Geht es um klimafreundliches Fliegen, werben Airlines vor allem mit neuen Kraftstoffen. Für die hat die Branche auch einen schönen Begriff: "Sustainable Aviation Fuels" (SAF).
Unter die "nachhaltigen" Flugzeugtreibstoffe fällt Biokerosin – das wie der umstrittene Biosprit aus Energiepflanzen oder Abfällen gewonnen wird – genauso wie "grüner" Wasserstoff oder daraus synthetisierte E-Fuels. Sparen SAF gegenüber fossilem Kerosin mindestens zehn Prozent CO2 ein, labelt sie die Branche schon als "nachhaltig".
Ab Januar 2025 soll der an europäischen Airports getankte Treibstoff einen SAF-Mindestanteil von zwei Prozent aufweisen. Das ist der Plan der EU-Kommission. Bis 2050 soll der Anteil auf 63 Prozent steigen.
Mitte des Jahrhunderts, wenn die Welt klimaneutral sein soll, muss die Luftfahrt offenbar also noch jede Menge fossiles Kerosin verbrennen. Gleichzeitig senken selbst E-Fuels die Klimawirkung der Flugzeuge nur um etwa ein Drittel.
Die anderen zwei Drittel resultieren aus sogenannten Nicht-CO2-Effekten. Dabei geht es um Stickoxide, Partikel und vor allem um den Wasserdampf, der die berühmten Kondensstreifen bildet. Diese entstehen auch beim Verbrennen von "grünem" Kerosin.
Der alternative Treibstoff verursacht allerdings geringere Klimaeffekte als fossile. Darauf weist Anthony Patt hin, Klimaprofessor an der ETH Zürich. Die Nicht-CO2-Emissionen seien in der Atmosphäre kurzlebiger als CO2. Auch könnten viele der Nicht-CO2-Effekte größtenteils reduziert werden, indem Flugrouten entsprechend den atmosphärischen Bedingungen und der Wolkenbildung gewählt werden, meint Patt.
Ohne negative Emissionen keine Netto-Null im Luftverkehr
Dennoch werden 2050 jede Menge klimarelevante Emissionen durch den Luftverkehr übrigbleiben. Die sollen dann kompensiert werden. Derzeit am beliebtesten ist dafür bei den Airlines das sogenannte Offsetting. Dabei werden die Emissionen durch Zertifikate aus Klimaprojekten wie etwa Aufforstungen ausgeglichen. Diese billigen Credits von äußerst fragwürdiger Qualität bringen aber dem Klima nichts, kritisiert Jakob Graichen vom Berliner Öko-Institut.
Dies ist die Ausgangslage für eine jetzt im Fachblatt Nature Sustainability veröffentlichte Studie zu Netto-Null-Emissionen im Flugverkehr.
Forscher aus den USA und Deutschland analysierten dazu das künftige Flugaufkommen, die Energie- und CO2-Intensität der Treibstoffe sowie das Potenzial der SAF und ermittelten, wie viel "negative Emissionen" der Luftverkehr zum Kompensieren braucht.
Wird die Nachfrage nach Flügen sehr ehrgeizig verringert, könnten bis 2050 mehr als 60 Prozent der Emissionen eingespart werden, so ein Ergebnis der Studie. Auch eine stark verbesserte Energieeffizienz würde helfen und könnte mehr als ein Viertel der Klimawirkung "wegnehmen".
Beides ist im Vergleich zu sogenannten Business-as-usual-Szenarien gerechnet, in denen es keinen konsequenten Klimaschutz gibt.
Flugnachfrage und Verbrauch müssten extrem sinken
Ohne die extremen Annahmen zu Nachfragerückgang und Effizienzsteigerung wäre es notwendig, die globale Biotreibstoffproduktion zu verdoppeln, um den Bedarf im Jahr 2050 zu decken, kritisiert Jakob Graichen die in der Studie gewählten Bedingungen.
Je nachdem, wie ehrgeizig die Klimapolitik ist, müssten laut der Studie 2050 noch immer zwischen 200 Millionen und sogar 3,4 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Netto-Null zu erreichen.
Zum Vergleich: 2019 emittierte der globale Flugverkehr laut der Internationalen Energieagentur IEA rund eine Milliarde Tonnen CO2 sowie mehr als 1,7 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent aus den Nicht-CO2-Effekten.
Für die Gegenwart wie auch die Zukunft gilt offensichtlich: Nur Nicht-Fliegen ist wirklich klimaneutral.
Entscheidend für viele Fachleute ist vor allem die Frage, was zu tun ist, damit 2050 möglichst wenig Klimagase "übrig" bleiben. Eine sofortige CO2-Senkung würde erreicht, wenn die Subventionen des Luftverkehrs beendet würden, vor allem die Befreiung von der Kerosinsteuer und der Mehrwertsteuer auf internationalen Strecken, betont Graichen.
"Auch eine Verknappung von Slots an Flughäfen, zum Beispiel durch Nachtflugverbote, die diesen Namen wirklich verdienen, würde den Luftverkehr reduzieren", sagt der Klimaexperte. Hilfreich sei auch ein Verbot von Kurzstreckenflügen, allerdings stamme der allergrößte Teil der Emissionen aus der Mittel- und Langstrecke.
Dem Luftverkehrsforscher Stefan Gössling von der Linné-Universität im schwedischen Kalmar ist die Studie zu hypothetisch. Der Fokus liege zu sehr auf der CO2-Entnahme. Die sei aber teuer und technisch äußerst unsicher. "Diese Vorschläge verschieben die Lösung in die Zukunft – ohne dass wir wissen, ob es diese Lösungen geben wird."
Business Class mit dreifacher Klimawirkung
Gössling geht in der Gegenwart radikaler an die CO2-Senkung heran und plädiert für eine Kerosin-Besteuerung von 300 Euro pro Tonne CO2. 100 Euro pro Tonne entsprächen dem unteren Wert der Klimakosten, so Gössling, und dieser Preis müsse mit drei multipliziert werden, weil die Nicht-CO2-Effekte etwa dreimal mal so stark sind wie die CO2-Effekte.
Zudem müssen die Fluggesellschaften aus seiner Sicht gezwungen werden, die teureren SAF zu nutzen. "Jährlich müssten vier Prozent mehr erneuerbare Treibstoffe vertankt werden, um bis 2050 die fossilen Energieträger komplett ausgetauscht zu haben", rechnet Gössling vor.
Der Forscher weist zudem auf die soziale Schieflage beim Fliegen hin. "Ein Prozent der Menschheit ist für 50 Prozent der Emissionen aus dem Flugverkehr verantwortlich – das sind die Vielflieger."
Auch deswegen ist Gössling dafür, die Premium-Klassen stärker zu besteuern. Nach Angaben der Weltbank benötigt ein Sitzplatz in der Business Class dreimal so viel Fläche wie einer in der Economy Class, verursacht also die dreifachen Emissionen. Ein Erster-Klasse-Platz kommt danach sogar auf das Sechs- bis Neunfache.
Gössling hält es auch für angebracht, Werbung zu verbieten, die suggeriere, die Branche habe die Umweltprobleme gelöst. "Die Airlines sind aktiv wie nie, um sich selbst als grün zu bewerben. Dafür gibt es keinerlei Belege, die absoluten Emissionsmengen steigen kontinuierlich", stellt er klar.