Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).
Klimareporter°: Herr Sladek, im neuen EU-Parlament werden mehr Klimaleugner sitzen, trotzdem gibt es Chancen, den "Green Deal" weiterzutreiben, sagen viele. Denn bei dem Projekt gehe es nicht nur um Klimaschutz, sondern vor allem um die wirtschaftliche Entwicklung Europas. Wie sehen Sie die Zukunft der europäischen Klima- und Energiepolitik?
Sebastian Sladek: Mit den neuen Verhältnissen ist es auf jeden Fall nicht leichter geworden, ambitionierte Klimapolitik durchzubringen. Der Wahlkampf der Konservativen, die nun plötzlich wieder ihr Herz für das Verbrennerauto entdeckt haben, hatte den Ton bereits vorgegeben.
Und als Kommissionspräsidentin von der Leyen am Wahlabend nach der Zukunft des "Green Deal" befragt wurde, bekannte sie sich zwar klar dazu, allerdings nicht ohne zweimal das Floskelwort "technologieoffen" zu betonen.
Das Wort kommt zum Einsatz, wenn sich Interessengruppen an eine Technologie klammern wollen, die unter wirtschaftlichen oder Effizienz-Gesichtspunkten sonst keine Chance hätte. Möglicherweise wurde hier schon mit einem dicken Zaunpfahl in Richtung Autoindustrie gewunken.
Dass der Green Deal als Ganzes beerdigt wird, erwarte ich nicht. Die Klimaleugner werden keine Mehrheit haben. Auch sind unter den Rechtsextremen durchaus nicht alle Klimaleugner wie die AfD.
In der nächsten Legislaturperiode des EU-Parlaments wird es jedoch stark darum gehen, wie die Ziele erreicht werden. Da sehe ich durchaus die Gefahr, dass trotz aller Bekenntnisse zum Klimaschutz konkrete Maßnahmen derart aufgeweicht, verwässert und verschleppt werden, dass jede Zielerreichung in weite Ferne rückt.
Bezüglich der Energiewende mache ich mir nicht die größten Sorgen: Erneuerbare Energien haben einen unbestreitbaren Kostenvorteil und die Disruption ist längst im Gange.
Schwieriger wird es bei allem, wo nicht unmittelbar eine Industrie profitiert. Für das Naturwiederherstellungsgesetz oder eine naturverträgliche Agrarpolitik zum Beispiel wird die Luft wohl noch dünner. Um so wichtiger ist es, dass die Zivilgesellschaft ein wachsames Auge auf die Vorgänge in Brüssel hat und Klimaschutz offensiv einfordert.
Starke Stimmenverluste erlitten in Deutschland die Grünen bei den Europawahlen, aber auch bei den Kommunalwahlen. Warum stößt die Klima- und Energiepolitik der Grünen derzeit auf so wenig Zustimmung?
Ich glaube, hier muss man differenzierter herangehen. Die Wahl war keine direkte Abstimmung über die Klima- und Energiepolitik der Grünen in Deutschland.
Auch sind die knapp zwölf Prozent der Grünen immer noch rund doppelt so viele Prozentpunkte wie bei der FDP oder dem BSW. Interessanterweise stellt hier niemand die Frage, warum beispielsweise die Finanzpolitik der FDP – Stichwort Schuldenbremse – auf so wenig Zustimmung stößt.
Natürlich haben die Grünen an Stimmen eingebüßt und eine gründliche Analyse ist unumgänglich. Es lässt sich derzeit allerdings nur spekulieren, woran genau es gelegen hat.
Ich denke, dass Fehler der Grünen und offene wie versteckte Desinformationskampagnen eine Rolle gespielt haben. Zudem ist spürbar, dass wir uns in Deutschland aktuell in einer Phase befinden, wo Parteien mit rückwärtsgewandter Politik mehr Zuspruch von Bürgerinnen und Bürgern erhalten als Parteien, bei denen das Thema Transformation auf der Agenda steht.
Dieses Phänomen kennen wir aus anderen europäischen Ländern. Zum Beispiel in Schweden, wo Rechtspopulisten in den vergangenen Jahren quasi mitregiert haben. Dort scheint das Pendel nun wieder in die andere Richtung zu schlagen. Bei der Europawahl haben in Schweden vor allem progressive Parteien, die für mehr Klimaschutz eintreten, gegenüber den Rechtspopulisten hinzugewonnen.
Veränderungen sind unbequem, aber beim Klimaschutz notwendig und unumgänglich. Und viele Menschen hierzulande mögen in Zeiten der Polykrisen gewisse Probleme und Zusammenhänge einfach verdrängen, vermute ich.
Das ist zu einem gewissen Grad normal und verständlich, vielleicht sogar gesund, wenn auch allenfalls kurzfristig. Denn den Kopf in den Sand zu stecken, wie es Rechtsextreme und Populisten in Deutschland gerne tun, den menschengemachten Klimawandel zu leugnen oder einfach auf das Prinzip Hoffnung zu setzen, bringt uns definitiv nicht weiter.
Im Gegenteil: Dieses Problem zu verschleppen, führt mittel- bis langfristig unweigerlich zur weiteren Verschärfung der Situation.
Ein Blick zurück auf die Anti-Atom-Bewegung zeigt, was möglich ist: Selbst wenn es anfangs niemand für möglich gehalten hat, haben wir heute den Atomausstieg in Deutschland erfolgreich geschafft.
"Atomausstieg ist Handarbeit", hieß es immer wieder. Deshalb möchte ich allen Klimabewegten zurufen: Lasst uns nicht aufgeben! Einmal schütteln, aufrichten, nach vorne blicken und weiterhin engagiert für eine gute Zukunft einstehen.
Die Versicherungen haben Kostenschätzungen zum Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg vorgelegt. Eine Pflichtversicherung für Haushalte gegen Elementarschäden wird wahrscheinlicher. Sind von Hochwasser auch erneuerbare Stromanlagen wie Solarparks betroffen?
Zweifellos können – so wie Gebäude, Straßen oder landwirtschaftliche Flächen – auch Solarparks überschwemmt werden. Von den aktuellen Überflutungen sind allerdings vor allem private Photovoltaikanlagen betroffen – mitsamt Batteriespeichern und Wechselrichtern.
Risiken bestehen besonders in überfluteten Kellern, wenn dort Wechselrichter installiert sind und unter Spannung stehen. Wer in hochwassergefährdeten Gebieten lebt, sollte darauf achten, dass die Anlagen mit automatischen Ausschaltern bei eindringender Feuchtigkeit versehen sind.
Finanziell gegen die Schäden absichern können sich Hausbesitzer:innen über eine Photovoltaik-Versicherung als Ergänzung zur Gebäudeversicherung.
Solarparks werden bislang gegen Fluten geschützt, indem sie möglichst erst gar nicht in hochwassergefährdeten Gebieten errichtet werden. Bei großflächigen Überschwemmungen, wie sie zuletzt im Winter in Niedersachsen, im Mai im Saarland und im Juni in Bayern und Baden-Württemberg auftraten, sind allerdings auch Anlagen in höher gelegenen Regionen nicht vor den Fluten sicher.
Interessanterweise wird darüber diskutiert, den Bau von Freiflächen-Photovoltaik in Überschwemmungsgebieten zu ermöglichen. Erst letztes Jahr sprach sich der Bundesrat dafür aus.
Bisher ist der Bau von Solarparks in Überschwemmungsgebieten kaum möglich. Befürworter argumentieren jedoch, dass es keinerlei Gründe des Hochwasserschutzes dagegen gibt. Der Boden wird durch Solar-Freiflächenanlagen nicht versiegelt und auch der Abfluss von Hochwasser ist nicht beeinträchtigt.
In Euskirchen bei Köln wird darüber verhandelt, Hochwasserschutz im Solarpark zu ermöglichen, indem unter den Modulen ein Rückhaltebecken angelegt wird.
Für die Sicherheit ist aber klassischer Hochwasserschutz durch den Ausbau von Rückhaltebecken und Dämmen und durch mehr Überflutungsgebiete unerlässlich – das gilt natürlich auch für die Sicherheit unserer Energiesysteme.
Die Energiewirtschaft rechnet damit, dass die Finanzierung der Energiewende in Deutschland Investitionen von rund 1,2 Billionen Euro allein bis 2035 erfordert. Aus der Branche selbst kam dazu der Vorschlag, einen staatlich unterstützen Energiewende-Fonds einzurichten, der gerade auch privates Kapital mobilisieren soll. Halten Sie das für den richtigen Weg?
Keine Frage – für die Energiewende müssen viele Gelder mobilisiert werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese Investitionen tätigen müssen, wollen wir unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt hinterlassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 eindeutig geurteilt: Klimaschutz sichert die Freiheit kommender Generationen. Nichtstun löst keine Probleme und wird in Zukunft zu noch viel höheren Kosten führen.
Ich habe den Vorschlag für einen Energiewende-Fonds aufmerksam studiert. Ja, für die Energiewende wird es viele private Investitionen brauchen. Diese über einen zusätzlichen Mechanismus anzuregen, halte ich für absolut richtig.
Allerdings wirft der Vorschlag einige Fragen bei mir auf. Wie kostspielig wird es sein, die vorgeschlagene Fonds- oder Vermögenverwaltungsgesellschaft einzusetzen? Nach welchen Kriterien wird die Gesellschaft die zu fördernden Projekte auswählen? Werden auch von Banken als riskanter bewertete Energiewende-Projekte gefördert, wie neue Wärmenetze? Hier kommt es auf die richtige Ausgestaltung an.
Wir fordern als EWS stattdessen ein bundesweites Bürgschaftsprogramm für Energiewende-Projekte. Als Blaupause dafür kann dem Bundesgesetzgeber das in Schleswig-Holstein beschlossene Bürgschaftsprogramm für neue Wärmeprojekte dienen. Das Programm umfasst zwei Milliarden Euro als Absicherung, wobei lediglich von einem Ausfallrisiko von ein bis zwei Prozent ausgegangen wird.
Das Instrument der Bürgschaften ist absolut zielführend. Es ist mit kleinstmöglichem Aufwand verbunden, beinhaltet ein vergleichbar geringes Risiko für den Staat und reduziert aufgrund der besseren Sicherheit unmittelbar die Finanzierungskosten durch bessere Zinsbedingungen für Energiewende-Projekte.
Ich empfehle daher die Einrichtung einer bundesweit analogen Regelung mit entsprechend aufgestocktem Absicherungsvolumen für Stadtwerke, Genossenschaften und Bürgerenergie. Denn es braucht gerade diese Akteure aus dem Mittelstand, um die Infrastruktur für eine klimaneutrale Energieversorgung auch im ländlichen Raum aufgebaut zu bekommen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Die EU-Wahlergebnisse halten viele, oft nicht wirklich überraschende, aber doch bemerkenswerte Unterpunkte bereit: wie die Jugend abgestimmt hat, wie groß der politische Graben zwischen Stadt- und Landbevölkerung geworden ist, wie die vielen kleinen Parteien von der Schwäche der Großen profitiert haben, ohne wirklich profitieren zu können.
Und wie wenig Klimaschutz im Wahlkampf und in der medialen Berichterstattung eine Rolle gespielt hat, obwohl sich die Klimakrise überall und überdeutlich manifestiert und buchstäblich ganze Landesteile abgesoffen sind. Wir sind immer noch dabei, das alles zu verarbeiten.
Und auch das mag keine wirkliche Überraschung sein, doch bemerkenswert ist es auf jeden Fall: Wollen und Bereitschaft unserer Gesellschaft sind heute weit entfernt von dem, was sich noch bei der Bundestagswahl 2021 manifestiert hat – und darauf muss sich die Klimaschutzbewegung einstellen.
Fragen: Jörg Staude