeit ähnlich, möglicherweise wird der sechste Sachstandsbericht später erscheinen als geplant. Zwar sind dort nicht so viele Leute tätig, aber sie sind global verteilt.
Die Arbeitsgruppe 3 zur Eindämmung des Klimawandels, in der ich mitarbeite, plante zum Beispiel ein Meeting von 250 Leitautoren in Ecuador, das abgesagt werden musste. Es findet nun virtuell statt.
Das ist nicht leicht zu organisieren, schon wegen der Zeitzonen. Man will ja niemanden nötigen, mitten in der Nacht an Videokonferenzen teilzunehmen.
Ob an einem Klimagipfel Zwanzigtausend teilnehmen müssen, ist schon zu hinterfragen. Nur ein Teil der Leute sind ja Diplomaten. Schaut man sich die Größe der Delegationen an, ist nicht so ganz zu verstehen, warum zum Beispiel die Elfenbeinküste mit 350 Leuten zum Klimagipfel kommt.
Sicher könnten die Gipfel eine Nummer kleiner werden. Allerdings schätzen auch Wissenschaftler, NGOs und viele andere, die an dem Thema arbeiten, die Fülle an "side events" und die Möglichkeiten zum Austausch während der zwei Wochen. Bei einem globalen Thema ist es wichtig, einmal im Jahr so einen globalen "focal point" zu haben.
Möglicherweise kommen nach der Coronakrise auch Software-Lösungen auf, die in Teilbereichen reale Treffen ersetzen können. Aber solange niemand etwas Besseres hat, wird es bei den Gipfeltreffen bleiben.
Die EU hat mit ihrem Green Deal und dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, die Erwartung erweckt, Europa könnte beim Klimaschutz wieder Vorreiter werden. So ein ehrgeiziges Ziel würde die EU-Kommission heute in der Krise wohl nicht mehr ausgeben – oder?
Den Beschluss zur Klimaneutralität hatte die EU-Kommission schon unter Jean-Claude Juncker vorbereitet. Diesen Prozess hat die neue Kommissionspräsidentin von der Leyen geschickt für sich genutzt. Sie hat auch zeitlich Glück gehabt, dass die Staats- und Regierungschefs sich noch vor Corona einig wurden und sie die Kommissions-Vorschläge für den Green Deal noch rechtzeitig präsentiert hat.
Als grundsätzliche Position der EU wird Klimaneutralität bis 2050 nicht mehr wegzubekommen sein. Die Green-Deal-Vorschläge liegen jetzt auf dem Tisch, unter anderem das EU-Klimagesetz. Aber sie werden – so viel ist klar – nun viel langsamer bearbeitet werden.
In einer Krise, die nicht nur eine der öffentlichen Gesundheit, sondern auch eine ökonomische ist, werden erstmal nur wenige EU-Regierungen deutlich schärfere Klimaziele für 2030 fordern, was die Kommission ja eigentlich noch vor der COP 26 durchbringen wollte.
Es kann sein, dass der Green Deal jetzt erst einmal, bildlich gesprochen, ins Regal gestellt wird, weil anderes im Vordergrund steht. Aber mit dem Klimaneutralitätsziel ist auf jeden Fall einer der wichtigen Pflöcke eingeschlagen.
Mit dem Stillstand des öffentlichen Lebens kämpft auch die Klimabewegung. Fridays for Future versucht zwar, die Straße ins Netz zu verlegen, muss aber auch die begrenzte Kraft von Online-Debatten und Petitionen zur Kenntnis nehmen.
Nur durch die permanente Präsenz, deren Größe ja alle überrascht hat – auch die Aktivistinnen und Aktivisten selbst –, konnte Fridays for Future das Klimathema auf die politische Agenda in Deutschland setzen, nach dem Motto: Wir gehen nicht weg und das Thema geht auch nicht weg.
Diese Präsenz bröckelte schon vor Corona. Man fragte sich dann: Wie können wir mit weniger Leuten etwas erreichen? Der Wechsel der Strategie bestand darin, stärker Unternehmen in den Fokus zu rücken. Die Siemens-Adani-Kampagne war ein gutes Beispiel dafür, wie das funktionieren kann. Ist der entsprechende Resonanzraum da, kann man auch anders mobilisieren.
Für Fridays for Future stellt sich jetzt nicht allein die Frage, wie lange die Sonderphase dauert. Nach der Coronakrise könnte sich auch zu einem Problem auswachsen, dass die Jugendlichen, die Schule oder Studium abschließen, angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt möglicherweise erstmal drängendere Sorgen haben.
Je länger die Krise andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass einzelne Repräsentanten der Bewegung den Weg der Professionalisierung gehen. Und dann könnte sich Fridays for Future in eine eher klassische Nichtregierungsorganisation transformieren.
Wenn die Wirtschaft nach der Krise wieder angefahren wird, müsse das grüner und nachhaltiger geschehen als davor, fordern hierzulande Experten, Verbände und Politiker. Ist das eine deutsche Debatte oder hallt die weltweit wider?
Diese Diskussion wird zwar in vielen Ländern geführt, beschränkt sich aber oft auf die entsprechenden Experten-Communities. Gern wird dabei der Vergleich zur Finanzkrise 2008/2009 gezogen und auf das Beispiel Südkorea verwiesen und gesagt, das Land habe nach der Krise sehr explizit auf einen sogenannten "green stimulus" gesetzt.
Es gibt aber nicht viele Evaluierungen, was Südkorea da wirklich gemacht hat und was es gebracht hat. Das könnte auch eine Art Schaulaufen gewesen sein.
An sich ist die Idee zu einem grünen Wiederanfahren richtig. Die Emissionen gehen jetzt drastisch runter und vielleicht gewinnen wir fürs globale CO2-Budget ein halbes Jahr Zeit.
Aber wenn man Volkswirtschaften nachhaltig transformieren will, braucht man kontinuierliche Anstrengungen und Investitionsmittel, um die Dinge aufs richtige Gleis zu bringen. Da entsteht jetzt eine Lücke, die klimapolitisch schwerer wiegt als die vorübergehend sinkenden Emissionen.
Was die EU und ihre klimapolitisch fortschrittlicheren Mitgliedsstaaten angeht, so werden in Konjunkturpaketen immer auch "Green stimulus"-Elemente mit drin sein, auf die man verweisen kann. Auch die zu erwartenden Staatsbeteiligungen an großen Unternehmen könnten ein Hebel sein.
Den Mut aber, die Bekämpfung der ökonomischen Krise konsequent für eine ökologische Modernisierung zu nutzen, sehe ich nicht. Andererseits ist aber auch eine bedingungslose Auto-Abwrackprämie wie 2009 in Deutschland kaum mehr vorstellbar.