Sebastian Sladek. (Bild: Bernd Schumacher)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).

Klimareporter°: Herr Sladek, das Öko-Institut hat im Auftrag des WWF eine Liste der 30 klimaschädlichsten Industriebetriebe in Deutschland vorgelegt. In den letzten Jahren gab es im Industriesektor kaum CO2-Einsparungen. Lag der Fokus zu lange nur auf der Energiewirtschaft?

Sebastian Sladek: Nun, es liegt ja auf der Hand und die Zahlen des "Ampel-Monitors" vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sprechen eine deutliche Sprache: Der Energiesektor hat in puncto Emissionseinsparung zwar noch lange nicht genug, aber doch mit Abstand am meisten geliefert. Der Solarsektor liegt beim Ausbau vorn, gefolgt von Windkraft an Land. Der Offshore-Windausbau hinkt weiter hinterher.

Auch bei den Erneuerbaren muss das Tempo noch kräftig anziehen. Aber das ist kein Vergleich zum Stand der Dekarbonisierung in der Industrie, die von der Politik weiter mit Samthandschuhen angefasst wird, während die dringend notwendige Wärme- und Mobilitätswende zwischen den Ampelparteien gründlich zerrieben wird. Ein großes Wunder ist das Ergebnis nicht, was es aber nicht weniger beunruhigend macht.

 

Die konsequente Dekarbonisierung aller Sektoren ist ein riesiger Transformationsprozess und der tut weh. Bis jetzt wird aber immer noch versucht, diese Schmerzen irgendwie zu vermeiden, was die ganze Sache letztlich nur noch schlimmer macht.

Im Energiesektor ist die notwendige Veränderung noch an einfachsten zu realisieren, weil wir hier mit den Erneuerbaren funktionierende und inzwischen auch kostengünstige Alternativen haben.

Die Entwicklung von sinnvollen Alternativen ist in allen anderen Sektoren schlicht verschlafen oder, wie bei der Elektromobilität, nur zögerlich vorangetrieben worden. Die fossile Lobby ist eben weiterhin effektiv am Ruder.

Die Regierung muss sich endlich von den Transformationsängsten freimachen und politisch mit entschiedenen Schritten vorangehen. Wir brauchen klare und eindeutige Rahmenbedingungen für die vollständige Dekarbonisierung Deutschlands.

Viele Herstellungsschritte in der Industrie lassen sich nur schwer dekarbonisieren. Gerade die emissionsintensivste Branche, die Stahlindustrie, wird in Zukunft auf große Mengen Wasserstoff angewiesen sein. Nun soll Wasserstoff aber auch in Kraftwerken Strom produzieren und die FDP möchte wasserstoffbetriebene Autos und Heizungen. Ist es denn realistisch, dass diese enorme Nachfrage in wenigen Jahren mit grünem Wasserstoff gedeckt wird?

Es ist völlig klar, dass die Dekarbonisierung von Teilen der Industrie oder auch des Verkehrssektors ohne Wasserstoff nicht gelingen kann. So lassen sich zum Beispiel bestimmte Produktionsverfahren in der Stahlindustrie nicht elektrifizieren. Die sind daher auf grüne Gase angewiesen.

Ebenso wird Wasserstoff im Verkehrsbereich bei der Großschifffahrt oder im Flugverkehr notwendig sein, selbst wenn wir hier durch drastische Verhaltensänderungen Emissionseinsparungen erreichen.

Gleichwohl ist die von den üblichen Verdächtigen angeheizte Wasserstoff-Debatte in meinen Augen noch immer eine riesige Nebelkerze, denn grüner Wasserstoff wird kurz- bis mittelfristig kaum verfügbar sein.

Die großen Klimaneutralitätsstudien, zum Beispiel von Agora Energiewende oder dem Kopernikus-​Projekt Ariadne, zeigen, dass bis 2030/35 gar nicht genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen wird. Wir können also froh sein, wenn wenigstens die kritischen Bereiche der Industrie, See- und Luftfahrt bald mit grünem Wasserstoff versorgt werden.

Aktuell sieht es nämlich so aus, also ob wir auch dort bis auf Weiteres vor allem blauen Wasserstoff aus Erdgas einsetzen – was meiner Meinung nach die allergrößte Mogelpackung fürs Klima ist. Jetzt noch so zu tun, als ob man auch fürs Autofahren oder Heizen problemlos auf grünen Wasserstoff zurückgreifen könne, grenzt an Realitätsverweigerung.

Abgesehen davon müssten die Gasnetze und Heizkessel erstmal – wie man immer so schön sagt – "H2-ready" gemacht werden. Das kostet Zeit und ist auch gar nicht ohne Weiteres möglich. Die Gasnetzbetreiber wissen das auch.

 

Mich ärgert tatsächlich, dass wir ständig solche Scheindiskussionen führen. Gerade mit Blick auf die Heizungsdebatte braucht es jetzt mehr Pragmatismus. Wir sollten die bereits vorhanden Technologien und Potenziale viel stärker in den Fokus nehmen.

So kommt bei uns die Rolle von Wärmenetzen – auch in ländlichen Regionen – noch viel zu kurz bei der Dekarbonisierung des Wärmesektors. Nahwärmenetze ermöglichen es, erneuerbare Wärme aus verschiedenen, regional vorhandenen Quellen zu nutzen. Bei uns im Schwarzwald verfügen wir zum Beispiel über ein riesiges Potenzial an nachhaltig angebauter Biomasse.

Auch die Solarthermie wird immer wichtiger. Andere Regionen haben beste Voraussetzungen für die Nutzung der Geothermie. Hinzu kommt, dass sowohl im ländlichen als auch im urbanen Räumen viel ungenutzte Abwärme schlummert, die sich ebenfalls effizient über Wärmenetze integrieren lässt.

Wir plädieren deshalb dafür, parallel zur Wärmepumpenoffensive vor allem den Wärmenetzausbau voranzutreiben, statt weiter über die Nutzung von grünem Wasserstoff in "H2-ready"-Gasheizungen zu fabulieren. Die Bundesregierung scheint sich diesen Forderungen inzwischen auch etwas zu öffnen, wie zum Beispiel der erste Entwurf für das Wärmeplanungsgesetz oder der morgige Fernwärmegipfel vermuten lassen.

In Bonn läuft die Vorkonferenz zum diesjährigen Weltklimagipfel COP 28 in Dubai. Wie wichtig sind diese Formate, die dem eigentlichen Klimagipfel vorangestellt sind?

Ich halte es für ungemein wichtig, dass möglichst viele Menschen an den Prozessen der Weltklimakonferenzen beteiligt sind und diese damit so transparent wie möglich gestaltet werden. Wir müssen auf vielen Ebenen über die Wege aus der drohenden Klimakatastrophe im Gespräch bleiben.

Es kann zuversichtlich stimmen, dass auf der Bonner Konferenz immerhin 30 Prozent der Teilnehmenden unter 30 sind. Jüngere Menschen müssen am längsten mit den Folgen unserer Versäumnisse leben und werden großes Interesse an echter Transformation haben.

Ein Problem ist die hohe Komplexität mit einer Vielzahl an Fragen, die zu lösen sind. Dafür werden die zehn Tage sicher nicht ausreichen.

Vollkommen absurd ist natürlich, dass mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ein Staat mit fast ausschließlich fossilen Interessen die COP 28 ausrichtet und dass ausgerechnet ein Top-Ölmanager Konferenzpräsident ist.

Es ist schon jetzt absehbar, dass in Dubai alles darauf hinauslaufen wird, die fossilen Energien unangetastet zu lassen und allenfalls das entstehende CO2 abzuscheiden und einzulagern. Das Wachstum soll ungebremst weitergehen können. Dabei ist schon jetzt klar, dass dieser Weg noch tiefer in die Ressourcensackgasse führt. So ist unserem Planeten und seinen zukünftigen Generationen sicher nicht geholfen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Für mich war die Überraschung der Woche eher ein Schock der Woche: die Sprengung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine.

Mittlerweile ist bereits ein Drittel des gestauten Wassers entwichen, in Cherson steigt das Wasser unaufhaltsam und auch die Kühlung ukrainischer Atomkraftwerke ist zumindest auf mittlere Sicht gefährdet. Die hier angerichtete ökologische Katastrophe lässt mich einfach nur fassungslos zurück.

Fragen: David Zauner