Beton und Stahl – das sind die zwei Grundstoffe, aus denen unsere Häuser, Straßen und Fortbewegungsmittel gemacht sind. Ihre Herstellung verursacht enorme Mengen an Treibhausgasen und geschieht in gigantischen Industrieanlagen.

Das Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Duisburg gehört zu den größten der Welt. Es ist etwa fünfmal so groß wie Monaco, beschäftigt 14.000 Mitarbeiter:innen und stößt jährlich knapp acht Millionen Tonnen CO2 aus. Zusammen mit den dazugehörigen Heizkraftwerken und Kokereien sind es sogar über 16 Millionen Tonnen und damit mehr als die gesamten CO2-Emissionen Berlins.

Vor allem Stahlwerke sind unter den "Dirty Thirty" in Deutschland. (Bild: Anita Drbohlav/​WWF)

Thyssen-Krupp führt damit die Liste der 30 klimaschädlichsten Fabriken in Deutschland an, die das Öko-Institut im Auftrag der Umweltstiftung WWF aufgestellt hat. Die Plätze eins bis 13 der "Dirty Thirty" werden allesamt von der Stahlindustrie belegt, gefolgt von Werken der Zement- und Chemieindustrie.

"Viele Jahre stand die Energiewirtschaft allein im Fokus der Klimaschutzpolitik und alle anderen Sektoren in ihrem Schatten", sagte Viviane Raddatz, beim WWF zuständig für Klima- und Energiepolitik. Das soll sich mit der frisch veröffentlichten Analyse ändern.

Die Energiewirtschaft ist tatsächlich der einzige Sektor, der seine Treibhausgasemissionen deutlich senken konnte – um 36 Prozent zwischen 2013 und 2021. Der Kohleausstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien haben das erreicht.

Zwar läuft auch der Energiesektor inzwischen seinen Klimazielen hinterher, aber genauso viel Aufmerksamkeit brauchen die anderen Sektoren – und gerade eben der Sektor mit den zweithöchsten Emissionen, die Industrie.

Emissionshandel versagt bei der Industrie

Seit 15 Jahren bleiben die Industrie-Emissionen weitestgehend konstant. Immer mal wieder gebe es ein krisenbedingtes Auf und Ab, erklärte Raddatz vom WWF. Strukturelle und permanente Emissionsminderungen würden hingegen fehlen.

Etwa ein Viertel der deutschen Gesamtemissionen stammt aus dem Industriesektor. Für ein Drittel davon beziehungsweise acht Prozent der Gesamtemissionen sind die "Dirty Thirty" verantwortlich. "Wenn man das Sektorziel der Industrie bis 2030 erreichen möchte, müssen die 30 größten Emittenten einen substanziellen Beitrag leisten", sagte Hauke Hermann vom Öko-Institut, Co-Autor der Analyse.

Der europäische Emissionshandel gilt auch für den Industriesektor. Unternehmen müssen also für jede verursachte Tonne CO2 Zertifikate kaufen. Damit gibt es einen finanziellen Anreiz, möglichst klimafreundlich zu produzieren – so die Idee.

Das Problem dabei: Einen großen Teil der Zertifikate bekommt die Industrie kostenlos zugeteilt. Damit sollen Wettbewerbsnachteile gegenüber internationaler Konkurrenz gering gehalten werden. Doch die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten untergräbt die grundlegende Logik des Emissionshandels

Im EU-Emissionshandel ist ein Ende der freien Zuteilung für 2034 vorgesehen. "Das ist zu spät", findet Viviane Raddatz. "Um Fehlanreize zu vermeiden, sollte zumindest die freie Zuteilung an Gegenleistungen geknüpft werden."

Der Industriesektor hat in der Tat keine Zeit zu verschenken. Um die Jahresemissionen auf 118 Millionen Tonnen CO2 zu senken und damit das Sektorziel bis 2030 zu erreichen, müssen die Emissionen bis dahin jedes Jahr um zehn Millionen Tonnen sinken.

Unvermeidbare Prozessemissionen?

Das ist leichter gesagt als getan. Stahl und Zement gelten als die am schwierigsten zu dekarbonisierenden Industrien. Doch es lohnt sich ein Blick ins Detail.

Der Energieverbrauch lässt sich auch in der Industrie elektrifizieren. Das größte Problem sind die sogenannten Prozessemissionen. Das sind Emissionen, die bei einem bestimmten Herstellungsprozess entstehen und deshalb nicht so einfach vermieden werden können.

 

Bei der Stahlherstellung muss zum Beispiel Eisenerz von Sauerstoff befreit werden. Dazu wird Koks verwendet. Der Sauerstoff verbindet sich mit dem kohlenstoffhaltigen Brennstoff und bildet CO2.

Statt Koks ließe sich aber auch Wasserstoff für den Oxidationsprozess verwenden. Dabei würde Wasserdampf und kein CO2 entstehen. Bisher gibt es jedoch noch viel zu wenig grünen – also mit Erneuerbaren produzierten – Wasserstoff.

Bereits heute sollte aber in Wasserstoff-kompatible Infrastruktur investiert werden, forderte Raddatz. Die jetzigen Investitionsentscheidungen werden die Industrie für die nächsten Jahrzehnte prägen.

Noch schwieriger sieht es bei der Zementproduktion aus. Beim Brennen von Zement wird das im Kalkstein gebundene CO2 freigesetzt. Das ist ein in der Zementherstellung unvermeidbarer Prozess, der den Großteil der CO2-Emissionen verursacht.

Industrie muss ihr Klimaschutz-Potenzial ausschöpfen

Doch auch hier gibt es mittlerweile verschiedene Möglichkeiten zur Reduktion. Karbonbeton statt Stahlbeton könnte zum Beispiel den Bedarf an Zement halbieren. Auch in der Nutzung alternativer Baustoffe wie Holz liegt großes Potenzial.

Und für die unvermeidbaren prozessbedingten Emissionen ist CCS – Carbon Capture and Storage, also das Abscheiden und Speichern von CO2-Emissionen – eine Option. Die Anwendung von CCS sollte sich laut WWF allerdings auf unvermeidliche Emissionen beschränken.

Branchenübergreifend können Elemente der Kreislaufwirtschaft den Ressourcenverbrauch und die Umwelteinflüsse verringern. Dazu zählen höhere Recyclingraten und Langlebigkeit von Produkten.

Entsprechende Anreize könnten von öffentlichen Auftraggebern kommen. 500 Milliarden Euro werden jedes Jahr über staatliche Aufträge ausgegeben. Bei der Vergabe dieser Aufträge werden Umweltstandards bisher jedoch kaum berücksichtigt.

 

Es gibt also durchaus Möglichkeiten, um auch die Industrie klimafreundlich zu transformieren. Und wer weiß, nachdem die Ampelkoalition eine Flexibilisierung des bestehenden Klimaschutzgesetzes beschlossen hat, liegt möglicherweise noch mehr Gewicht auf dem Industriesektor.

So sieht es auch Klimaexperte Hauke Hermann: "Wenn die Flexibilisierung bedeutet, dass im Verkehr noch weniger passiert und vielleicht auch die Energiewende verlangsamt wird, dann müsste das ja eigentlich von der Industrie aufgefangen werden."

So oder so, es wird höchste Zeit, dass die Industrie in die Puschen kommt und das Potenzial der ihr zur Verfügung stehenden Optionen ausschöpft.

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