Viele bunte Lichterschleifen vor schwarzem Hintergrund.
Die Debattenschleifen folgen der Aufmerksamkeitsökonomie und lassen den Fachkonsens links liegen. (Foto/​Ausschnitt: Nareeta Martin/​Unsplash)

Wer gesellschaftliche Diskussionen über Klimaschutz und gleichzeitig die fachliche Diskussion zu den notwendigen politischen Maßnahmen verfolgt, kann in diesen Tagen leicht den Eindruck gewinnen, dass diese Auseinandersetzungen in getrennten Universen stattfinden.

Die gesellschaftliche Debatte zum Klimaschutz, mit ihrem oft hohen Abstraktionsniveau, ist noch immer polarisiert und emotionalisiert. Gleichzeitig herrscht in der fachpolitischen Debatte ein bemerkenswerter Konsens über viele Maßnahmen und Notwendigkeiten.

Das zeigt sich nicht zuletzt in einer neuen Generation klimapolitischer Studien und Positionierungen, in denen von großen Industrieunternehmen bis hin zu Umweltverbänden und Forschungsinstituten weitgehende Einigkeit zu den dringendsten Handlungsnotwendigkeiten herrscht. Dieser Konsens spiegelt sich jedoch in der gesellschaftlichen Debatte kaum wider.

Mit Blick auf das, was für den Klimaschutz als Nächstes passieren muss, ist das ein großes Problem, denn in den 2020er Jahren muss Klimapolitik real werden – und wird es so oder so werden.

Konkret: In den kommenden Jahren muss die Durchsetzung von Klimaschutz in der Realwirtschaft an allererster Stelle stehen, die Zeit der Zieldebatten muss vorbei sein. Wenn diese Umsetzung scheitert oder nicht schnell genug stattfindet, dann wird uns eine andere Realität der Klimakrise einholen, nämlich ihre Folgen (die schon jetzt nicht mehr komplett zu verhindern sind).

Und: Auch in diesem Fall müssten Emissionen umso schneller gesenkt werden, in einem Umfeld, in dem die Transformation deutlich schwieriger zu steuern und somit um ein Vielfaches disruptiver wäre.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass sich die gesellschaftliche Debatte und der Fachdiskurs zum Klimaschutz gegenseitig befruchten und eine positive Wechselwirkung entfalten – bisher reden diese beiden Welten noch sehr oft aneinander vorbei.

Insbesondere in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung muss viel stärker deutlich gemacht und anerkannt werden, welch bemerkenswerter Konsens über die notwendigen nächsten Schritte für den Klimaschutz besteht, und so auch das Feld der unvermeidlichen politischen Auseinandersetzungen verschoben werden.

Klimaschutz als Entweder-Oder, Klimadebatte als kulturelles Thema

Im Moment leidet die oft abstrakte gesellschaftliche Debatte zum Klimaschutz an einer Reihe von Schwächen. Dazu zählen

  • ein gefährlich binäres Denken über die Frage, welche klimapolitischen Maßnahmen lohnenswert sind,
  • die Tendenz, Klimaschutz primär als kulturelles Thema zu verhandeln, trotz seiner offensichtlichen Materialität, sowie
  • ein einseitiger Fokus auf die Konsequenzen klimapolitischer Maßnahmen, bei weitgehender Ignoranz der Konsequenzen ausbleibender Maßnahmen sowie der vielen Vorteile einer aktiven Klimaschutzpolitik.

So wird auf dieser Ebene ein andauernder Konflikt verhandelt zwischen einer kaum überwindbaren Mauer der politischen Untätigkeit (Fridays for Future und Co) und nicht umsetzbaren klimapolitischen Forderungen ("Politik ist das, was möglich ist", Bundeskanzlerin Merkel zum unzureichenden Klimapaket).

Ein Beispiel für die Binarisierung von Klimapolitik ist die im Wahlkampf oft wiederholte Kritik, dass "keine Partei" ein Wahlprogramm habe, das mit der 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens kompatibel sei.

Das große Problem bei dieser Herangehensweise: Unterschiede zwischen Maßnahmenideen verblassen, dabei sind es genau diese Unterschiede, die die alles entscheidende Frage – wie viele Treibhausgase werden in Zukunft emittiert? – am stärksten beeinflussen.

Darüber hinaus befeuert ein solch binäres Narrativ das gefährliche Bild, Klimaschutz lohne sich nur dann, wenn er von Anfang an auch die ehrgeizigsten Ziele erreicht, und bei einem Verfehlen dieser Ziele sei es egal, wie groß die Lücke ausfällt.

Porträtfoto Felix Heilmann.
Foto: E3G

Felix Heilmann

studiert Inter­nationale Beziehungen in Berlin und Potsdam. Zuvor hat er Philosophie, Politik und Wirtschafts­lehre in Oxford studiert und mehrere Jahre für den klima­politischen Thinktank E3G gearbeitet. Daneben hatte er verschiedene ehren­amtliche Positionen in Klima­schutz­organisationen inne.

Dabei ist das Gegenteil der Fall: Jedes verhinderte Zehntelgrad Erderwärmung ist wichtig (natürlich: je mehr, desto besser).

Besonders problematisch: Dieses Narrativ schafft eine Hürde, über die klimabewegte Menschen selbst stolpern können – in der Form eines Abwendens vom Einsatz für Klimaschutz, wenn nicht die anspruchsvollsten Ziele innerhalb kurzer Zeit erreicht werden können.

Abgesehen davon zeigt sich schon heute in vielfacher Weise, wie stark Diskussionen über Zieljahre anstelle konkreter Maßnahmen Akteure voneinander entfremden können, die eigentlich das Gleiche wollen.

Außerdem wird im Raum der gesellschaftlichen Debatte Klimapolitik oft in Form kultureller Fragen verhandelt, wie in der Diskussion über Lastenfahrräder während des Wahlkampfs.

Das verkennt die massive materielle Dimension der Klimakrise, und zwar sowohl der Konsequenzen ausbleibenden Klimaschutzes als auch die materielle Dimension von Klimapolitik. Denn am Ende kann erfolgreicher Klimaschutz nur gelingen, wenn sich Prozesse in der materiellen Welt verändern, von der Energiegewinnung bis zur Energienutzung.

Solche materiellen Maßnahmen können auch innerhalb der bekannten politischen Prozesse erfolgversprechend verhandelt werden, handelt es sich doch letztlich um klassische Verteilungsfragen.

Dabei ist es entscheidend, dass das zu verteilende Gut nicht die klimapolitische Ambition an sich ist, sondern lediglich die Aufteilung der bereits vielfach beschlossenen Ambition zwischen wirtschaftlichen Sektoren und verschiedenen Maßnahmen.

Die Fachdebatte: Viel Einigkeit, viel zu tun

Genau mit diesen materiellen Prozessen und Veränderungen beschäftigt sich mittlerweile eine beeindruckende Zahl an Expert:innen, in Deutschland, Europa und weltweit.

Und hier ist die Debattenlage oft grundlegend anders – insbesondere, da ein weitgehender Konsens herrscht, dass die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen volkswirtschaftlich deutlich kostengünstiger ist als das Verzögern solcher Maßnahmen, in Verbindung mit einer bemerkenswerten Übereinstimmung zu den notwendigen Maßnahmen für den Klimaschutz. Politische Forderungen in diesem Feld waren noch nie "so konsensual wie im Moment", in den Worten von Jakob Schlandt, Redaktionsleiter beim Tagesspiegel Background zur Energie- und Klimapolitik.

Besonders deutlich wird das anhand der neuesten Generation an Studien zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland und weltweit. Diese ausführlichen Analysen von internationalen Akteuren, Industrieverbänden, klimapolitischen Thinktanks und Forschungskonsortien im Auftrag von Bundesministerien bieten nicht nur ausführliche technische Daten zur Erreichbarkeit von Klimazielen, sondern auch klare politische Botschaften und Positionierungen.

So ist mittlerweile weitgehend akzeptiert, dass Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe wichtig, aber kein Allheilmittel sind und dass daher beispielsweise die Zukunft des Autoverkehrs elektrisch ist, dass der Kohleausstieg deutlich vor 2038 abgeschlossen sein muss und dass der Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion der Dreh- und Angelpunkt der Klimawende ist.

Bemerkenswert daran ist auch, dass diese Einigkeit ein relativ neues Phänomen ist und daher neuen Rückenwind für die Klimapolitik geben kann und sollte.

Gleichzeitig existiert mittlerweile ein belastbarer Rechtsrahmen, der Emissionsminderungen erforderlich macht, unter anderem durch die deutschen und europäischen Klimaschutzgesetze sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz.

Dieser Konsens kommt aber leider im gesellschaftlichen Diskurs kaum vor.

Hier werden Kontroversen nach vorne gestellt – ein generelles Risiko in einer aufmerksamkeitsgetriebenen Medienlandschaft – und alte Konfliktlinien am Leben gehalten.

Die Fragen, die hier regelmäßig verhandelt werden, von A wie Atomkraft bis hin zu W wie Wasserstoffautos, spielen in der Fachdebatte de facto kaum noch eine Rolle, sind also praktisch ausdiskutiert. Umso problematischer ist es, dass sie als vorrangig kulturelle Trennlinien die gesellschaftliche Debatte weiter stark bestimmen.

Im Gegensatz dazu könnte eine stärkere Berücksichtigung der oft bemerkenswerten Einigkeit innerhalb der Fachdebatten zu Energie- und Klimapolitik helfen, alle oben genannten Probleme in der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung anzugehen: durch einen stärkeren Fokus auf Maßnahmen anstatt auf abstrakte Ziele und durch eine Betonung der materiellen Dimension von Klimapolitik sowie der starken Unterstützung, den Klimaschutzmaßnahmen längst haben.

Klimapolitische Debattenräume müssen voneinander lernen

Eine solche Neuausrichtung der gesellschaftlichen Klimadebatte würde nicht nur ein positives Momentum für die Umsetzung von Klimaschutz – anstelle von Resignation oder Zynismus – schaffen, sondern auch eine deutlich konkretere und somit effektivere Messlatte für die Bewertung klimapolitischer Entscheidungen, auch im Rahmen der Koalitionsverhandlungen.

Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Es wäre vermessen, an dieser Stelle ein fertiges Rezept präsentieren zu wollen. Einige Hürden sind aber klar: Meinungsartikel über Gebäudesanierung erzeugen weniger Interesse als Debatten über Atomkraft, und "Experten sind sich einig" ist auch nicht die vielversprechendste Schlagzeile (gemessen in der Währung der Aufmerksamkeitsökonomie, nicht am inhaltlichen Wert der Nachricht).

Der Weg zu einer konstruktiveren Klimadebatte über Maßnahmen kann und wird nicht der Weg zu einer konfliktfreien Klimadebatte sein – das wäre zumindest in Anbetracht grundlegender politischer Dynamiken und der auch materiellen Brisanz des Themas eine große Überraschung.

Ziel sollte stattdessen eine Verschiebung der Konfliktlinien sein: weg von ausdiskutierten Fragen, Kulturkämpfen und nicht zielführenden Zieldebatten hin zu einer Diskussion des Widerspruchs zwischen dem weitgehenden fachlichen Konsens auf der Maßnahmenseite und der fortbestehenden klimapolitischen Behäbigkeit in Deutschland.

Um es noch einmal zu betonen: Es geht um die Übereinstimmungen zur Frage, was als Nächstes passieren muss – die deutlich weitergehender sind und auch eine konkretere Debatte erlauben als ein Fokus auf die selbstverständlich grundlegend wichtige Übereinstimmung zur Frage, ob etwas passieren muss.

Ein zweiter Schritt in dieser Dynamik wäre dann auch eine intensivere Diskussion über die Themen, in denen auf der Maßnahmenebene noch Uneinigkeit besteht, sei es die genaue Gestaltung der Bepreisung von Emissionen oder auch die Zukunft der Gebäudewärme und der Gasnetze.

Das erfordert auch eine deutlich engere Verknüpfung von Fach- und gesellschaftlichen Debatten.

Die Reibung, die in diesem Diskurs entsteht, in dem auch die Konfliktlinien neu gezogen wären – Industrieverbände fänden sich plötzlich auf der gleichen Seite wie Umweltorganisationen und viele Gewerkschaften wieder – könnte eine neue Dynamik in die klimapolitische Debatte bringen und die dringend nötige Umsetzung von Maßnahmen befeuern.

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