Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Liesner-Düning, Koordinator für Klima- und Energiepolitik beim Ökostrom-Versorger Lichtblick.
Klimareporter°: Herr Liesner-Düning, Sie sind neues Mitglied im Herausgeberrat unseres Magazins. Wieso ist das für Sie wichtig?
Michael Liesner-Düning: Ich halte eine wissenschaftsbasierte Berichterstattung zur Klimapolitik für absolut notwendig. Es braucht eine ehrliche Betrachtung der politischen Entwicklung, wie sie bei Klimareporter° zu finden ist.
Ich persönlich beschäftige mich schon lange mit erneuerbaren Energien, um dem größeren Zweck, dem Klimaschutz, auch beruflich zu dienen. Wenn ich meine Arbeit also sinnvoll mit klimapolitischen Themen ergänzen und diese unterstützen kann, indem ich im Herausgeberrat von Klimareporter° sein darf, dann freut mich das sehr. Gerade im illustren Kreis der Mitherausgeber:innen.
Wie beurteilen Sie den Stand der Energiewende in Deutschland?
Das ist eine sehr komplexe Frage, auch wenn sie so kurz daherkommt. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Zeit verloren, weil an keiner Stelle der Energiewende Bewegung war. Mit der neuen Regierung weht in der Branche und der Politik ein positiver neuer Wind. Ich würde nicht behaupten, dass alle Probleme kurzfristig gelöst wurden, aber viele sind angepackt worden, manche tatsächlich gelöst.
Das Gesagte gilt aber vor allem für den Teil der Stromerzeugung in großen Wind- und Photovoltaikanlagen, sozusagen den ersten Teil der Energiewende. Hier fehlen noch deutliche Fortschritte im Bereich der Digitalisierung, Standardisierung und Flexibilisierung.
Der zweite Teil, die Energiewende bei den Bürgerinnen und Bürgern im Keller und in der Garage, steht leider noch sehr am Anfang – wie die Diskussion zum Gebäudeenergiegesetz und zu den E‑Fuels gerade zeigt.
Was müsste die Ampel besser machen? Was wären die wichtigsten Korrekturen? Und gibt es auch etwas, das Sie positiv hervorheben würden?
Ich denke, dass eine behutsame, aber ehrliche Kommunikation notwendig ist, wenn die Wärme- und die Verkehrswende gelingen soll. Da die Menschen auf Fernwärme, Wärmepumpen und öffentliche Verkehrsmittel oder Elektroautos umsteigen sollen, muss klar sein, warum – nämlich für einen Planeten, auf dem wir alle, unsere Kinder und Enkelkinder gesund und gut leben können.
Michael Liesner-Düning
koordiniert die Klima- und Energiepolitik beim Hamburger Ökostrom-Unternehmen Lichtblick. Er studierte Religionswissenschaft, Soziologie und Geografie in Berlin und erwarb einen weiteren Abschluss in Kommunikation und Mitarbeiterführung. Nach einigen Stationen als Mitarbeiter im Bundestag war er für politische Kommunikation zu erneuerbaren Energien beim Windenergieanlagen-Hersteller Enercon und dann bei der Energie Baden-Württemberg AG zuständig.
Hinzu kommt: Klimaschutz zahlt sich auch finanziell aus. Wenn sich die Politik aber keine Gedanken zur Art und Weise der Kommunikation macht, kommt so etwas heraus, wie wir es gerade bei der Diskussion zum Heizen erleben.
Auch wenn ich den Inhalt grundsätzlich richtig fand, war der politische Ablauf – und damit auch die mediale Debatte – ein Desaster.
Auch bei den Themen Digitalisierung, Nutzung der Flexibilitäten und Beschleunigung des Infrastrukturausbaus ist noch Luft nach oben.
Die wichtigste positive Änderung durch die Ampelkoalition war für mich die Anerkennung des Erneuerbaren-Ausbaus als überragendes öffentliches Interesse und im Sinne der öffentlichen Sicherheit. Ein entscheidender Schritt, wenn er auch konsequent umgesetzt und nicht durch die Anerkennung aller anderen möglichen Dinge – wie etwa Autobahnbau – verwässert wird.
Wie sieht es international aus? Tut Deutschland genug, um wieder Motor der Energiewende zu sein?
Der russische Angriff hat Abhängigkeiten und Schwachstellen der internationalen Politik Deutschlands offengelegt. Zum einen gibt es eine fossile Abhängigkeit, die reduziert werden muss – und wo schon viel mehr hätte passieren können und müssen.
Zweitens zeigt der Krieg eine geopolitische Abhängigkeit Deutschlands in grundsätzlichen Energiefragen.
Die Abhängigkeit von China im Bereich der Photovoltaik ist deutlich höher als die Abhängigkeit von Russland in Bezug auf Gas. Das Problem wurde erkannt, ob es mit ausreichender Ernsthaftigkeit gelöst werden wird, wird sich noch zeigen – zum Beispiel was den Aufbau einer eigenen Produktion im Bereich der erneuerbaren Energien angeht.
Auch der Umgang mit dem Inflation Reduction Act der USA ist wichtiger Teil der deutschen Rolle in der internationalen Energiewende. Kleinteiliges Regulieren der Förderung oder Abschottung des Marktes oder des Wettbewerbs als Antwort werden kontraproduktiv sein.
Nur ein selbstbewusster und vor allem europäischer Umgang mit solchen Herausforderungen wird Lösungen bringen, mit denen Deutschland und Europa vielleicht wieder Vorbilder bei der Energiewende werden können.
Der Bundeswirtschaftsminister hat diese Woche dazu zumindest eine europäische Initiative angekündigt, was ein gutes Zeichen ist. Hier muss sich zeigen, wie flexibel Europa auf akute strategische Anforderungen gemeinsam reagieren kann.
Eine Frage zum Aufregerthema Wärmepumpe. Ist das neben Fernwärme die zentrale Technologie? Sie als Ökoenergie-Versorger bieten ja auch Gas an.
Es wird kein Weg an der Wärmepumpe vorbeigehen. Da, wo sie einsetzbar ist, wird sie eingesetzt werden.
Eine Wärmepumpe ist wahnsinnig effizient, denn sie macht aus einer Kilowattstunde Strom drei bis vier Kilowattstunden Wärme. Mit Einsatz von Ökostrom ist sie auch heute schon klimaneutral in der Produktion der Wärme.
Beim Einsatz potenzieller neuer Verbraucher wie Wärmepumpe oder E‑Mobil muss aber dringend deren Flexibilität genutzt werden, damit sie auch systemdienlich sind.
Lichtblick setzt grundsätzlich auf die Elektrifizierung, auch bei der Wärme. Wir unterstützen unsere Kund:innen bei der Wärmewende und werden auch langfristig aus dem Gasgeschäft aussteigen.
Alle Studien, die sich damit beschäftigen, kommen zum Schluss, dass grüne Gase nicht zum Heizen taugen, weil sie schlicht zu teuer sind – von Nischen mal abgesehen. Für die Umstellung braucht es allerdings eine Übergangsphase.
Die von Putins Ukrainekrieg verstärkte Energiekrise hat auch die Ökoenergie-Versorger sehr getroffen. Teilweise wurden keine Neukunden mehr angenommen. Ist das überwunden?
Wir bei Lichtblick verfolgen eine wirtschaftlich verantwortungsvolle Preisstrategie. So konnten wir 2022 – anders als viele Wettbewerber – fast durchgehend Neukund:innen-Tarife anbieten und damit eine langfristig sichere Versorgung bieten. Gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen, die ohne Versorger dagestanden hätten, konnten wir so helfen.
Trotzdem ist auch ein Jahr später die fossile Energiekrise noch nicht überwunden. Gerade sind wir sicherlich in einer Erholungsphase, Preisbremsen und Erlösabschöpfungen laufen aus, der vergangene Winter war verhältnismäßig mild.
Allerdings haben wir einen weiteren kritischen Winter vor der Tür. Und viel schlimmer: Der Krieg tobt weiter
Wieso braucht es reine Öko-Versorger eigentlich noch, wenn in wenigen Jahren ohnehin 80 Prozent und noch mehr Ökostrom im Netz sein sollen?
Bis 2035 – das sind noch zwölf Jahre – wollen wir in Deutschland ein annähernd klimaneutrales Stromsystem haben. Die Phase, die jetzt kommt, wird schwierig, denn wir haben erst 50 Prozent Erneuerbare im Netz – und zwar im Mittel übers ganze Jahr. 2035 wollen wir annähernd 100 Prozent erreichen – und zwar zu jeder Stunde.
Das ist eine Riesenherausforderung, denn es reicht ja nicht, einfach nur mehr Erneuerbaren-Anlagen ans Netz zu bringen. Das müssen wir zwar auch tun.
Aber wir müssen auch sicherstellen, dass wir zu jeder Stunde 100 Prozent Erneuerbare liefern können. Dafür braucht es einen Ausbau von Speichern und die Nutzung aller Flexibilitäten sowie weitere Lösungen.
Lichtblick arbeitet an allen diesen Stellschrauben. Wir entwickeln unsere Produkte schon weiter und denken über sogenannte granulare Herkunftsnachweise nach. Das sind viertelstundenscharfe Herkunftsnachweise, die Anreize für Ökostromproduktion, für Flexibilisierung und Speicherung setzen.
Wir gehen zudem über den reinen Ökostromhandel hinaus und projektieren und betreiben auch eigene Lösungen. Mit unserem Tochterunternehmen Ison bauen wir ein virtuelles Kraftwerk, das Wärmepumpen, Solardächer und Batterien verzahnt. So erweitern wir die Wertschöpfungskette.
Nicht zuletzt sind es auf politischer Ebene meist Ökostrompioniere wie Lichtblick, die sich weiter für bessere Rahmenbedingungen der Erneuerbaren einsetzen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Die Vorschläge der Bundesnetzagentur zum weiteren Verfahren beim Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes. Da geht es um die Netzintegration von Wärmepumpen und Kälteanlagen, von Ladeeinrichtungen und Batteriespeichern. Eine Flexibilisierung der Netzentgelte ist ein wichtiger Schritt für den notwendigen flexiblen Einsatz von solchen Verbrauchern.
Allerdings kann das nur ein erster Schritt zur notwendigen Nutzung der Flexibilität sein, denn das volle Flexibilitätspotenzial heben wir mit marktlichen Signalen.
Fragen: Joachim Wille, Verena Kern