Mit Sorge blicken Umwelt- und Sozialverbände auf den Koalitionsvertrag, den Union und SPD in der vergangenen Woche vorgelegt haben. Bei Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit orientiere sich das kommende schwarz-rote Bündnis nicht an dem, was notwendig wäre, obwohl der Vertrag unter der Überschrift "Verantwortung für Deutschland" steht, so lautet die Kritik.
Neben einigen Lichtblicken enthielten die Pläne zahlreiche Rückschritte und neue Schlupflöcher, sagt Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz, einem breiten Bündnis von mehr als 150 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter Umweltorganisationen wie BUND und WWF, aber auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband oder die Gewerkschaften Verdi und IG BAU. "Uns könnten vier verlorene Jahre drohen", so Langkamp am gestrigen Montag.
Beim Klimaschutz drängt die Zeit. Zusätzliche Maßnahmen sind erforderlich, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht. Das zeigt die kürzlich veröffentlichte Treibhausgasprojektion des Umweltbundesamtes (UBA). "Das Ziel für 2030 ist zwar in greifbarer Nähe", erläutert Veit Bürger vom Öko-Institut in Freiburg, das nicht zur Klima-Allianz gehört. "Doch für die Jahre danach gilt das nicht."
Und es gilt auch nicht für die Bereiche Gebäude und Verkehr, die unter die EU-Klimaschutzverordnung, die sogenannte Effort Sharing Regulation, fallen. "Hier werden die Ziele krachend verfehlt", warnt Bürger.
Da auf EU-Ebene – im Unterschied zum novellierten deutschen Klimaschutzgesetz – andere Branchen wie Energie nicht die Mehremissionen von Verkehr und Gebäuden ausgleichen können, droht Deutschland laut UBA-Bilanz sein verfügbares Klimabudget für beide Sektoren bis 2030 um mehr als 220 Millionen Tonnen CO2 zu überziehen. Das wird richtig teuer, weil dann hohe Strafzahlungen fällig werden.
Keine Klarheit bei der Heizungsförderung
Besonders besorgt die Umweltverbände deshalb der Plan der Merz-Koalition, das Heizungsgesetz abzuschaffen. "Wenn die Kernpflicht des Gebäudeenergiegesetzes fällt, Heizungsanlagen mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien zu betreiben, dann schaffen wir die Ziele nicht", sagt Veit Bürger.
Es reiche nicht, Förderprogramme und Informationen zum klimafreundlicheren Heizen anzubieten, das zeige die Erfahrung. Nötig seien vielmehr klare Vorgaben, um die Wärmewende voranzubringen. Zudem profitieren laut Studien vor allem besserverdienende Haushalte von den aktuellen Förderprogrammen.

Klarheit vermissen die Verbände auch bei klimapolitisch sinnvollen Plänen wie dem Ausbau erneuerbarer Energien. "Hier wird mehrfach von Systemdienlichkeit gesprochen, ohne dass klar wird, was das bedeutet", moniert Verena Graichen vom BUND. "Unsere Befürchtung ist, die Energiewende wird auf das Nötigste zurückgefahren."
Zwar sei es positiv, dass im Koalitionsvertrag auch von Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing die Rede sei. Doch die konkrete Ausgestaltung bleibe unklar.
Und: "Im Vertrag wird viel fossil geblinkt, mit einem Schwerpunkt auf Gas und CCS." Die neuen Gaskraftwerke, die gebaut werden sollen, seien teuer und stünden dem Ziel eines kosteneffizienten Energiesystems entgegen, kritisiert Graichen. Die Senkung der Stromsteuer, bemängelt zudem die Geschäftsführerin des Paritätischen Gesamtverbands Katja Kipping, soll nicht sozial gestaffelt erfolgen, sondern nach dem Prinzip Gießkanne.
"Spielräume für Verkehrswende werden nicht genutzt"
Problematisch sind aus Sicht der Klima-Allianz auch die Koalitionspläne im Verkehrsbereich, dem zweiten großen Sorgenkind beim Klimaschutz. Hier haben sich die CO2-Emissionen bislang praktisch nicht verringert.
"Es ist ein Rückschritt, dass die Pendlerpauschale angehoben wird", sagt Stefanie Langkamp. Rückwirkend zum 1. Januar soll die Entfernungspauschale ab dem ersten Kilometer auf 38 Cent erhöht werden. Allein das koste 1,3 Milliarden Euro zusätzlich und sei nicht sozial ausgewogen, da vor allem Menschen mit höherem Einkommen profitieren – genauso wie von der geplanten steuerlichen Begünstigung von E‑Dienstwagen, die jetzt 100.000 Euro kosten dürfen.
"Für die Verkehrswende würde es viele Spielräume geben, doch sie werden nicht proaktiv genutzt", sagt Langkamp. Und zählt auf: Der Bundesverkehrswegeplan wird unverändert weiterverfolgt, es fehlt ein Ziel für die Verlagerung von Gütern auf die Schiene, die Verdopplung der Fahrgastzahlen der Bahn wird nicht mehr als Ziel genannt, für den geplanten ÖPNV-Modernisierungspakt ist die Finanzierung unklar.
Ob Schwarz-Rot es mit dem Klimaschutz wirklich ernst meint, daran haben die Umweltverbände Zweifel. Wenn die Einnahmen des Klima- und Transformationsfonds (KTF) künftig "grundsätzlich dem Gesamthaushalt zur Verfügung stehen" sollen, bestehe die Gefahr der Aushöhlung, warnt Langkamp.
Ähnliches gelte für den Plan, sich CO2-Zertifikate aus dem außereuropäischen Ausland anrechnen zu lassen. Laut Koalitionsvertrag soll ein EU-Klimaziel für 2040, das eine 90-prozentige CO2-Reduktion gegenüber 1990 vorsieht, nur dann unterstützt werden, wenn Deutschland nicht mehr reduzieren muss, als mit dem deutschen Klima-Zwischenziel für 2040 vorgesehen ist. Dieses liegt bei minus 88 Prozent. Die Entscheidung über das Klimaziel hat die EU gerade auf den Sommer verschoben.
Sorgen macht den Verbänden zudem ein Vorhaben, das sie selbst betrifft: Schwarz-Rot will das Verbandsklagerecht einschränken und auf "tatsächliche Betroffenheit" ausrichten. Das würde die rechtlichen Möglichkeiten der Organisationen stark beschneiden. Die Klima-Allianz appelliert deshalb an die Koalitionäre: "Suchen Sie das Gespräch mit der Zivilgesellschaft."