Trotz voranschreitender Klimakrise haben die Parteien in Deutschland noch immer keine ausreichenden Überlegungen angestellt, wie die jetzt notwendige Klimapolitik aussehen könnte und welche Weichen dafür gestellt werden müssen. Das geht aus einer Analyse von Bundestagswahlprogrammen hervor, die der Leipziger Thinktank Konzeptwerk Neue Ökonomie jetzt vorgelegt hat.
Demnach genügt keines der Programme dem 1,5‑Grad-Ziel des Pariser Klimavertrags. "Die klimapolitischen Ziele der Parteien sind erschreckend weit entfernt von dem, was wir jetzt sofort als Gesellschaft umsetzen müssten, um katastrophale Umweltveränderungen und die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen zu vermeiden", sagte Ronja Morgenthaler vom Konzeptwerk Neue Ökonomie.
Maßstab für die Analyse ist das Emissionsbudget, das der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Regierungsberatungsgremium, auf Grundlage von Berechnungen des Weltklimarats ermittelt hat. Demnach dürfte Deutschland ab 2020 noch 4,2 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen, wenn das 1,5‑Grad-Ziel mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit eingehalten werden soll. Die historischen Emissionen, die Deutschland schon verursacht hat, werden dabei nicht berücksichtigt.
Sieben Bereiche haben die Autoren vom Konzeptwerk Neue Ökonomie ausgewählt, in denen sie die Vorhaben der Parteien laut Wahlprogramm vergleichen: CO2-Budget, Wirtschaftssystem, Energie, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Parteien.
Die Unionsparteien und die FDP wollen der Analyse zufolge keine wesentlichen Veränderungen. CDU, CSU und noch stärker die FDP setzen auf Marktkräfte und Technologien.
Das Programm der SPD enthält viele Absichtserklärungen, doch insgesamt stellt das Konzeptwerk Neue Ökonomie der Partei das Zeugnis aus, dass ihre Pläne unkonkret und ungenügend seien und sie im Grunde ebenfalls am Bestehenden festhalten wolle.
Grüne und Linke schneiden etwas besser ab
Etwas besser kommen die Wahlprogramme von Linken und Grünen weg. Es handle sich um relativ weitgehende und in Teilen ambitionierte Programme. Doch auch hier gibt es laut der Analyse Leerstellen.
"Die Grünen setzen auf eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, auf ökologische Modernisierung und haben zum Teil sehr klare Vorstellungen davon, was notwendige Maßnahmen sind", sagte Kai Kuhnhenn, der an der Analyse beteiligt war.
Das Programm gehe sehr stark davon aus, dass ökologische Modernisierung und grüner Kapitalismus funktionierten und dass sich Umweltzerstörung und Wirtschaftswachstum entkoppeln ließen. Aus Sicht des Konzeptwerks hängen die Grünen dabei einer Illusion an. Knackpunkte wie Klimagerechtigkeit oder Rebound-Effekte blieben unterbelichtet.
Neben anderen Technologien brauche es auch tiefgreifende soziale Veränderungen, etwa eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit oder eine Verringerung der individuell verfügbaren Wohnfläche. Über solche Ideen werde in Ansätzen nur in der Linkspartei diskutiert, konstatiert der Thinktank.
"Die Linke will als einzige Partei eine grundlegende Veränderung des Wachstums und der profitorientierten Gesellschaftsstrukturen", so Kuhnhenn weiter. Aber bei der Partei schlügen zwei Herzen in einer Brust, einerseits wolle sie Industriearbeitsplätze erhalten, andererseits sehe sie die Notwendigkeit, dass es einen Rückbau klimaschädlicher Industrien brauche.
Alle im Bundestag vertretenen Parteien bekennen sich zum 1,5‑Grad-Ziel des Paris-Abkommens (außer der AfD, die den menschengemachten Klimawandel leugnet und laut Wahlprogramm aus dem Klimavertrag aussteigen will).
Deutschlands Umweltverbände hatten Anfang des Monats eine Art Klima-Wahlomat vorgestellt. Auch sie kommen zu dem Schluss, dass sich die Parteien noch viel mehr einfallen lassen müssen, wenn sie ihr Bekenntnis zum 1,5‑Grad-Ziel ernst meinen.