Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, die Ampel-Parteien liegen klimapolitisch im Clinch. Die FDP blockiert nicht nur ein Tempolimit, sondern auch ein Einbauverbot für neue Gas- und Ölheizungen ab 2024 und das Verbrenner-Aus in der EU ab 2035, und sie verlangt ein beschleunigtes Bauen von Autobahnen. Wie ist so noch ein ehrgeiziger Klimaschutz möglich?

Matthias Willenbacher: Die FDP ist seit der letzten Bundestagswahl aus drei Landtagen ausgeschieden, zuletzt in Niedersachsen und Berlin. Als Konsequenz hat die FDP-Führung jedes Mal entschieden, sich in der Bundesregierung stärker zu profilieren, sprich Vorhaben der Grünen zu bremsen oder ganz aufzuhalten. Das Ergebnis waren immer weiter sinkende Zustimmungswerte. Inzwischen liegen die Umfragewerte auf Bundesebene bei fünf bis sechs Prozent.

Bei den Forderungen, die die FDP dann aufstellt, handelt es sich häufig um reine Symbolpolitik, die mit den tatsächlichen Entwicklungen nichts zu tun hat. Gute Beispiele dafür sind der Kampf gegen das Verbot von Verbrenner-Pkw auf EU-Ebene oder gegen das Verbot von neuen Gas- und Ölheizungen.

Faktisch alle Autohersteller planen auch ohne ein Verbot mit der vollständigen Umstellung auf Elektromobilität. Insofern hat der Markt bereits entschieden, wohin die Reise gehen wird.

Genauso wird es ab 2024 praktisch keine neuen Gas- oder Ölheizungen geben, die nachweislich mit 65 Prozent erneuerbaren Brennstoffen betrieben werden, wenn die gesetzliche Regelung wasserdicht genug formuliert ist. Der dafür notwendige Wasserstoff ist nie in ausreichenden Mengen verfügbar oder viel zu teuer – außer vielleicht in sehr teuren Insellösungen.

Auch Biogas ist nur begrenzt verfügbar und würde sich bei einer steigenden Nachfrage stark verteuern. Vor diesem Hintergrund läuft die 65-Prozent-Vorgabe auf ein faktisches Verbot hinaus.

Mit Wärmepumpen, Biomasse-Heizungen und erneuerbar betriebenen Wärmenetzen stehen die technischen Alternativen auch zur Verfügung. Kritisch ist hier eher die Verfügbarkeit von Komponenten und Handwerkern.

Da die FDP-Führung nicht lernfähig zu sein scheint und die selbstzerstörerische Blockadetaktik weiterführen will, sollten Grüne und SPD die Art und Weise der Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner überdenken.

So könnten die Grünen der FDP ihre kleinen symbolischen Siege lassen und sich im Gegenzug die für den Klimaschutz wirklich wichtigen Punkte sichern. Dazu gehören für mich das Klimageld und die Kindergrundsicherung, sozial ausgerichtete Förderprogramme für die Gebäudesanierung, zinsvergünstigte Kredite für den Erneuerbaren-Ausbau und noch einige andere.

Dass die europapolitische Dimension der Debatte über den Verbrennungsmotor die ganze Situation nochmal deutlich komplexer macht, möchte ich damit nicht infrage stellen.

Wirklich problematisch finde ich die Verweigerungshaltung der FDP gegenüber einer Weiterentwicklung unserer Art und Weise zu leben.

Auch hier ist die Mobilität ein bezeichnendes Beispiel. Alle Verkehrsexpert:innen sagen, dass wir nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, sondern auch für den Biodiversitäts-, Flächen- und Gesundheitsschutz weniger private Fahrzeuge und weniger Lkw-gebundenen Fernlieferverkehr benötigen werden.

Zusammengefasst: Zum einen vermittelt die FDP mit ihren Positionen zum Verbrenner oder zum Autobahnbau, es gäbe ein Weiter-so, und zum anderen, aus meiner Sicht noch schlimmer, okkupiert sie die öffentliche Mobilitätsdebatte mit völlig falschen Themen.

Und das ist schlichtweg verantwortungslos. Fortschritt bedeutet schließlich nicht nur technischen, sondern auch gesellschaftlichen Fortschritt.

Wegen sinkender Gas- und Strompreise werden die ursprünglich für die Energiepreisbremsen eingeplanten 200 Milliarden Euro nicht ausgeschöpft werden. Die Koalition streitet nun darüber, wofür sie frei werdende Mittel ausgibt. Was würden Sie mit dem Geld aus dem sogenannten "Doppelwumms" anfangen?

Vier Bereiche fallen mir sofort ein: Zinsvergünstigungen für Erneuerbaren-Investitionen, Professionalisierung der Bürgerenergie, ein "Worst first"-Finanzierungsinstrument und ein Beratungsprogramm für Kommunen.

Wir brauchen erstens einen staatlich garantierten Zinsdeckel bei einem Prozent für Investitionen in Windparks und Freiflächen-Solaranlagen, abgewickelt über die staatliche Förderbank KfW.

Der Zinsanstieg im letzten Jahr hat die Finanzierungskosten für solche Projekte zum Teil verdoppelt, und ein Ende ist nicht in Sicht. Hier mit immer weiteren Erhöhungen des Höchstpreises in den Wind- und Solar-Ausschreibungen zu reagieren, ist nicht sinnvoll.

Denn das treibt die Strompreise nach oben. Die Industrie braucht aber günstigen Strom, um wettbewerbsfähig zu sein. Außerdem ist es sozial gerechter, wenn die Steuerzahler:innen für die Zinsdifferenz aufkommen und nicht die einkommensschwachen Menschen.

Wir brauchen zweitens eine Professionalisierung der Bürgerenergie. Bürgerenergie sichert die Teilhabe der Menschen an der Energiewende und erhält und stärkt die Zustimmung der Menschen. Deshalb brauchen wir deutlich mehr Bürgerenergieprojekte. Dafür ist eine Beratungsstruktur erforderlich für Bürgergesellschaften, die mit hauptamtlichen Mitarbeiter:innen mehr und größere Projekte realisieren wollen.

Bis sich diese Beratungsstruktur durch Rückzahlungen aus erfolgreichen Projekten selbst trägt, braucht es für die die ersten drei bis fünf Jahre eine staatliche Anschubfinanzierung.

Wir brauchen drittens ein Finanzierungsinstrument, um das "Worst first"-Prinzip bei der Gebäudesanierung umsetzen zu können, also die am schlechtesten gedämmten Gebäude – darunter viele Einfamilien- oder kleine Mehrfamilienhäuser – als erste zu sanieren.

Leider wohnen in diesen Gebäuden sehr häufig Menschen mit einem geringen Einkommen, ohne Ersparnisse oder in einem hohen Alter. Gar nicht so selten treffen alle drei Merkmale zu.

Da zinsgünstige Kredite wegen "fehlender Kreditwürdigkeit" nicht ankommen, mögliche Mieten nicht wirklich erhöht werden können und selbst Förderraten von 50 Prozent und mehr nicht reichen würden, muss es eine intelligent gestaltete staatliche Absicherung oder Bürgschaft geben.

Wir brauchen viertens ein Beratungsprogramm für Kommunen. Die Energiewende findet vor Ort statt. In Anbetracht der zu erreichenden Ausbauziele müssen die Kommunen in die Lage versetzt werden, selbst eine aktive Rolle zu übernehmen.

Im Idealfall betreiben die Kommunen selber die Flächensicherung. Sie sorgen in professionell begleiteten Beteiligungsprozessen dafür, dass die Bürger:innen in die vorbereitende Projektplanung einbezogen werden, dass ihre Fragen und Bedenken offen diskutiert und wo möglich ausgeräumt werden. Sie suchen sich Projektierer aus, für die die finanzielle Teilhabe der Bürger:innen und der Kommune sowie die örtliche und regionale Wertschöpfung ebenfalls wichtig sind.

Damit Kommunen diesem Idealbild in kürzester Zeit nahekommen können, benötigen sie ein breites Unterstützungsangebot aus Expert:innen der verschiedensten Fachrichtungen, finanziert durch den Bund in Zusammenarbeit mit den Ländern. Bei Bedarf kann dieses Angebot natürlich auch um alle Aspekte der kommunalen Wärmeplanung ergänzt werden.

Dafür würde sogar ein Bruchteil von einem einfachen "Wumms" ausreichen. Für den Rest müsste ich ein wenig länger nachdenken. Ich bin aber sicher, dass viele andere kluge Menschen auch sofort vier kluge Vorschläge parat haben.

2023 wird das Jahr der "Feinsteuerung" bei der Energiewende, hat Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen beim Kongress der Energiegenossenschaften angekündigt. Bei der Umsetzung EU-rechtlicher Vorgaben zum Energy Sharing zeigt er sich jedoch sehr zurückhaltend und verlangt einen Nutzennachweis. Wie bewerten Sie das?

Zuerst muss man sagen, dass Staatssekretär Graichen das Energy Sharing zu klein denkt. Auch auf der Veranstaltung nannte er nur den Mieterstrom als Beispiel. Dabei zeichnet Energy Sharing gerade die Nutzung des öffentlichen Netzes aus. Und das muss nicht nur das öffentliche Netz zwischen zwei Hausaufgängen sein. Energy Sharing kann natürlich auch für andere Stromverbraucher in der Nähe und sogar in weiterer Entfernung sinnvoll sein.

Tatsächlich gibt es den Nutzennachweis bereits. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung hat in einer Potenzialanalyse für das Bündnis Bürgerenergie gezeigt, dass 42 Prozent der für 2030 angestrebten installierten Leistung erneuerbarer Energien durch Energy Sharing realisiert werden können. Die Annahme war, dass Menschen, die im Umkreis von bis zu 50 Kilometern um die Anlagenstandortgemeinde wohnen, sich an der Anlage beteiligen und von dort Strom beziehen können.

Außerdem wurde nachgewiesen, dass die Stromnetze entlastet werden, wenn durch eine gezielte Förderung der zeitgleiche Verbrauch der Energy-Sharing-Beteiligten mit "ihren" Anlagen angereizt wird.

Staatssekretär Graichen hat andererseits erwähnt, dass er für Vorschläge offen ist. Was wohl auch bedeutet, dass das Wirtschaftsministerium selbst keine machen wird. Das Bündnis Bürgerenergie und der Bundesverband Erneuerbare Energie arbeiten deshalb gemeinsam mit einem breiten Verbände- und Unternehmensbündnis an einem ausformulierten Gesetzesvorschlag. Die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Ingrid Nestle, hat auf derselben Veranstaltung die Eckpunkte des Vorschlags lobend erwähnt.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Bundeswirtschaftsminister Habeck hat angekündigt, die Erlösabschöpfung Mitte des Jahres auslaufen zu lassen. Aufgrund der niedrigen Strompreise an der Börse, die nun wieder auf dem Niveau vor dem Ukraine-Krieg sind, ist das aber nur die logische Folge. Allerdings war das auch schon beim Inkrafttreten absehbar.

Das Ansinnen, absurd hohe Gewinne bei einigen Marktteilnehmern abzuschöpfen, war ja nachvollziehbar. Aber das gewählte Instrument war einfach das falsche. Viele können sich gar nicht vorstellen, wie viel Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen durch die Diskussionen im zweiten Halbjahr 2022 verloren gegangen ist. Das nächste Mal bitte den Weg über die Gewinnsteuern nehmen. Das ist gerecht, einfach und zielgenau.

Oder noch besser: Die Strompreise erst gar nicht in diese Dimensionen steigen lassen!

Die Lösungen sind ja bekannt: Der Ausbau der Erneuerbaren muss mit "Tesla-Tempo" oder "LNG‑Terminal-Geschwindigkeit" erfolgen. Überschüssiger Wind- und Solarstrom muss schnellstens in Wärmenetzen und Speichern genutzt werden, um Brennstoffe zu sparen. Biogas darf nur in Zeiten von wenig Wind und Sonnenschein verstromt werden.

Und ganz wichtig ist, dass der Anreiz geschaffen wird, den Verbrauch dem Angebot anzupassen – über Smart Meter und entsprechende Tarife.

Fragen: Jörg Staude

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