Sebastian Sladek. (Bild: Bernd Schumacher)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).

Klimareporter°: Herr Sladek, die Stadtwerke überlegen gerade, wie ihre Wärmeerzeugung klimaneutral wird – mit grüner Fernwärme oder Abfallwärme, mit Wärmepumpen, auch mit Biogas oder Wasserstoff. Was raten Sie den Kommunen, in die Wärmepläne zu schreiben?

Sebastian Sladek: Es gibt nicht die eine Lösung für alle. Jede Kommune, jede Region hat ihre individuelle Ausgangssituation und unterschiedliche Potenziale. Diese gilt es genau unter die Lupe zu nehmen.

Wichtig dabei ist, dass die kommunale Wärmeplanung nicht nur als Wärmeplanung verstanden wird, sondern als eine Art integrierte Energieleitplanung, wo auch nach links und rechts geschaut wird.

Es bringt ja nichts, wenn ich nur auf die Wärmeversorgung schaue und den Leuten empfehle, sich Wärmepumpen zuzulegen, dabei aber übersehe, dass das örtliche Stromnetz gar nicht in der Lage sein wird, die schnell wachsende Stromnachfrage durch Wärmepumpen abzudecken.

Ich bin fest überzeugt, dass die Wärmepumpe in der künftigen Wärmeversorgung eine ganz entscheidende Rolle spielen wird. Aber sie wird ein Bestandteil sein neben anderen Technologien, die wir für eine ganzheitliche Wärmeversorgung brauchen.

Wir bei EWS sehen vor allem in Wärmenetzen einen cleveren Ansatz, um gerade auch ländliche Regionen schnell zu dekarbonisieren. Wärmenetze haben den Vorteil, dass sie die Integration sehr unterschiedlicher Technologien ermöglichen.

Im Südschwarzwald zum Beispiel setzen wir auf regionale, nachhaltige Biomasse, Solarthermie und Abwärme, um die Wärmeversorgung klimaneutral zu stellen.

Von Kolleginnen und Kollegen aus München weiß ich, dass dort die Geothermie eine gewichtige Rolle spielt, während sich in Hamburg die Integration von Flusswärmepumpen über ein Wärmenetz anbietet.

Skeptisch bleibe ich hingegen bei der Nutzung von Wasserstoff für Wärmezwecke. Grüner Wasserstoff wird dauerhaft ein sehr knappes Gut sein. Es sollte wirklich nur dort eingesetzt werden, wo Alternativen rar sind.

2023 kommt Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren besser voran, vor allem Photovoltaik boomt. Das verkraftet das Stromnetz aber nicht. Immer häufiger kommt es zu Netzengpässen, die durch sogenannten Redispatch gelöst werden müssen.

Für den dabei abgeregelten Strom erhalten die Erzeuger eine Entschädigung, die Milliardenkosten dafür müssen aber die Stromkunden über die Netzentgelte tragen – eine Folge sind wiederum höhere Strompreise. Müssen wir damit die nächsten Jahre leben?

Die letzte größere Strommarktreform fand 2013/2014 statt. Damals verständigte sich die Politik darauf, weiter an der Fiktion der "Kupferplatte" festzuhalten – dass also jede Kilowattstunde Strom immer überallhin verkauft werden kann. Dementsprechend wurde dem Netzausbau höchste Priorität eingeräumt.

Die letzten zehn Jahre zeigten jedoch schlussendlich: Diese Wette ist nicht aufgegangen und wird auch nicht mehr aufgehen. Der Netzausbau hinkt schlicht und ergreifend viel zu stark hinterher.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es braucht einen massiven Netzausbau. Ohne diesen wird die Energiewende nicht gelingen. Wir sollten uns aber nicht mehr allein auf diesen Ausbau verlassen, sondern jetzt viel mehr die dezentralen Optimierungspotenziale ausschöpfen.

Dafür braucht es jetzt ein Strommarktdesign, das für die Hebung lokaler Flexibilitäten, aber auch Anreize für die Etablierung lokaler Versorgungsmodelle wie zum Beispiel Energy Sharing setzt.

Zur Frage der Kostenexplosion beim Redispatch hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in unserem Auftrag gerade eine Kurzstudie vorgelegt.

Deren Empfehlungen sind eindeutig: Ohne eine zügige Reform der Netzentgelte, die nachfrageseitige Flexibilität belohnt und bessere Signale zu Standortentscheidungen für Erneuerbaren-Anlagen setzt, und ohne eine Anpassung der deutschen Strompreiszone wird uns das System über kurz oder lang um die Ohren fliegen.

Wenn die Bundesregierung das jetzt anpackt, lassen sich die völlig aus dem Ruder gelaufenen Kosten des Redispatch-Systems – und damit die wachsende, einseitige Kostenbelastung der Verbraucherinnen und Verbraucher über die Netzentgelte – auch in den Griff bekommen.

Klimaschutz ist zuletzt wieder ein Kulturkampf-Thema geworden, bedauert die renommierte Klimaforscherin Friederike Otto im Interview mit Klimareporter°. Diejenigen, die in der Politik wirklich etwas zu sagen haben, scheinen vergessen zu haben, dass es dabei um nichts Geringeres geht, als die Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen, kritisiert Otto. Wie kann die offensichtliche Spaltung der Gesellschaft beim Klimaschutz überwunden werden?

Auf diese Frage gibt es leider keine einfache und auch nicht nur eine Antwort.

Anfang des Monats hatten wir dazu in der "Langen Nacht des Klimas" in Berlin eine interessante Diskussion mit dem französischen Soziologen Nikolaj Schultz und der Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Schultz hat mit Bruno Latour das Buch "Zur Entstehung einer ökologischen Klasse" geschrieben. Er plädiert darin für eine starke, anschlussfähige Erzählung, hinter der sich alle versammeln können.

Das ist tatsächlich etwas, was ich oft vermisse: Es wird viel zu oft über das gesprochen, was wegfällt, und viel zu wenig über das, was wir zu gewinnen haben: saubere Luft zum Atmen, kostengünstige Energie, die weder die Atmosphäre verschmutzt noch das Weltklima aufheizt, Städte ohne Unfalltote und mit ganz viel Platz für Begegnung und Stadtgrün ...

Das ist doch etwas, was sich jeder Mensch gefallen lassen würde. Ich vermisse eine Regierung, die selbstbewusst und klar kommuniziert: "Wir verändern die Dinge zum Besseren! Da ist das Ziel, so wollen wir dort hinkommen, und so profitieren alle davon."

Leider sehe ich jedoch, dass das negative campaigning nach dem Vorbild der US-amerikanischen Republikaner auch hierzulande immer stärker verfängt.

Auch die Unionsparteien erliegen in ihrer Oppositionsrolle verstärkt der populistischen Verlockung, wie die letzten Wochen zeigen. Die Angst vor Veränderung wird vom Rechtspopulismus gezielt instrumentalisiert, und das durchaus mit Erfolg.

Nur ein Beispiel: Im EWS Energiewende-Magazin hatten wir einen Artikel über die Vision der Fünfzehn-Minuten-Stadt. Und dann schreiben uns Kundinnen und Kunden, denen das Angst macht, weil rechte Verschwörungserzählungen dies als Dystopie der totalen Überwachung geframt haben.

Erschreckend große Teile der Bevölkerung sind mittlerweile nicht mehr mit wissenschaftlichen Fakten zu erreichen, weil sie ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen offiziellen Instanzen haben und lieber alternativen Fakten glauben.

Die Erzählung einer angeblichen "Verschwörung" einer Elite ist für viele Menschen besser greifbar als die unbequeme Wahrheit der Klimakrise. Das entsprechende Des-Informationsangebot ist immer nur einen Klick entfernt.

Da wundert es dann nicht, wenn sich die Realität immer mehr wie im Film "Don't Look Up" anfühlt.

In meiner Wahrnehmung wird der "Kulturkampf" jedoch nicht nur zwischen gesellschaftlichen Fraktionen ausgetragen. Denn allen alternativen Fakten zum Trotz ist mindestens zu ahnen, dass der western way of life gescheitert ist. Insofern führt in den westlichen Demokratien letztlich jeder und jede Einzelne diesen Kampf auch oder vor allem mit sich selbst.

Entsprechend kann man den Vorwurf, das Notwendige zu versäumen, nicht ausschließlich der Politik oder einer Regierung machen. Die kann ja, sofern demokratisch gewählt, ohnehin immer nur ein Spiegel der Wähler sein.

Für den Anfang täte uns allen – Politik, Medien, Bürger – jedenfalls mehr Wahrhaftigkeit gut, glaube ich. Denn eins ist doch klar: Diesen Kulturkampf gewinnen oder verlieren nicht gesellschaftliche Gruppierungen. Diesen Kampf gewinnen wir als Gesellschaft – und als Menschheit – nur gemeinsam, oder wir verlieren ihn gemeinsam.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Auch wenn es vielleicht nur Optimisten wie mich noch überrascht hat – aber dass die Bundesregierung in dieser Woche den Klimaschutz endgültig beiseitegelegt hat, kam für mich tatsächlich überraschend, obwohl ich es wirklich besser hätte wissen können.

Nachdem schon das Klimaschutzgesetz durch das Aufweichen der verbindlichen Sektorziele an Wirkmächtigkeit eingebüßt hat, scheint sich das politische Berlin gedacht zu haben: Man kann doch den Gebäudesektor ruhig weiter seine Ziele reißen lassen. Eine Sanierungspflicht wird es nun nicht geben, auch der Energiesparstandard EH40 kommt nicht.

Damit nicht genug: Mit dem Klimageld, einem zentralen Element einer sozial gerechten Klimaschutzpolitik, ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu rechnen.

Wie immer muss das langfristige Ziel hinter kurzfristigen Gewinnen zurückstehen. Probleme werden weiter in die Zukunft verschoben.

Diese Ambitionslosigkeit steht in harschem Widerspruch zu den ursprünglichen Versprechungen der Koalition. So hätten wir auch einfach mit Angela Merkel und Peter Altmaier weitermachen können.

Für viele mag dieser bräsige Weiter-so-Kurs nicht wirklich überraschend sein. Angesichts der eskalierenden Klimakrise, deren rapides Voranschreiten selbst die Klimaforschung schockiert, ist er aber schlichtweg unverantwortlich.

 

Fragen: Jörg Staude