Zwei von drei geplanten Bundesstraßen und Autobahnen sind unwirtschaftlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich vom europäischen Dachverband Transport and Environment (T&E) und der Umweltorganisation Greenpeace veröffentlichte Analyse.
Die Autor:innen haben dafür die Kosten für alle 1.045 Straßenprojekte im Bundesverkehrswegeplan neu berechnet. Obwohl das Verkehrsministerium verpflichtet ist, die Infrastrukturplanungen alle fünf Jahre zu überprüfen, liegt die letzte Überprüfung beinahe zehn Jahre zurück.
Die Kosten-Nutzen-Aufstellung für die Straßenprojekte beruhen laut der Analyse auf veralteten Daten. Auch der nicht an der Studie beteiligte Verkehrswissenschaftler Moritz Kreuschner bemängelt: "Der 'aktuelle' Bundesverkehrswegeplan ist von 2016. Das ist nun nicht mehr wirklich aktuell."
Problem eins: Allein durch gestiegene Personal- und Materialkosten werden elf Prozent der 1.045 Straßenprojekte unwirtschaftlich. Schon 2016 kritisierte der Bundesrechnungshof, dass die Kostenschätzungen des Verkehrsministeriums nicht nachvollziehbar seien.
Letztes Jahr hat das Ministerium schließlich aktualisierte Zahlen für die Baukosten vorgelegt, die weit über den ursprünglichen Schätzungen liegen. Die Analyse von T&E und Greenpeace bestätigt diesen Kostenanstieg.
Der geplante Ausbau der Autobahn A8 von München zur österreichischen Grenze rechnet sich zum Beispiel schon durch die gestiegenen Bau- und Personalkosten nicht mehr. Dabei sind die zur Verbreiterung der Autobahn auf sechs bis acht Spuren notwendigen Waldrodungen und Bodenverluste noch gar nicht einkalkuliert.
"Wenn selbst die jüngsten Zahlen des Verkehrsministeriums den Bau weiterer Autobahnen nicht mehr hergeben, muss das Bauen aufhören", sagte Benedikt Heyl von T&E.
Kosten der A49 durch den Dannenröder Forst verdoppeln sich
Problem zwei: 2016 hat das Verkehrsministerium 145 Euro pro Tonne CO2 veranschlagt, um die gesellschaftlichen Kosten des Treibhausgases abzubilden. Während diese Bepreisung vor acht Jahren noch der Empfehlung des Umweltbundesamts entsprach, ist sie heute nicht mehr angemessen.
In der T&E-Studie rechnen die Autor:innen mit 791 Euro pro Tonne CO2 und beziehen sich damit auf den aktuellen Wert des Umweltbundesamtes für die langfristigen – also generationenübergreifenden – Schäden durch CO2.
Schlägt man diese Kosten auf die gestiegenen Baukosten auf, fallen weitere zwölf Prozent aller Straßenprojekte aus der Wirtschaftlichkeit.
Problem drei: Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass mehr Straßenbau zu mehr Autoverkehr führt. Dieser Verkehrsanstieg wird, so die Autor:innen, im Bundesverkehrswegeplan um den Faktor neun unterschätzt – und so auch die daraus resultierenden Kosten, vor allem durch die steigenden CO2-Emissionen.
Summiert man alle drei Faktoren, rechnen sich 665 der 1.045 Straßenprojekte nicht mehr, das sind 64 Prozent. Anders ausgedrückt: Bei zwei von drei Projekten übersteigen die Kosten den wirtschaftlichen Gewinn der neuen oder ausgebauten Straßen, der zum Beispiel durch Zeitersparnis entsteht.
Das trifft auf zahlreiche milliardenschwere Autobahnprojekte zu. Dazu gehört etwa der Weiterbau der A20 durch zahlreiche Moor- und Naturschutzgebiete in Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Auch gegen den Weiterbau der A49 in Mittelhessen hatten Umweltverbände und Aktivist:innen jahrelang protestiert. Die neue Autobahn soll durch den Dannenröder Forst führen, einen alten Mischwald. Dafür müssen 85 Hektar Wald gerodet werden. Die Kosten dieses Projekts verdoppeln sich, basierend auf der neuen Berechnung.
Umweltauswirkungen vernachlässigt, Zeitersparnis überbewertet
Dass die Kosten-Nutzen-Bewertung des Verkehrsministeriums besonders wohlwollend gegenüber dem Straßenbau ist, wird seit Jahren von Umweltverbänden, aber auch von Verkehrsexpert:innen kritisiert. Vor allem die Umweltauswirkungen von Straßen werden vernachlässigt.
Die Zerstörung von natürlichen CO2-Senken wie Wäldern oder Mooren spielt in dem Bundesverkehrswegeplan zum Beispiel keine Rolle.
Wie Verkehrswissenschaftler Kreuschner im Gespräch mit Klimareporter° weiter erläutert, haben die erwarteten Zeitersparnisse einen großen Einfluss auf die Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein paar Minuten mehr eingesparte Reisezeit bringen dann ein unrentables Verkehrsprojekt auf einmal aus den roten Zahlen.
Diese Verkürzung der Reisezeit werde bei Straßenprojekten systematisch überbewertet, schreiben die Autor:innen von T&E und Greenpeace. Neue Fahrspuren oder Straßenabschnitte würden damit gerechtfertigt, dass sie in stauanfälligen Gebieten zu flüssigerem Verkehr führen sollen.
Der Verkehrsanstieg durch den Straßenausbau wird in den Kosten-Nutzen-Bewertungen aber deutlich unterschätzt, wie auch das Umweltbundesamt bemängelt. Wenn durch den Ausbau der Verkehr zunimmt, kommt es bald wieder zu Staus, nur dann auf sechs statt auf vier Spuren.
Moritz Kreuschner: "Selbst wenn ein Engpass erfolgreich beseitigt wird, entsteht eben einige Kilometer weiter ein neuer Engpass."
Erst Richtungswechsel, dann Rückwärtsrolle
Wo die Prioritäten der deutschen Verkehrspolitik liegen, verrät ein Blick auf die letzten Jahre. In den vergangenen knapp drei Jahrzehnten investierte der Bund doppelt so viel in Straßen wie in die Bahninfrastruktur. Das belegt eine Untersuchung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie aus dem letzten Jahr.
Einen Richtungswechsel gab es 2021. Der Bundeshaushalt stellte zum ersten Mal mehr Geld für die Schiene als für die Straße zur Verfügung. Doch der aktuelle Haushaltsplan offenbart eine verkehrspolitische Rückwärtsrolle.
Demnach soll die Deutsche Bahn mit 4,37 Milliarden Euro ihr Schienennetz aufpolieren. Für Investitionen in nicht bundeseigene Schienenwege stellt der Bund 27 Millionen Euro bereit – 47 Millionen weniger als im Vorjahr.
Angesichts der 44 Milliarden Euro, die Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) insgesamt zur Verfügung stehen – über fünf Milliarden mehr als im letzten Jahr –, sind das überschaubare Summen. Für Ausbau und Erhalt der Bundesfernstraßen und Autobahnen macht der Bund knapp 20 Milliarden Euro locker.
Während an einigen Stellen schmerzhaft gespart wird, etwa beim Radverkehr und beim Schienengüterverkehr, will Wissing an klimaschädlichen Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg oder den Steuervorteilen für den Luftverkehr und für Dieselfahrzeuge nicht rütteln.
Dabei hat gerade der Verkehrssektor in den vergangenen Jahren immer wieder seine Klimaziele verfehlt. Und die diesjährigen Haushaltspläne von Wissing lassen vermuten, dass es dem Minister nicht unter den Fingernägeln brennt, daran etwas zu ändern.