Michael Liesner-Düning. (Bild: privat)
 

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Liesner-Düning, Koordinator für Klima- und Energiepolitik beim Ökostrom-Versorger Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Liesner-Düning, nach der scharfen Kritik des Expertenrats am unzureichenden Klimaprogramm der Bundesregierung fordern jetzt 42 zivilgesellschaftliche Verbände Sofortmaßnahmen, um das Erreichen der Klimaziele und eine sozial gerechte Transformation zu sichern. Aber sind nach dem Desaster mit dem Gebäudeenergiegesetz von der Ampel-Regierung überhaupt noch klimapolitische Großtaten zu erwarten? 

Michael Liesner-Düning: Ich bin nicht sicher, ob es immer Großtaten sein müssen. Wir müssen Klimaschutz durchgehend und in allen Bereichen ernst nehmen. Vermeintliche Großtaten, wie das Gebäudeenergiegesetz eine hätte sein sollen, können kläglich scheitern, wie jetzt gesehen. Bringt es uns wirklich weiter, wenn wir nur in Großtaten denken? Der Bericht des Expertenrats fordert ja gerade auch ein schlüssiges Gesamtkonzept und nicht unbedingt Großtaten.

Persönlich finde ich das Ergebnis beim Gebäudeenergiegesetz zwar nicht toll, aber wenn man es sich nüchtern anschaut, läuft eigentlich alles auf die Wärmepumpe hinaus. Alles andere steht durchaus unter vielen Vorbehalten und Vorbedingungen. Ich würde vermuten, dass mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf die verbaute Heiztechnik in zehn Jahren keine großen Unterschiede aufweisen würde. 

Meines Erachtens ist eine Zeit gekommen, in der die Politik in den Keller und die Garage regiert. Diese Phase der Energiewende braucht eine vernünftige kommunikative Begleitung. Nötig sind schlüssige und zukunftsfähige Konzepte, die zu mehr Klimaschutz führen.

Beim Gebäudeenergiegesetz wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, den Gesamt-CO2-Ausstoß von Gebäuden zu betrachten: Was verbraucht der Bau oder die Renovierung – inklusive Dämmung und so weiter – und welchen CO2-Output hat dann mein Heizsystem? Manchmal ist es vielleicht besser, weniger zu dämmen und etwas mehr Strom zum Heizen zu verbrauchen. Manchmal könnte Dämmen sinnvoller sein.

Beim Verkehr als zweitem großen Problemsektor sind die Probleme vielschichtig. Ein Umstieg der individuellen Mobilität auf E-Mobilität wird kommen – ob mit oder ohne deutsche Hersteller, wird sich zeigen.

Wichtig wäre allerdings, dass wir die Verbrenner nicht eins zu eins mit E-Mobilen ersetzen. Wir brauchen ganz neue Ideen für unsere Mobilität. Da sehe ich gerade gar keine Konzepte oder Diskussionen, die in eine sinnvolle Richtung gehen.

Politisch würde ich mich mit den ganzen Detaildiskussionen über Technologieoffenheit und -neutralität gar nicht aufhalten. Es müssen die Rahmenbedingungen gesetzt werden, wie ein hoher CO2-Preis und Abschaffung von fossilen Privilegien, und dann regelt das der Markt. 

Auch in diesen nicht vom Emissionshandel regulierten Bereichen wird es noch Anpassungen geben müssen, die Alternative wären Strafzahlungen an die EU. Es dürfte politisch schwer zu begründen sein, wenn man für unterlassenen Klimaschutz Geld zahlen muss.

Kurz gesagt: Ein klarer Rahmen wäre wichtiger wäre als einzelne Großtaten.

Die Wohnungswirtschaft blockiert Balkonkraftwerke, beklagt Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe. Sie fordert mehr Mitspracherecht für Mieterinnen und Mieter und kann sich eine Aufnahme dauerhaft installierter Solarsteckgeräte in den Mietvertrag vorstellen. Würden Sie das auch gut finden?

Als Mieter kann ich mir solche Regelungen sehr gut vorstellen. Für ein Gelingen der Energiewende sind die Städte, und damit auch Vermieter und Mieter, sehr wichtig. Alle Versuche in Deutschland, die Mieter sinnvoll an der Energiewende zu beteiligen, sind bisher gescheitert.

Wenn Balkonkraftwerke eine Einbindung ermöglichen, ist das gut. Aber Balkonkraftwerke kann auch nur nutzen, wer einen sonnenbeschienenen Balkon hat, alle anderen schauen vor die Wand. Für die Mieter braucht es etwas unbürokratisch und breit Einsetzbares – sowohl Mieterstrommodelle als auch Energy-Sharing-Modelle. Ohne diese Einbindung wird der Erfolg der Energiewende gefährdet.  

Den Klimawandel leugnen und Falschinformationen über die Energiewende verbreiten – das geschieht inzwischen in globalen Netzwerken. Eine Hauptstrategie ist dabei der Rufmord an Wissenschaftlerinnen oder Entscheidern, zeigt eine Studie. Das lässt sich auch in Deutschland beobachten. Wie sehen Ihre Erfahrungen mit solchen Anti-Klimaschutz-Strategien aus? 

Ich finde das Thema sehr bedrückend, weil ich oft an das Gute und Redliche im Menschen glaube. Obwohl ich weiß, dass das naiv ist.

Ich kenne Desinformationskampagnen vor allem im Kleinen. Ich habe viel mit Windenergie zu tun, wir haben bisher in jedem Projekt eine Bürgerinitiative, die sich gegen das Projekt stellt. Das sind häufig gar nicht viele Personen vor Ort.

Allerdings sind die bundesweit tätigen Initiativen sehr aktiv und verbreiten vor allem veraltete oder fehlerhafte Informationen. Da geht es um Schattenwurf, Befeuerung, Diskoeffekt oder Infraschall. Die Behauptungen sind selten ganz ohne Gehalt, aber immer überzeichnet und meist auch falsch in der Aussage.

Infraschall wird beispielsweise durch sehr vieles verursacht, auch durch Windkraftanlagen. Aber eben nicht so, dass Menschen bei den gesetzlich vorgegebenen Abständen negative Auswirkungen auf die Gesundheit zu befürchten hätten. Schattenwurf gibt es natürlich auch, allerdings ist geregelt, wie lange ein sich bewegender Schatten auf ein Grundstück fallen darf.

Und so weiter. Das Problem ist, dass man sagen muss: Ja, den Effekt gibt es, aber nicht so, wie es dargestellt wird. Das zu erklären, dauert fast immer länger, als solche Behauptungen aufzustellen. 

Meine "schönsten" Erlebnisse hatte ich immer mit den Vertretern von EIKE. Ich wurde in Gespräche über Windenergie verwickelt, was auf Energieveranstaltungen auch in Ordnung und wenig verdächtig war. Dann kamen allerdings sehr schnell die Klimawandelleugner zum Vorschein und erzählten das übliche Leugnergerede.

Wirklich schlimm war die Penetranz dieser Vertreter. Auf die klare Ansage, dass ich Geografie studiert habe, den Klimawandel als Realität ansehe und keine Lust habe, das Gespräch fortzuführen, blieben die EIKE-Vertreter einfach stehen und redeten weiter. Leider haben die sehr viel Zeit. Das fand ich schlimm.

Aber das Thema Lügen und Unwahrheiten ist eben nicht nur im Kleinen zu beobachten. Mir macht das wirklich große Sorgen. Der Einfluss auf die Politik ist insgesamt vermutlich schwer einzuschätzen. Doch in vielen Gesprächen mit Menschen, die mit Medien und Politik nicht jeden Tag zu tun haben, merkt man schnell, wie solche Dinge verfangen, ob es um Klima, Corona oder Krieg geht. Es gibt keine Filter mehr, auf die man sich gesellschaftlich verständigt.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überrascht hat mich in dieser Woche das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion zum Transformationsstrompreis. Nicht, dass es das Papier gibt, und natürlich auch nicht, dass die SPD diesen Industriestrompreis fordert. Für mich war es aber neu, dass sie auch einen Pool für Erneuerbare-Energien-Anlagen mit Differenzvertrag haben will. Aus Unternehmenssicht wäre das eine schlechte Entscheidung.

Wenn man grünen Strom vermarkten möchte, wird das durch die Umstellung der Förderung erschwert. In den Markt zu wechseln ist dann nicht mehr möglich. Die Förderung für erneuerbare Energien wird dann bis Mitte des Jahrhunderts zementiert. Zudem ist die Vermutung, dass die Förderung über Differenzverträge günstiger wird, tatsächlich eher eine Vermutung. Alles hängt sehr von den Annahmen ab, die man für die Berechnung trifft, und die sind keineswegs sicher.

Was schlecht gemachte Differenzverträge anrichten können, konnte man letztens gut in Großbritannien sehen, wo Vattenfall wenigstens eines seiner Offshore-Windprojekte nicht umsetzen wird. Diese contracts for difference sind höchst inflexibel und bringen für die weitere Marktintegration der erneuerbaren Energien nichts.

Die Einführung von Differenzverträgen ist mit dem Beschluss der SPD-Fraktion natürlich noch nicht Gesetz und ich habe die Hoffnung, dass das noch einmal überdacht wird. Grundsätzlich ist die Frage, ob wir im Energiemarkt eher darauf setzen, alles durchzuregulieren oder den Markt Signale setzen zu lassen. Diese Entscheidung sollte aber zügig gefällt werden. Denn Entscheidungen über Investitionen brauchen Verlässlichkeit.

Fragen: Jörg Staude