Schienen
Wer Bahn fährt, schützt das Klima, hebt die Bahn immer wieder hervor – in Ermangelung anderer guter Nachrichten. (Bild/​Ausschnitt: Martin LE/​Flickr)

Es ist eine tolle mobile Zukunft. Die Bahn wird das Rückgrat der Verkehrswende in Deutschland. Schon 2030 fahren die Deutschen doppelt so viel mit dem Zug wie heute, und auch der Marktanteil beim Güterverkehr steigt von derzeit 19 auf 25 Prozent.

Das ist keine Vision von Baumbesetzern, die gegen den Autobahnbau kämpfen. Die Ampel-Bundesregierung hat es sich so vorgenommen, nachzulesen im Koalitionsvertrag.

Die schöne Vision zerbricht gerade. Nachdem das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung untersagt hat, 60 Milliarden Euro ungenutzte Corona-Hilfsgelder für die Bereiche Klima und Transformation umzuwidmen, spart die Ampel wohl nirgends so viel Geld wie bei der Bahn.

Dem Konzern fehlen dadurch allein bis 2027 rund 17 Milliarden Euro für Investitionen, vor allem für den Ausbau des Netzes, die Digitalisierung des Zugverkehrs und die Sanierung kaputter Bahnhöfe. Das zeigen interne Unterlagen der DB, die jetzt bekannt wurden. Die Zukunftspläne wurden entsprechend abgespeckt.

"Repriorisierung" nennt der Konzern sein Vorgehen, auch wenn es offiziell heißt, es werde nichts gestoppt, sondern einfach nur später gebaut. Das ist Augenwischerei. Denn es bedeutet konkret, dass die hochfliegenden Zukunftspläne für die Verkehrswende nicht umgesetzt werden.

Nach der aktuellen Finanzplanung des Bundes reicht das Geld nur, um bis 2030 rund 2.600 Kilometer Schienenstrecke statt geplanter 4.200 Kilometer zu sanieren und statt 750 nur 600 Kilometer aus- und neu zubauen. Wie auf dem folglich weiterhin in großen Teilen maroden und nur wenig erweiterten Netz 100 Prozent mehr Personen- und auch deutlich mehr Güterverkehr abgewickelt werden soll, bleibt schleierhaft.

Bahn in der Fläche jahrzehntelang vernachlässigt

Dabei ist unumstritten, dass die Bahn einen echten Sanierungsfall darstellt. Die Kennzahlen der DB sind seit Jahren verheerend – sowohl bei den Finanzen als auch bei den Leistungen für die Kundschaft. So wächst der Schuldenstand des Konzerns, dessen Aktien komplett im Staatsbesitz sind, immer weiter, aktuell sind es über 30 Milliarden Euro. Auch 2023 war die Bilanz tiefrot, wie die DB am Donnerstag bekannt gab.

Gleichzeitig erreicht die Unzuverlässigkeit neue Höchststände. Inzwischen kommen im Fernverkehr nur noch rund zwei Drittel der Züge pünktlich an, und in den anderen Sparten sieht es kaum besser aus.

Wer viel mit der Bahn fährt, weiß, was das konkret bedeutet. Oberleitungsschaden, Weichenstörung, Umleitung wegen Streckensperrung, Böschungsbrand oder Stellwerksproblem, Komplettausfall von Zügen aufgrund Personalmangels, Bordtoiletten gesperrt, Speisewagen geschlossen. Und so weiter.

Es handelt sich um die Folgen einer jahrzehntelangen Vernachlässigung des Verkehrsmittels Bahn durch praktisch alle Bundesregierungen und die zuständigen Minister, die die Schiene im Autoland "D" zum Abstellgleis machten.

Statt die Bahn als Verkehrsträger für die Fläche zu erhalten und fit zu machen, bauten sie dort das Angebot ab, während sie sich auf wenige, milliardenteure Großprojekte für den Schnellverkehr kaprizierten. Das groteskeste Beispiel dafür ist der Bahnhofsumbau Stuttgart 21, der mindestens elf statt 4,5 Milliarden Euro kosten wird, dessen verkehrlicher Mehrwert aber höchst umstritten ist.

Hinzu kam ein Konzernmanagement unter den Bahnchefs Dürr, Mehdorn, Grube und Lutz, das das alles mitmachte und auch sonst falsche Prioritäten setzte, indem es die DB eher als globalen Logistikkonzern mit hunderten Tochterunternehmen weltweit führte, statt sich auf ihr Kerngeschäft, die Schiene in Deutschland, zu konzentrieren.

Abkehr von Prestigeprojekten und Höchstgeschwindigkeiten nötig

Wenn die Ampel ihr Versprechen überhaupt noch wahr machen will, die Bahn in die Offensive zu bringen, muss sie schnellstens umsteuern.

Hauptpunkt: Es braucht mit Blick auf das 2030er Schienen-Wachstumsziel und die für 2045 auch im Verkehrssektor angepeilte Klimaneutralität statt des Sparkurses deutlich mehr Geld für Investitionen in die Strecken, die Digitalisierung und neue Züge. Das Diktat der Schuldenbremse darf hier, wie in anderen Bereichen der Zukunftsinvestitionen, nicht mehr länger gelten.

Fachleute aus der Verkehrsbranche fordern nach dem Vorbild der Bundeswehr ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen, um Bahnen und Busse nach Jahren der Vernachlässigung wieder flottzukriegen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) soll gesagt haben, er finde die Idee charmant.

Sein wichtigster Job wäre es nun, davon seinen Parteifreund, Finanzminister Christian Lindner, zu überzeugen. Das würde ihm einen der seltenen Positiveinträge in der Geschichte der deutschen Verkehrsminister einbringen.

 

Damit wäre es natürlich nicht getan. Auch die konkrete Bahnpolitik muss sich ändern. Die Denkfabrik Bürgerbahn hat das gerade in ihrem "Alternativen Geschäftsbericht" ausbuchstabiert.

Teure Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 müssen der Vergangenheit angehören. Dafür müssen stillgelegte Strecken reaktiviert und vorhandene kapazitätsgerecht ausgebaut werden.

Und es braucht ein bundesweites Taktsystem, in dem gute Anschlüsse wichtiger sind als Höchstgeschwindigkeit auf einzelnen Strecken. Dann könnte es mit der Verkehrswende doch noch klappen.