Die Energiewende kommt bei den Leuten an, wenn sie eine konkrete Beziehung dazu haben. (Bild: Jugendherberge Brilon)

Wenn sich Haushalte in einem Haus oder Quartier den selbst erzeugten Strom teilen, bringt dann so ein Energy Sharing auch wirklich etwas? Eine Analyse dazu stellte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) jetzt auf den Berliner Energietagen in einer Debatte zum Sharing vor.

Weil Energy Sharing hierzulande rechtlich noch nicht möglich ist, hatten sich die ISE-Forscher an der österreichischen "Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft" orientiert.

Seit 2017 ist es im Alpenland möglich, den Strom, der mit einer sogenannten "gemeinschaftlichen Erzeugungsanlage" auf einem Gebäude erzeugt wird, allen Bewohnern oder Mietern innerhalb des Gebäudes zur Verfügung zu stellen. An der Grundstücksgrenze oder am Netzanschlusspunkt ist dann Schluss.

Das Modell wandten die ISE-Forscher auf ein größeres Wohnquartier an, das einen jährlichen Strombedarf von etwa 6.500 Megawattstunden hat. Der Bedarf wird zu zwei Dritteln durch im Quartier erzeugte Photovoltaik gedeckt.

Eine übliche EEG-Förderung vorausgesetzt, würde selbst bei Anwendung des begrenzten österreichischen Modells der Preis für die Kilowattstunde um ein bis über drei Cent sinken, ergab die ISE-Analyse. Die zu zahlenden Netzentgelte wären nur halb so hoch. Auch würde der erzeugte Solarstrom durch das Community-Sharing um zehn Prozent besser ausgenutzt.

Bürgerenergie wirkt mitunter zu "abstrakt"

Auch den Bürgerenergie-Aktiven reicht ihr traditionelles Modell nicht mehr aus, erklärte Almut Petersen, Aufsichtsratschefin der Bürgerwerke eG, in der Energie-Debatte. Die Bürgerwerke bündeln die Energie aus rund 1.400 Anlagen von etwa 100 Bürgergesellschaften und versorgen bundesweit rund 40.000 Abnehmer.

Das funktioniere durchaus ähnlich wie bei anderen großen Versorgern, sagte Petersen. Auch bei den Bürgerwerken werde der Strom bundesweit erzeugt und verbraucht, von Anbietern eingekauft und im sogenannten Bilanzkreis ausgeglichen.

All das sei inzwischen ein wenig "abstrakt" geworden, bemerkte Petersen. "Vielleicht gehört Leuten die Anlage auf dem Dach der Schule mit, wo ihr Kind zur Schule geht – und dann möchten sie eben auch den Strom von dieser Anlage."

Bürgerenergie lebe doch davon, dass die Menschen direkt spüren, was sie machen, beschrieb Petersen die gefühlte Lage. "Energy Sharing kann die Bürger:innen nochmal neu einbinden. Das ist eine große Chance, neue Motivationen zu schaffen", meinte sie. Auch Projektierern würde Energy Sharing mehr Anreiz bieten, die Leute vor Ort einzubeziehen.

Die EU hat das Energy Sharing bereits 2019 in ihrer Erneuerbare-Energien-Richtlinie "RED II" verankert. Die EU-Staaten hätten die Richtlinie bis Mitte 2021 in eigenes Recht umsetzen müssen. Das ist in Deutschland bisher nicht geschehen.

Ampel lässt Energy Sharing links liegen

Es gibt lediglich eine Bundestags-Entschließung vom Juli 2022, in der ein Prüfauftrag an die Bundesregierung formuliert ist, Vorschläge für die Einführung von Energy Sharing im Rahmen der nächsten Gesetzgebungsprozesse zu unterbreiten.

Die Ampel-Regierung hat seitdem jede Menge Energiegesetze gemacht – zum Energy Sharing stand bisher nie etwas drin. Damit das Thema nicht völlig in der Versenkung verschwindet, gibt es jetzt ein neues Positionspapier, vorgelegt vom Bundesverband Erneuerbare Energie, dem Bündnis Bürgerenergie und dem Genossenschafts- und Raiffeisenverband.

Die drei Verbände schlagen darin vor: Am Sharing können sich Endverbraucher beteiligen, wenn sie in Postleitzahlgebieten wohnen, die ganz oder teilweise im Umkreis von 50 Kilometern um die Gemeinde liegen, in der die Erneuerbare-Energie-Anlage steht. Der bezogene Strom muss zwingend einen bestimmten Anteil aus dieser von einer Bürgergesellschaft betriebenen Anlage enthalten.

Der Stromverbrauch eines Sharing-Haushalts soll dabei viertelstündlich per Smart Meter bilanziert werden, auch um genau bestimmen zu können, welcher Anteil des Stroms aus der gemeinschaftlichen Anlage stammt.

Wegen des nötigen Einbaus solcher Smart Meter und weil Sharing-Modelle generell einen höheren Umsetzungsaufwand erfordern, plädieren die Verbände dafür, entweder die Stromnebenkosten für den geteilten Strom-Anteil zu senken oder das Teilen durch eine Prämie zu unterstützen.

Für den selbst verbrauchten Strom sollte es auch deswegen eine Zusatzprämie geben, damit die Leute, die sich beteiligen, einen Vorteil haben, begründete Malte Zieher vom Bündnis Bürgerenergie in der Energietage-Debatte den Zuschuss.

Derartige Lösungen würden es ermöglichen, dass 90 Prozent der Haushalte sich einer Energy-Sharing-Gruppe anschließen, bezifferte Zieher die konzeptionelle Wirkung. Nach seinen Angaben ließen sich so bis zu 35 Prozent der Erneuerbaren-Ausbauziele für 2030 erfüllen.

EU-Kommission schreckt vor Klage zurück

Inzwischen richten sich die Hoffnungen der Sharing-Verfechter wieder stärker auf Brüssel als auf Berlin. Üblicherweise werden Staaten, die Richtlinien nicht umsetzen, früher oder später von der EU-Kommission verklagt.

Ob das beim Energy Sharing auch geschehen wird, dazu habe die EU-Kommission noch keine offizielle Position, erklärte in der Energietage-Debatte Arthur Hinsch von ICLEI Europe, einem Netzwerk lokaler und regionaler Regierungen, die sich für nachhaltige Entwicklung einsetzen.

Gerade entwickle sich die Energiepolitik der EU "sehr dynamisch", an einem neuen Strommarktdesign werde gearbeitet, nannte Hinsch mögliche Gründe für die Brüsseler Zurückhaltung.

So bleibt Sharing-Befürwortern weiter erstmal nur das Lob für Österreich oder auch für Italien. In dem südeuropäischen Land sind ab diesem Frühjahr sogar größere Energiegemeinschaften möglich.

Bedingung ist, dass deren Mitglieder alle an einem Umspannknotenpunkt "hängen". Auch darf die Anlage, deren Erzeugung geteilt wird, nicht mehr als ein Megawatt leisten.

Südlich der Alpen haben inzwischen auch erste Kommunen Energiegemeinschaften gegründet.
Mit den 2021 von der Regierung Draghi beschlossenen Regelungen zur Umsetzung der RED-II-Richtlinie ist Italien offenbar ein Vorreiterland für eine bürgernahe Energiewende.

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